© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/97  07. November 1997

 
 
FPÖ-Programmparteitag in Linz: Bekenntnis zum Österreich-Patriotismus abgelegt
An Haider kommt keiner vorbei
von Kristof Berking

Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) versteht es, Parteitage zu inszenieren. Hinsichtlich der Professionalität, mit der die FPÖ am 30. Oktober in Linz medienwirksam ihr neues Programm verabschiedete, hat sie die ÖVP und die SPÖ bereits überflügelt. Für die Nationalratswahlen 1999, bei denen Jörg Haider sich anschickt, Bundeskanzler zu werden, darf man mit einer Wahlkampagne rechnen, die sich messen lassen kann an Kampagnen, wie sie Bill Clinton ("It’s time for change") oder Tony Blair ("New Labour") an die Macht gebracht haben.

Clinton und Blair waren es denn auch, die den Besucher, nachdem er durch die flatternden FPÖ-Fahnen auf dem Vorplatz des "Design Centers" das Foyer der modernen Mehrzweckhalle betreten hatte, auf großen, von der Decke herabhängenden Bildern begrüßten. Unter den Bildern standen Zitate, die auch von Jörg Haider stammen könnten, aber bei ihm natürlich heftig kritisiert worden wären. Weitere Bilder und Zitate gab es von Gerhard Schröder und sogar von Oskar Lafontaine.

Damit war das erste Signal ausgesandt, nämlich an die Arbeitnehmerschaft: Nicht die SPÖ, sondern die Haider-FPÖ ist eure Hoffnung. Auf die Aushebelung eingefleischten Wahlverhaltens ist auch der Titel von Haiders neuem Buch gemünzt: "Befreite Zukunft jenseits von links und rechts". Aber auch der SPÖ selbst mag die Botschaft gegolten haben: Mit Euch möchten wir koalieren. Offiziell wird sich bis zur Wahl 1999 gewiß nicht auf einen Koalitionspartner festlegen, doch man kann wohl davon ausgehen, daß die ÖVP, der die FPÖ den Ruf streitig macht, die bürgerliche Partei zu sein, nicht so lebensmüde sein wird, sich unter einem Kanzler Haider an der Regierung zu beteiligen.

Der große Saal des mit seinem geschwungenen Dach wie eine Eissporthalle anmutenden Design Centers war voll, als zum Auftakt das Licht ausging, eine getragene, Spannung aufbauende Musik einsetzte und die zur Rechten und zur Linken des Podiums herabhängenden Fahnen der neun Bundesländer, eine nach der anderen von Punktstrahlern angeleuchtet wurden. Knapp 500 Delegierte, vielleicht 200 Gäste und so viele Presse- und Medienleute, wie noch nie auf einem FPÖ-Parteitag, spürten die Luft vibrieren, so tief und laut waren die Bässe der großen Boxen. Dann die österreichische Fahne. Sie mußte erst hochgezogen werden – langsam, versteht sich. Dazu blies ein Solotrompeter die Nationalhymne, in Nahaufnahme übertragen auf die beiden großen Videowände rechts und links auf dem Podium.

Als sich alle wieder hingesetzt hatten – die Pressebank war gar nicht erst aufgestanden – sprang Jörg Haider zur Begrüßung aufs Podium. Bemerkenswert: Die "Exzellenzen" einer stattlichen Reihe ausländischer Vertretungen in Österreich konnten willkommen geheißen werden. Auch die deutsche Botschaft hatte jemanden geschickt, denn – so wird man sich gesagt haben – die FPÖ vertritt bald 30 Prozent der Österreicher, und wer weiß, wo sie vielleicht schon im nächsten Jahr steht…. Ein Zeichen dafür, daß man sich im Ausland auf einen möglichen Partner Haider einstellt, ist es auch, daß die Neue Zürcher Zeitung in ihrem Aufmacher "Werben der FPÖ um die politische Mehrheit" ein Tag nach dem Parteitag kein einziges der üblichen abfälligen Adjektive verwendete. In der österreichischen Presse kann indes von einer fairen Berichterstattung ohne negative Wertungen noch nicht die Rede sein. Der Tenor ist nach wie vor gehässig. Immerhin hatten aber die drei großen Magazine Profil, News und Trend vor dem Parteitag Haider als Titelthema. An ihm vorbei kann keiner mehr.

