© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Kolumne
Sprache
von Alfred Mechtersheimer

Wenn es stimmt, was Wilhelm von Humboldt sagte, daß die Sprache die äußere Erscheinung des Geistes der Völker ist, dann steht es um das deutsche Volk schlecht. Deutschland wird von Politikern regiert, die ihre Muttersprache martern. Der Kanzler hat zwar Geschichte studiert, kann sie aber nicht aussprechen und wird wohl bis an sein Lebensende Gechichte oder weder Fich noch Fleich sagen. Sein Wunschnachfolger spricht von der Dienschtleischtungsgesellschaft, der Zukunftsminister scheitert bereits an Zischlauten und der Arbeitsminister verkündet Hiobsbotschaften wie ein Büttenredner. Und weil der bayerische Ministerpräsident den Infinitiv nicht kennt, braucht er vielleicht doch nicht ewik in München bleiben.

Die Politiker sprechen wie sie sind: dekadent und bedeutungslos. Dort, wo die wirkliche Macht sitzt, achtet man auf Sprachästhetik; keiner der Wirtschaftsführer malträtiert das Ohr der Zuhörer wie es die Politiker tun. Der Zug der Bonner Parteien durch das politische System hinterläßt eine Spur der sprachlichen Verwahrlosung, bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk; denn wo das Parteibuch entscheidet, bleibt die Qualifikation auf der Strecke.

Zu allem Überfluß soll mit einer hirnrissigen Rechtschreibreform der deutschen Sprache der Garaus gemacht werden. Statt die Amerikanisierung der Umgangs- und Werbesprache zu stoppen, darf künftig in vielen Fällen jeder schreiben wie er will. Regelverstöße werden ganz im Zeitgeist nicht dadurch vermieden, daß man die Regeln beachtet, sondern dadurch, daß man sie abschafft. Das paßt alles zu einem Land, in dem sich viele Millionen mit und ohne deutschem Paß mit einem Multi-Kulti-Radebrech herumschlagen. Sie reden wie ihnen der Schnabel verwachsen ist. Das sind Vorboten einer Gesellschaft, die sich auf dem Niveau der Gossensprache nivelliert. Doch Ghettosprache ruft nach Gewalt, weil sie zur Bewältigung von Konflikten zu armselig ist.

Die Regierenden verfahren mit der Nation so wie mit der Sprache: sie lassen sie verkommen. Der Bundespräsident klammert in seinem Aufruf zur Bildungsoffensive die deutsche Sprache wohlweislich aus. Wenigstens scheint ihm bewußt zu sein, wie wenig er selbst zur Ästhetik der deutschen Sprache beitragen kann.

Wieder einmal gibt nur noch der Blick ins europäische Ausland Hoffnung. In Frankreich, England oder Italien kann man die politische Elite an ihrer Sprache erkennen. Übrigens: "radebrechen" kommt aus dem Mittelhochdeutschen und heißt "auf dem Hinrichtungsrad die Glieder brechen". Das ist die Lage der Nation.


 
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