© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Östereich: "Neue Kronen-Zeitung"-Kolumnist Wolf Martin über seinen Weg von links nach rechts
"Integration bedeutet Anpassung"
von Jürgen Hatzenbichler

 Herr Martin, was produzieren Sie mit "In den Wind gereimt" eigentlich? Ist das für Sie Kunst, sind das Gstanzeln? Was ist das, was da in der "Kronen-Zeitung" Tag für Tag abgedruckt wird?

MARTIN: Ich würde es als Reim-Kolumne bezeichnen, als eine Kolumne in der Form von Gedichten. Als Kunstgattung – denn es ist auch Kunst – würde ich es unter Lyrik subsummieren. Es ist Gebrauchslyrik, wenn sie so wollen. Dieses Wort hat Erich Kästner geprägt und es trifft auf diese Gattung zu, die es gibt, seit es Zeitungen gibt. Besonders im Vormärz hat man sie gepflegt, was auch eine Zeit mit einer starken Gesinnungsdiktatur war.

Wie wird man vom Linken zum sozusagen "führenden Ideologen der Rechten" in Österreich? Immerhin erreichen Sie mit Ihren Versen mehr Leute als andere, die im intellektuellen Bereich tätig sind, und andererseits verbreiten Sie über Ihre Reime ja auch bestimmte Inhalte.

MARTIN: Wie man vom Linken zum Rechten wird, das geht nach dem Muster, wie es Clémenceau beschrieben hat: Wer in der Jugend nicht links ist, der hat kein Herz. Wer aber im Alter noch immer links ist, der hat kein Hirn. Ich hoffe, sehr wohl Herz wie auch Hirn zu besitzen.

Was war für Sie das Ausschlaggebende für den Wandel?

MARTIN: Die Ereignisse. Wir haben die Früchte des Marsches durch die Institutionen kennengelernt. Denn die Neue Linke von ’68 ist ja mit dem Anspruch angetreten durch die Institutionen zu marschieren und sie hat dabei auch ihre Früchte gezeigt. Ich habe diese Früchte angeschaut, ich habe sie auch als Staatsbürger am eigenen Leib verspürt, und bin langsam zu der Überzeugung gekommen, daß das für die Welt nicht das Beste ist – das liegt sicher nicht in Utopien, die einen anderen Menschen voraussetzen würden, einen besseren Menschen, als er es leider ist.

An welchen Wertmaßstäben liegt Ihnen etwas?

MARTIN: Genau an diesen unvereinbaren Prinzipien: Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit. Alle diese drei Prinzipien sind ja untereinander widerstrebend. Wenn man vom einen was dazugibt, muß man beim anderen was wegnehmen. Es läuft eigentlich darauf hinaus, daß wir eine möglichst ideale Ausgewogenheit dieser drei Grundprinzipien anstreben müssen. In unserem Land scheint man mir allerdings der Freiheit mehr die Zügel schießen zu lassen als der Sicherheit. Das ist der Grund, warum es mir eher aufstößt, wenn die Sicherheit vernachlässigt wird.

"Ich halte die multikulturelle Gesellschaft für die Quelle von Unruhen und Kriminalität"

Mit "In den Wind gereimt" haben Sie öfter Tabus verletzt, Minderheiten angegriffen, zum Beispiel indem Sie auf die Ausländerfrage eingegangen sind. Was halten Sie von "political correctness"?

MARTIN: Man tut nichts für die Rechte von anständigen Zuwanderern, wenn man ausländische Drogendealer für sakrosankt erklärt, nichts für Rechte der Frauen, wenn man die Sprache vergewaltigt, und nichts für die Schwulen, wenn man behauptet, daß diese stinknormal und kerngesund wären. Mein Bestreben gilt dem Schutz von ohnmächtigen Gruppen, von Minderheiten, die vielleicht nicht zahlenmäßig in der Minderheit sind, aber sehr wohl in ihren Rechten, in ihrer Macht zu eingeschränkt sind. Dieser Impetus ist bei mir vorherrschend. Ich bin gegen die multikulturelle Gesellschaft und daß man sie fördert und politisch Maßnahmen ergreift, damit sie hier stattfindet. In jedem Land hat es immer ein gewisses Maß an Zuwanderung gegeben. Dazu gehört das Prinzip der Integration, die setzt Anpassung von Seiten der Zuwanderer voraus. Und es gehört das Prinzip dazu, daß das Maß der Einwanderung erträglich bleibt. Australien oder die USA vor hundert Jahren waren ein anderer Fall von Einwanderung als es Österreich heute ist. Wenn ich mich gegen Immigration wende, dann wende ich mich nicht gegen eine Minderheit, sondern gegen eine drohende Mehrheit, dagegen, daß eine für die Gesellschaft nicht mehr förderliche Anzahl von Immigranten zusammenkommt, die dann eine multikulturelle Gesellschaft hier konstituieren, die ich für die Quelle von Krieg, sozialen Unruhen und Kriminalität halte. Diese Entwicklung zeigt sich ja in Amerika oder in Deutschland ganz kraß. Da ist es bei uns ja noch vergleichsweise friedlich.

Hier gibt es doch einen riesengroßen Graben zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung. Der Vorwurf gegen Sie ist der, daß Sie in dieser Frage über die Verkürzung durch Verse eine Hetze betreiben, die die Lufthoheit über den Stammtischen hat.

