© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Bildungssystem: Eine längst fällige Erkenntnis
Zurück zur Leistung
von Wilhelm Storck

Vor gut dreißig Jahren rief der "Reformpädagoge" Georg Picht den angeblichen "Bildungsnotstand" aus. Im Zuge des damaligen linken Zeitgeistes, den die 68er-Umstürzler noch kräftig ideologisch anfachten, wurde dann das Erziehungs- und Bildungswesen in Deutschland grundlegend verändert, insbesondere in den SPD-regierten Bundesländern. Der Erfolg ist nach einer Generation offenkundig: Bildungsnotstand auf allen Ebenen, von der Hauptschule bis zur Universität.

Als die vermeintlich progressiven "Reformer" Mitte der sechziger Jahre das deutsche Erziehungswesen zu "demokratisieren" begannen, waren die Schulen und Hochschulen noch in Ordnung, klage niemnd über schlechte Leistungen, gab es keine Akademikerschwemme. Doch die 1949 aus den USA zurückgekehrte neomarxistische "Frankfurter Schule" unter Max Horkheimer und Theodor Adorno konnte sich im Rahmen der alliierten Umerziehung in ihrem ideologsich verblendeten Kampf gegen Leistungswillen und natürliche Autoritäten allmählich durchsetzen. Die "antiautoritäre Schule" galt als Vorbild, das Ansehen der Lehrer wurde abgebaut, Noten als Leistungsnachweise verloren an Bedeutung, wurden gar in Betragen und Führung ganz abgebaut, Diskutieren rangierte vor Lernen, statt Förderung von Eliten wurde Gleichmacherei praktiziert, jeder sollte möglichst das Abitur machen können und dann studieren. Da das bei den früheren Leistungsanforderungen nicht erreichbar war, wurden diese gesenkt. Aufnahmeprüfungen für die weiterführenden Schulen wurden abgeschafft und vielfach Gesamtschulen als Einheitsschulen eingeführt. Quantität sollte Qualität ersetzen, die Studentenzahlen explodierten.

Die marxistischen Irrlehren konnten sich damals bis weit in die bürgerlichen Parteien hinein durchsetzen. Die liberalistische FDP zum Beispiel machte von vornherein den Gleichmachungskurs mit, der in ihr besonders von dem redegewandten Ralf Dahrendorf vertreten wurde, der später nach dem offensichtlichen Scheitern seiner Utopien – insbesondere seines Gesamthochschulplans – nach England übersiedelte.

Bald darauf setzte zwar schon eine – von der Wirklichkeit erzwungene – "Reform der Reform" ein, aber keine grundsätzliche Besserung. Die von Bundeskanzler Helmut Kohl 1982 versprochene und von vielen erhoffte "geistige Wende" blieb eben auch im Bildungsbereich aus.

Heute, eine Generation nach dem Umbruch im Bildungswesen, ist der Katzenjammer groß: "Es herrscht also wieder ein Bildungsnotstand, diesmal nicht in der Masse, sondern in der Qualität des Gewußten und Gelernten stellte unlängst Alexander Kudascheff in einem Kommentar ausgerechnet im Hessischen Rundfunk fest, der früher als "Rotfunk" das Sprachrohr der "Frankfurter Schule" war. "Abiturienten, die noch nie eine Zeile von Goethe gelesen haben und trotzdem Germanistik sutdieren wollen, sind keine Einzelfälle, und Philosophiestudenten, die sich offen beklagen, die Hauptwerke von Kant und Hegel seien zu lang, und die sich mit einer Kurzfassung begnügen wollen oder begnügen, keine Ausnahme." Sein Therapievorschlag: "Eine radikale Reform, die Grundschulen, Gymnasien und Universitäten umfaßt. Das Ziel der Reform kann dabei nur lauten: zurück zur Leistung. Sonst wird der zweite Bildungsnotstand zur Bildungskatastrophe."

Auch Bundespräsident Roman Herzog hat anscheinend nun die Zeichen der Zeit erkannt. Auf einem Forum der Berliner Universitäten vor 1.700 Zuhörern im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt verlangte er Anfang November eine umfassende und grundlegende Bildungsreform. Deutsche Hochschulen – früher hochangesehen in der ganzen Welt und in der ersten Hälfte unseres Jahrunderts die Ausbildungsstätte vieler Nobelpreisträger – seien heute "nicht mehr gut genug", so daß "die besten Köpfe dieser Welt auf der Suche nach den besten Ausbildungsmöglichkeiten nicht mehr nach Deutschland kommen". Nach Herzog geht es heute darum "Tabus zu beseitigen, Irrwege abzubrechen und falsche Mythen zu beseitigen". Es gebe keine Bildung ohne Ansterngung. "Wer die Noten aus den Schulen verbannt, der schafft Kuschelecken, aber keine Bildungseinrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend vorbereiten." Es sei ein Irrglaube zu meinen, so das Staatsoberhaupt, ein Bildungssystem komme ohne Vermittlung von Werten aus. Und er forderte die "Vermittlung von Tugenden" wie "Verläßlichkeit, Pünktlichkeit und Disziplin, vor allem aber der Respekt vor dem Nächsten und seinen Überzeugungen".

Das ist erfreulich und deutlich. Die Frage ist nur, wer in den vergangenen dreißig Jahren für die Entwicklung zum heutigen Bildungsnotstand verantwortlich war. Trotz der Mahnungen und Warnungen verantwortungsbewußter Pädagogen und rechter Politiker haben die Kultusminister von SPD und CDU gleichermaßen die Irrlehren der radikalen Linken in die Schulpraxis eingeführt, haben sie die nun vom Bundespräsidenten beklagten Irrwege durchgesetzt und einer ganzen Generation junger Deutscher nicht die zur Gestaltung von Gegenwart und Zukunft notwendige Ausbildung ermöglicht. Die verheerenden Folgen dieser Politik werden nun zwar endlich allgemein anerkannt. Nach den Schuldigen aber fragt niemand.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen