© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Kriegsbündnis: Das Hitler-Franco-Treffen in Hendaye 1940
Spaniens Schlingerkurs
von Arman Kilic

Am 23. Oktober 1940 traf Hitler in der französisch-spanischen Grenzstation Hendaye den spanischen Staatschef General Franco, um diesen für ein deutsch-spanisches Kriegsbündnis zu gewinnen. Der neunstündige, Hitlers Ansicht nach zermürbende Verhandlungsmarathon markiert eine der größten und bis in die Gegenwart vieldiskutierten diplomatischen Schlappen des Dritten Reiches in der Zeit des Weltkrieges.

Henry Picker berichtet in seiner Aufzeichnung der Tischgespräche Hitlers im Führerhauptquartier, daß jener in seiner Enttäuschung über das ergebnislos verlaufende Treffen davon sprach, einen General erwartet, jedoch nur einen marokkanischen Teppichhändler vorgefunden zu haben. Eine andere Bemerkung Hitlers, sich lieber mehrere Zähne ziehen zu lassen als noch einmal mit Franco zu verhandeln, veranschaulicht seine Abneigung gegen den Caudillo.

Dessen Haltung zu einem spanischen Kriegseintritt auf der Seite der Achsenmächte war Ausdruck der heftigen innenpolitischen Kontroverse um die Stellung des Landes inmitten der Kriegsparteien. Das Nachbürgerkriegsspanien befand sich in demographischer, wirtschaftlich-infrastruktureller sowie allgemeinpsychologischer Hinsicht in einer erbarmungswürdigen Situation. Es schien zwar so, als hätte sich das autoritäre Franco-Regime mit deutsch-italienischer Waffenhilfe in dem einstmals so imposanten Kolonialreich Spanien machtvoll aufgerichtet, aber dies war nur die schimmernde Fassade des "Neuen Staates". Die Forderung der Falange nach der Errichtung eines neuen spanischen Imperiums vermochte das Volk kaum für die gewaltigen Anstrengungen eines Kriegseintrittes zu mobilisieren. Franco betonte gegenüber dem italienischen Außenminister im Juli 1939 die Notwendigkeit einer mindestens fünfjährigen Friedensperiode zur Stabilisierung seines Landes.

Spanien konnte und wollte im Herbst 1939 nicht an irgendwelchen kriegerischen Abenteuern teilnehmen, selbst wenn ein derartiges Engagement mit territorialen Häppchen belohnt worden wäre. Folgerichtig ordnete der Caudillo am 4. September 1939 für Spanien die strikteste Neutralität an. Sie bestimmte bis Juni 1940 die erste Phase der spanischen Haltung während des Zweiten Weltkrieges. In dieser Zeit bekundeten auch die Achsenmächte kein Interesse an einer aktiven spanischen Kriegsbeteiligung. Ein befreundetes Spanien, das sich dem Antikominternpakt angeschlossen hatte und zudem als zuverlässiger Rohstofflieferant der deutschen Kriegsindustrie fungierte, bevorzugte Hitler mehr als einen massiv unterstützungsbedürftigen, schwachen Waffenbruder an der geostrategisch bedeutsamen Südwestflanke Europas. Allerdings änderte sich die spanische Haltung grundlegend nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940.

Franco-Spanien ging nun von der strikten Neutralität zur Politik der prodeutschen Nichtkriegführung über und beeilte sich kurz nach der Zerschlagung der Dritten Französischen Republik mit dem Angebot zum Kriegseintritt auf seiten der Achse. Indes hatte Madrid im Juni 1940 dem siegestrunkenen Berlin nicht viel an militärischer Unterstützung zu bieten – dafür war der Katalog an territorialen Forderungen zur Erweiterung der eigenen nordafrikanischen Besitzungen auf Kosten des ungleich größeren französischen Kolonialreiches um so länger. Hinzu kam der Wunsch nach Lieferung kriegswichtiger Güter aus Deutschland sowie die Bitte um Entsendung deutscher Artillerie und Fallschirmjäger für die Eroberung Gibraltars. Hitler zeigte sich uninteressiert und ließ das dem spanischen Botschafter in Berlin durch Staatssekretär Ernst von Weizsäcker auf diplomatisch-dezente Weise mitteilen.