 

MARTIN: Es liegt im Wesen eines Gedichtes, daß es verkürzt. Und ein kluger Rabbi hat einmal gesagt, daß, was man nicht auf dem linken Bein stehend sagen kann, sowieso zu vergessen ist. In dem Sinne verkürze ich, denn ich bemühe mich, etwas auf den Punkt zu bringen. Damit ist die satirische Gebrauchslyrik der Karikatur verwandt, die man, wenn man sich getroffen fühlt, natürlich leicht als "Hetze" beschimpfen könnte – denken Sie nur an die Antiklerikalismen und leicht zu mißbrauchenden Paradoxien eines Manfred Deix.

Ist da nicht ein notwendiger Unterschied zwischen der Verkürzung, gerade in Ihren Versen, und der vollen Länge einer intellektuellen Diskussion, die für manche Themen notwendig ist?

MARTIN: Das ist für mich kein Problem, weil ich mich lieber kürzer, prägnant und lapidar ausdrücke, als um den Brei herumzureden. Ich denke, es wird heute überhaupt zuviel um den Brei herumgeredet.

Freuen Sie sich über die Erregung, die ihre Verse bei politischen Gegnern auslösen?

MARTIN: Sie ist zu erwarten. Denn wer selbst austeilt, wer unangenehme Wahrheiten sagt, der kann nicht nur Freunde haben. Außerdem ist eh klar, daß jeder, der bei der Kronen-Zeitung schreibt, so ziemlich allen anderen suspekt ist. Das ist ein Reflex, der über den Schreibenden hinausgeht. Wenn jemand, wie der Manfred Deix, der in der linken Szene beliebt ist, plötzlich für die Krone zeichnet, schon kreischen alle und erklären ihn zum "Verräter". Da geht es schon längst nicht mehr um Auseinandersetzung, sondern daß man etwas mit Totschlägerphrasen eindeckt. Wer politisch für die Kronen-Zeitung schreibt, der muß schon aus diesem Mechanismus heraus "der Böse" sein.

Was macht eigentlich das Wesentliche Ihrer Arbeit aus? Sind Ihre Meinungen im Trend oder beziehen sie sich eher auf Volkes Stimme, auf den Stammtisch, und bringen Sie das dann in Versform?

MARTIN: Ich beziehe mich nur auf meine innere Stimme. Ich schreibe nur dann, wenn mich etwas ärgert. Ich ärgere mich oft, darum fällt mir auch oft was ein. Wenn man allerdings nicht unter die Leute käme, wäre das schlecht. Und ganz schlecht wäre es, wenn ich nur unter Journalisten verkehren würde. Ich habe eh den Verdacht, daß das einige österreichische Journalisten am liebsten tun: die verkehren lieber mit Journalisten und vielleicht noch Politikern – und so schaut das dann auch aus, wenn sie was schreiben. Ich wohne im Volk, alter Gemeindebau mit ganz kleinen und gewöhnlichen Leuten, von denen ich einer bin. Ich habe auch meine Freundeskreise im Kaffeehaus, im Beisl, an Stammtischen mit großer Meinungsvielfalt. Ich würde aber nie von dort nach Hause gehen und sagen: "Aha, da habe ich jetzt das gehört. Das muß ich schreiben." Da eher das Gegenteil. Es ist aber wohl etwas in mir, das sich das denkt, was sich wohl eine große Mehrheit in Österreich auch denkt. Das ist eine glückliche Koinzidenz, und kein Abschreiben von Abgehörtem. Ich wage ja nicht das Wort "gesunder Menschenverstand" zu sagen, aber vielleicht ist so eine Spur von dem in mir da…

Das ist ja schon wieder so ein häßlicher Begriff.

MARTIN: Vielleicht, weil man es mit dem "gesunden Volksempfinden" assoziiert. Auch dieses ist nicht so schlecht, wie man es macht. Das Volk ist zumindest weiser als die Volksbeglücker. Und wenn sein Empfinden krank wäre, wäre ja seine Herrschaft, also die Demokratie, etwas Entsetzliches. Leider stellen die vielen Menschen, die noch gesunden Verstand und gesundes Empfinden haben, eine politische Minderheit dar, weil sie ja wenig Artikulationsmöglichkeiten, wenig Macht besitzen. Die Minderheit ist nicht immer nur eine zahlenmäßige, sondern auch eine lobbymäßige. Die Bevölkerung ist heute in einer nicht sehr demokratiegemäßen Lage, da das bei weitem mächtigste Medium des Landes, der ORF, sich durchaus in den Händen der politisch Korrekten befindet. Und alle anderen Zeitungen zusammengenommen, mit Ausnahme der Krone und ein bisserl der Presse, sind irgendwie gleichgeschaltet. Ich würde da wirklich ganz bewußt dieses historische Reminiszenzen weckende Wort "Gleichschaltung" verwenden (…) Eine Gleichschaltung, die sich vielfach gegen den Willen der Bevölkerung richtet, siehe multikulturelle Ziele. Gegen die schreibe ich. Und da schreibe ich für eine diskriminierte Gruppe, denn wenn sie sich nur im Kaffeehaus und am Stammtisch äußern kann, läßt das schon Rückschlüsse zu.

Also: Prinzipiell oppositionell?

MARTIN: Es ist, möchte ich glauben, sogar die Aufgabe des Journalisten, ein prinzipieller Nein-Sager zu sein, weil Ja-Sager gibt es eh schon genug. Das Offizielle und die Macht sagen sowieso Ja.


 
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