Doch zurück ins Design Center. Das Licht blieb aus, denn nun war es Zeit für das inzwischen schon obligatorische FPÖ-Animationsfilmchen zum Aufwärmen. In der Machart von Videoclips wurden Aussagen von Blair, Clinton (zur Verteidigung gegen den Ansturm von Asylanten), Schröder, Waigel (zu den Zahlungen an die EU); Tietmeyer und Stoiber gleichlautenden Aussagen gegenübergestellt, die Haider jeweils Jahre zuvor gemacht hatte. Wenig Inhalt, viel Schnickschnack. Doch Zweck der Übung war wohl die Botschaft Nummer zwei: Wir sind modern und auf der Höhe der Technik, und der Haider ist den anderen immer eine Nasenlänge voraus. "Vordenken und danach handeln – das ist seine Stärke" wurde immer wieder eingeblendet.

Man wäre nicht überrascht gewesen, wenn jetzt nach dem "Vorfilm" das Langnese-Fräulein mit Eis und Popkorn durch die Reihen gegangen wäre. Doch sogleich begann der Held des Videoclips selbst, der Parteiobmann Jörg Haider, das Publikum zu unterhalten – live und in Spielfilmlänge. Volle anderthalb Stunden dauerte das rednerische Feuerwerk. Das Sündenregister der Regierung, der "Altparteien", der "Einheitspartei SPÖVP" hatte kein Ende. Und immer wieder die Botschaft Nummer drei: "Wir können regieren, …". Haider zeichnete den Aufstieg der FPÖ nach, von der 3-Prozent-Partei, die sie 1986 war, als er sie übernahm, zur 30-Prozent-Partei, die sie heute ist. Die Freiheitlichen seien nun nicht mehr "die pubertierenden Lümmel in der letzten Bank, die man zurechtweisen" könne. Längst habe man sich "von einer Protestpartei zu einem politischen Faktor entwickelt, der mitgestaltet."

Und um nicht zugrunde zu gehen, müsse sich die Partei ändern. Es ging Haider sicherlich nicht nur um die Öffentlichkeitswirksamkeit, wenn er dem Parteitag nahelegte: "Wir wollen unserer Gesinnungsgemeinschaft eine neue Verfassung geben und aus dem Schatten der Vergangenheit treten … Das Programm ist nicht zur Nabelschau für die internen Zirkel der Geschichtsbetrachter da, sondern es soll zeigen, daß die eigenen Funktionäre wissen, was sie den Wählern schuldig sind … die FPÖ will einen historischen Frieden mit den Kirchen, mit der katholischen und der evangelischen … wer glaubt, mit nach hinten gewandtem Blick vorwärts drängen zu können, wird fallen." Es gelte, die Grundsätze vom "Staub der Vergangenheit" zu befreien.

Der "Staub", das ist neben dem traditionellen Antiklerikalismus des Dritten Lagers die deutschnationale Betrachtung Österreichs als eine "Mißgeburt", wie Haider selbst früher sagte.

Für die Diskussion der 17 Kapitel des Programmentwurfs auf 19 eng bedruckten Seiten waren zwei Stunden angesetzt. Und tatsächlich: Mit großer Disziplin und Konzentration – die Redezeit war von vorneherein auf drei Minuten beschränkt – wurde am Nachmittag über 53 Änderungsanträge entschieden und schließlich das leicht modifizierte Programm mit nur wenigen Gegenstimmen angenommen. Der Streit um das Verhältnis zum Deutschtum und zum Christentum war im Vorfeld durch Kompromisse geschlichtet worden. Noch am Vorabend des Parteitages war es hinter verschlossenen Türen hoch her gegangen. Insbesondere der Wiener Landesverband, der den deutschnationalen Flügel der Partei repräsentiert, tut sich schwer mit der Aufwertung des Österreichpatriotismus, wie er sich in der neuen Überschrift des dritten Kapitels niederschlägt: aus "Volk und Heimat" im bisherigen Programm von 1985 wurde "Österreich zuerst!".

Es bleibt wohl dabei: Das Programm der FPÖ ist Jörg Haider. Der Programmparteitag war ein – bedeutender – Abschnitt in seinem Programm, das da heißt: Machterlangung 1999. Nach außen hin ist nun der Vorwurf entkräftet, Haider sage nicht, welche Ziele er verfolge; mit dem neuen Programm, einer Art mittelfristiger Wahlplattform, ist die FPÖ berechenbarer geworden. Nach innen hin hat die Einschwörung auf diese gemeinsame "Verfassung", die virulenten ideologischen Streitigkeiten gekittet, die sonst zur Unzeit ausbrechen und den Wahlsieg kosten könnten. Auch in der Zeitregie steht er einem Tony Blair in nichts nach. Die "New Freiheitlichen" sind da.


 
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