© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Kolonialkrieg: 1917 hieß es "Luftschiff marsch!" gen Deutsch-Ostafrika
Gewagtes Unternehmen
von Jürgen Mohn

 

Zu den denkwürdigen Ereignissen des Ersten Weltkrieges zählt der Kampf der Schutztruppe unter General Paul von Lettow-Vorbeck in Deutsch-Ostafrika. Auch wenn ihr abenteuerlich anmutender Waffengang auf dem Gebiet des heutigen Tansania den Kriegsverlauf insgesamt kaum beeinflussen konnte, verdient er allzeit jeden Respekt.

Zur Erinnerung: Bei Kriegsbeginn war die Schutztruppe rund 14.000 Mann stark, unter ihnen 3.000 Weiße. Im November 1914 wurde ein britischer Landungsversuch etwa 180 Kilometer südlich von Mombasa, bei Tanga, erfolgreich vereitelt. An der Nordgrenze zur englischen Kolonie Kenia konnte sie sich ebenfalls bis zum Frühjahr 1916 behaupten. Danach gelang es der quantitativ weit überlegenen alliierten Streitmacht zunehmend, die von ihren Nachschublinien abgeschnittene Schutztruppe von der Nordgrenze und der Küste nach Südosten abzudrängen.

Kaum bekannt ist nun allerdings, daß im Sommer 1917 der kühne Plan entworfen wurde, Lettow-Vorbeck in seiner prekären Lage vom Reich aus zu unterstützen. Mit einem Zeppelin sollten der so dringend benötigte Proviant, Arzneimittel und Verbandsstoffe, Waffen, Munition und Ausrüstung nach Ostafrika geflogen werden. Das gerade im Bau befindliche Marineluftschiff
L 59 wurde für diesen Zweck durch zwei zusätzliche Gaszellen auf 226 Meter verlängert, so daß es fünfzig Tonnen Nutzlast zu transportieren vermochte.

Die Ladung bestand neben anderem aus 30 Maschinengewehren, mehr als 300.000 Patronen, drei Sack Nähzeug sowie 61 Sack Sanitätsmaterial. Nach geglückter Landung auf dem schwarzen Kontinent sollten auch die Materialien des Zeppelins praktischen Gebrauch finden: aus Hülle und Gaszellen konnte man Tropenanzüge, Zelte und wasserdichte Schlafsäcke anfertigen, das Aluminiumgerippe für Funkmasten oder Tragbahren verwenden. Mit dem eigens aus Leder hergestellten Boden im Laufgang der Gondeln schließlich sollten die Deutschen und Askaris ihre Stiefel besohlen.

Am 21. November 1917, fünf Uhr morgens, war es dann tatsächlich so weit – der gewaltige Marinezeppelin begann im bulgarischen Jambol seine Reise durchs Luftmeer. Mit 70 Stundenkilometern und einer Steighöhe von bis zu 8.200 Metern schwebte die L 59 über das Mittelmeer weiter Richtung Ägypten und Sudan. Die auf der Strecke liegenden deutschen Fliegerkräfte wurden vorab über die Flugroute informiert, um notfalls bei feindlichen Attacken auf den Zeppelin einzugreifen. Als die L 59 gerade das sudanesische Karthum überflog, erhielt Kapitänleutnant Bockholdt per Funkspruch den Befehl, sofort zurückzufliegen, da sich die Schutztruppe im Makonde-Hochland auf portugiesischem Terrain den Engländern ergeben habe. Nachdem Tausende von Kilometern – der Großteil der Strecke – absolviert waren, drehte Bockholdt schweren Herzens um und traf nach 95 Stunden wieder in Jambol ein. Erst später stellte sich heraus, daß der Funkspruch aufgrund einer von den Briten lancierten Falschmeldung erfolgte – es war einer der ersten großen englischen Propaganda-Coups.

Nach diesem Fehlschlag hat der Admiralstab keinen zweiten Anlauf mehr unternommen. So sahen sich die Soldaten und Träger um Lettow-Vorbeck gezwungen, selbst in irgendeiner Weise zurechtzukommen. Gegen Ende des Jahres 1917 schwanden jedoch die Kräfte und Reserven der Schutztruppe immer mehr.

Mit einem kleineren Teil seiner Mannschaft, der sich weiteren körperlichen Strapazen noch gewachsen fühlte, wich Lettow-Vorbeck in das südlich angrenzende Portugiesisch-Ostafrika aus. Seit im Herbst 1916 Lissabon auf alliierter Seite in den Krieg eingetreten war, sanken die Erfolgsaussichten in der deutschen Kolonie rapide. Ihr Überleben mußte sich die Truppe durch Selbstversorgung und Überfälle auf feindliche Depots sichern. Durch ständige schnelle Bewegung gelang es, der Einkreisung und Vernichtung durch Briten, Belgier und Portugiesen zu entgehen.

Lettow-Vorbeck plante und hoffte, von Mosambik aus in westlicher Richtung quer durch die heutigen Staaten Malawi und Sambia das Territorium von Angola zu erreichen, das von Kriegshandlungen verschont geblieben war. Auf diesem Wege erhielt er am 13. November 1918 die Nachricht von der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens.


 
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