 

Waffengang Madrids auf seiten der Achse?

Entschiedene Befürworter eines spanischen Waffenganges auf der Seite der Achse waren deutschfreundliche Militärs und die falangistischen Revolutionäre der "ersten Stunde", die ihr Ideal eines nationalsyndikalistischen Staates nach der Zwangsvereinigung der Ur-Falange mit den Karlisten und anderen Rechtsgruppen zur franquistischen Staatspartei verraten sahen. Letztere erstrebten mit deutscher Hilfe den radikalen Umbau Spaniens im Sinne der Vorbürgerkriegs-Falange.

Nach dem Fehlschlag des Unternehmens "Seelöwe" und dem Abbruch des wenig erfolgversprechenden Luftkriegs gegen Großbritannien zeigte nunmehr Hitler Interesse an einem spanischen Kriegseintritt, so daß ab Mitte September das deutsche Buhlen um Spanien begann. Allerdings verhielt sich jetzt die spanische Kriegsbereitschaft umgekehrt proportional zu den deutschen Bemühungen. Franco fürchtete britische Vergeltungsmaßnahmen gegen die weitgehend schutzlosen spanischen Inselterritorien im Mittelmeer und Atlantik sowie den Verlust Spanisch-Nordafrikas. Berlin und Rom brauchten aber Spanien, um ihre militärischen Operationen zur Schwächung Großbritanniens im Mittelmeerraum durchführen zu können. Die Operation "Felix" sollte die strategisch wichtige Sperrfeste Gibraltar ihrem britischen Besitzer entreißen, um sie sodann in einen deutsch-italienisch-spanischen Flottenstützpunkt umzuwandeln.

Das diplomatische Vorspiel zu dem Treffen von Hendaye war geprägt durch Madrids Verzögerungstaktik sowie Hitlers wachsende Ungeduld. Da Franco befürchtete, das übermächtige Reich durch eine klare Entscheidung gegen einen spanischen Kriegseintritt zu brüskieren, erprobte er ein neues Hinhaltemanöver; der Caudillo formulierte Bedingungen für einen möglichen Waffengang Madrids, die Berlin objektiv gar nicht erfüllen konnte. Zu diesen gehörten die Forderung nach gigantischen Nahrungsmittellieferungen, den militärischen Schutz spanischer Überseebesitzungen, Lieferung modernsten schweren Kriegsgeräts sowie Annexion ausgedehnter Territorien in Französisch-Nordafrika. Letzterem konnte Hitler schon aus Rücksicht auf den Quasi-Bundesgenossen Vichy-Frankreich nicht zustimmen, da andernfalls das vichy-treue französische Kolonialreich in Nordafrika und die Seestreitkräfte zu den gaullistischen "Freifranzosen" übergelaufen wären. All dies spielte sich vor dem geschichtsträchtigen Treffen von Hendaye ab, nahm aber dort während der mehrstündigen Verhandlung konkrete Formen an und führte letztlich zu der am 7. Dezember 1940 verkündeten endgültigen Entscheidung Madrids gegen einen Kriegseintritt. Die deutschen Bemühungen um Franco endeten zwar nicht abrupt, erschienen aber angesichts des anglo-amerikanischen Drucks in Gestalt von Wirtschaftssanktionen und Handelsembargo gegen Spanien noch vergeblicher.

Die spanische Kooperation mit den Achsenmächten erschöpfte sich von nun an in der Versorgung deutscher U-Boote und Kriegsschiffe in den eigenen Hoheitsgewässern, der wohlwollenden Duldung deutscher und italienischer Agententätigkeit in Spanien sowie der Entsendung eines Freiwilligenkampfverbandes an die Ostfront. Diese sogenannte "Blaue Division" unter dem Kommando des Falangisten Muñoz Grandes wurde von Franco im Oktober 1943 unter anglo-amerikanischem Druck von der Ostfront abgezogen. Dieses Datum markiert Spaniens Wendung zur "wachsamen Neutralität", um ab Januar 1944 zur strikten Neutralität allen kriegführenden Parteien gegenüber erweitert zu werden. Diese Haltung verwandelte sich dann im Laufe des Jahres 1944 zur "den Alliierten gegenüber wohlwollenden Neutralität".


 
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