© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/97  07. November 1997

 
 
Staatsbürgerschaft: Ausländer sollen massenhaft eingemeindet werden
Deutsche eilig gesucht
von Thorsten Thaler / Dieter Stein

Von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der Türkischen Republik ist der Ausspruch überliefert: "Wie glücklich ist jemand, wenn er sagen kann, er sei ein Türke." Die in der Bundesrepublik lebenden Türken sollen das nach dem Willen deutscher Politiker künftig nicht mehr von sich behaupten können. Geht es nach den Vorstellungen von SPD, Grünen, FDP und Teilen der CDU, dann werden aus jungen stolzen Türken demnächst per Federstrich "eingebürgerte Deutsche türkischer Herkunft".

Mit einer Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts sollen Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren werden, künftig bereits mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten – und ihre bisherige behalten dürfen. Voraussetzung dafür soll sein, daß mindestens ein Elternteil eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzt. Erst zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr hätten die Doppelstaatler die Verpflichtung, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Der weitestgehende Vorschlag kommt von den Bündnisgrünen: Sie wollen den jungen Ausländern nicht einmal eine Entscheidungspflicht auferlegen.

Auf Ablehnung stößt eine generelle Hinnahme von doppelten Staatsbürgerschaften (noch) bei einer Mehrheit der CDU und ihrer CSU-Schwester. Ihre Variante einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sieht eine Einbürgerungsgarantie für hier geborene Ausländer ab dem 18. Lebensjahr bei gleichzeitigem Verzicht auf die ausländische Staatsbürgerschaft vor. Eine Scheinalternative, weil jugendliche Ausländer, die mindestens acht Jahre in Deutschland leben, ohnehin einen Rechtsanspruch besitzen. Schon werfen die Oppositionsparteien der Union vor, sie spiele beim Staatsangehörigkeitsrecht nur auf Zeit und sei an einer Neuregelung in Wahrheit nicht interessiert.

Da mag was dran sein. Doch die Führung von CDU/CSU gerät zunehmend unter Druck, von der veröffentlichten Meinung ebenso wie innerhalb der eigenen Reihen. In einem Brief an die Mitglieder der Bundestagsfraktion wiesen die Wortführer einer Reform in der Union – die vier Musketiere Heiner Geißler, Horst Eylmann, Peter Altmaier und Norbert Röttgen – wohl mit Recht darauf hin, daß sie mitnichten eine unbeachtliche Minderheit in der Partei seien.

Dabei ist die Argumentation der Reform-Anhänger von einem merkwürdigen Widerspruch gekennzeichnet: Wo Loyalitätskonflikte bei Doppelstaatlern geltend gemacht werden, halten sie dagegen, daß Loyalität nichts mit dem Paß zu tun habe, sondern eine Frage der inneren Einstellung sei. Auf der anderen Seite führen sie beredt darüber Klage, daß die Integration von Ausländern in die Gesellschaft an der Staatszugehörigkeit scheitere. Daß sich eine erfolgreiche Integration aber nicht an der Farbe des Passes ablesen läßt, sondern auf der Hinwendung zu dem Land, seiner Sprache und Kultur, seinen Sitten und Gebräuchen beruht, wollen sie nicht wahrhaben.

Zu Recht hat Eckhard Fuhr in der FAZ auf die Schwierigkeiten hingedeutet, die besonders die dritte Generation der in Deutschland lebenden Ausländer macht. "Nachdem in den achtziger Jahren fröhlicher multikultureller Optimismus den Blick auf türkisches Leben in Deutschland bestimmte, haben sich inzwischen die Mienen der damit befaßten Wissenschaftler, Beamten und Politiker verdüstert." Grund: Es gebe keinen kontinuierlichenFortschritt bei der Integration. Nur die Schlußfolgerung, die Fuhr zieht, ist doppelbödig. Die Deutschen müßten erwarten dürfen, daß "türkische Nachbarn deutsche Staatsbürger werden". Weshalb eine doppelte Staatsangehörigkeit für Kinder "eine Brücke in diese künftige Normalität und Alltäglichkeit" sein sollte, vermag er indes nicht überzeugend zu begründen.

In den Niederlanden will die sozialliberale Regierungskoalition gerade den umgekehrten Weg einschlagen: Nach einem dem Parlament in Den Haag vorliegenden Gesetzesentwurf zur Staatsbürgerschaft soll die bisherige generelle Hinnahme von doppelten Staatsbürgerschaften erheblich eingeschränkt werden. Künftig sollen Ausländer, die in den Niederlanden eingebürgert werden wollen, ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben. Zur Begründung des Vorstoßes heißt es, die jetzige Regelung erschwere die Integration von Ausländern.

In jedem Fall ist die Einbürgerung in Deutschland derzeit kein würdevoller Akt, der mit dem Stolz einer integrationswilligen Nation vorgenommen wird. Während der Neubürger in den USA mit einem festlichen Akt im neuen Volk unter Sternenbanner und mit Nationalhymne begrüßt wird, erhält in der BRD der Ex-Türke seinen grünen Paß von einer genervten Verwaltungsangestellten über den Tresen geschoben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen