© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Axel-Springer-Verlag: Konzernchef Jürgen Richter geht vorzeitig von Bord
Wie weiland der Sultan
von Andreas Wild

Es ist mittlerweile eine unendliche Geschichte, die Geschichte der Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Deutschlands zweitgrößtem Verlagskonzern. Seit dem Tod des Firmengründers im September 1985 wechselten sich die Herren in immer rascherer Reihenfolge ab, und mit jedem neuen Machtantritt ging ein Stück des typischen "Springercharakters" verloren, jener unverkennbar konservativen, vaterländischen Grundhaltung, für die das Unternehmen einst berühmt gewesen war.

So hatte bereits 1992 Henno Lohmeyer in seiner Axel-Springer-Biographie Grund zu der Feststellung: "Das Haus, das Axel Springer gebaut hat, steht nicht mehr." Er bezog dies auf "den Geist und die Grundsätze des Verlages, die Gedanken und Gefühle, die Verpflichtungen, die sein Schöpfer verankert wissen wollte, seine Visionen, sein Vermächtnis". Statt dessen sei das Haus geworden, was Springer nie wollte: "eine Groß-Schlachterei".

Unter Jürgen Richter (56), dessen vorzeitiges Ausscheiden zum Jahresende – nach nur reichlich zweijähriger Amtstätigkeit – am Freitag vergangener Woche bekannt gegeben wurde, machte das Haus einen besonders tiefen Sprung ins Diffuse und Unverbindliche. Hatte man bei Richters Antritt hier und da noch auf eine positive Wende gehofft, auf ein Wiederanknüpfen an die von Axel Springer begründete Tradition, so sind mittlerweile sämtliche diesbezüglichen Illusionen gründlich verflogen. Richter hat die Blätter, Verlage und Nachrichtendienste des Hauses Springer definitiv in reine Beiläufigkeiten verwandelt, in politische Gummilöwen, die nicht mehr brüllen, sondern nur noch quietschen können. Die Parolen geben inzwischen andere aus, – FAZ und Spiegel, der Suhrkamp Verlag, dpa –, während Springer nur noch nachplappert.

Insofern könnte einen der neuerliche Machtwechsel an der Springer-Spitze gleichgültig lassen, er gäbe gerade eine Zehnzeilenmeldung her. Aber die "Causa Richter" ist in anderer Hinsicht interessant. Sie liefert nämlich einen höchst lehrreichen Anschauungsunterricht zum Thema "Manager in Deutschland", wirft kuriose, auch deprimierende Schlaglichter auf einen Berufsstand, der sich längst als nationale Elite fühlt und im Inneren dennoch völlig verunsichert ist, was sich dann in Ersatzhandlungen ausdrückt, die manchmal den Bereich der Lächerlichkeit streifen.

 

Richter trat von Anfang an als der große Auslüfter auf

Jürgen Richter war und ist geradezu die Verkörperung dieses neudeutschen Typs Möchtegern-Elite. Obwohl er kaum fremde Sprachen spricht und seine Berufserfahrungen bisher ausschließlich in der tiefsten deutschen Provinz sammelte, gibt er sich krampfhaft als "global player", der "die engen Grenzen nationaler Entscheidungsräume aufsprengen" und "das große Spiel des Shareholder Value mitspielen" möchte.

Bei Springer trat er von Anfang an als der große Auslüfter auf, der den Mitarbeitern immer wieder (beispielsweise und ausgerechnet in einer Rede am Grabe des Firmengründers) erklärte, daß die "alte Ära" nun beendet sei und überall neue Saiten aufgezogen würden. Zustatten kam ihm dabei, daß in der Zeit direkt vor seinem Machtantritt (infolge sinkender Papierpreise und durch "Verschlankungsmaßnahmen" auf Grund eines Gutachtens des Unternehmensberaters Roland Berger) eine günstige Ertrags- und Gewinnlage hergestellt war, die Richter nun ungeniert als eigenes Verdienst ausgab. So galt er eine Zeitlang als Erfolgsmodell und wurde sogar zum "Manager des Jahres" gekürt.

Da hatte er jedoch schon buchstäblich abgehoben und jede Bodenhaftung verloren. Er schmiß faktisch den gesamten Vorstand aus der Leitungs-Etage, wollte alles alleine machen und düpierte selbst den Aufsichtsrat, dem er jedes Mitspracherecht bei der Bestallung von Chefredakteuren und Verlagsleitern bestritt. Auch die Großaktionäre des Konzerns, allen voran Leo Kirch, machte er sich bewußt zu Feinden. So begann er etwa mit Kirch einen verlustreichen Einflußkampf um den Fernsehsender Sat 1 oder stritt sich mit ihm in aller Öffentlichkeit über die Qualität oder Nichtqualität wichtiger Chefredakteure des Hauses.

Bald hielt er es nicht mehr auf seinem Vorstandssessel aus, erschien immer öfter unangemeldet in den Redaktionskonferenzen und Chefbesprechungen der einzelnen Zeitungen und konfrontierte die Chefredakteure unverblümt mit Forderungen, dies und das entweder zu veröffentlichen oder nicht zu veröffentlichen. Ohne die Vorgesetzten auch nur davon zu unterrichten, setzte er aus eigener Machtvollkommenheit Redakteure ab oder wies ihnen neue Aufgaben zu – wie zuletzt dem Vize der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, den Richter zum Chef des bedeutungslosen Springer-Auslandsdienstes (SAD) "befördern", in Wahrheit aber aufs Abstellgleis schieben wollte. Bild-Chefredakteur Claus Larass fühlte sich zu Recht düpiert und drohte verlagsintern mit Rücktritt. Am Ende mußte Richter in dem Machtkampf klein beigeben

Den überaus erfolgreichen Leiter der Verlage Ullstein und Propyläen, Herbert Fleissner, drängte er zum Jahresende 1995 gänzlich aus dem Haus und stoppte dessen anspruchsvolles, konservativ geprägtes Verlagsprogramm. Neuerscheinungen, wie Karlheinz Weißmanns Propyläenband "Der Weg in den Abgrund" über die Geschichte des Dritten Reiches, wurden eingestampft oder aus dem Verlagsprogramm entfernt, ohne daß die meisten Autoren auch nur eine Mitteilung darüber bekamen. Ullstein und Propyläen sind seitdem als führende Mitgestalter des deutschen Buchmarkts faktisch nicht mehr vorhanden.

Die linke Publizistik, die Richter zunächst als einen "Freund von Bundeskanzler Kohl" madig zu machen versucht hatte, sah das natürlich alles mit Wohlgefallen und spendete dem neuen Konzernchef, der sich so rasant in ihrem Sinne entwickelte, rauschenden Beifall. Der Spiegel pries ihn als einen Mann, der das Haus Springer endlich "in die schwarzen Zahlen" geführt hätte – und mußte eine Woche später wohl oder übel einen Leserbrief des von Richter geschaßten Finanzchefs Claus Liesner veröffentlichen, in dem dieser darauf hinwies, daß der Springer-Verlag "in jedem Jahr seiner 51jährigen Geschichte" stets schwarze Zahlen geschrieben habe. Süffisant merkte er an, daß bereits im Juli 1994 der damalige Vorstand weitere Gewinnsteigerungen für die nächste Jahre angekündigt habe. Liesner: "Erst damach übernahm Dr. Richter den Vorsitz."

Inzwischen entwickelte Richter Eigenheiten, die seine Unsicherheit und seinen Minderwertigkeitskomplex unübersehbar zutage förderten. Wie weiland der Sultan Harun al Raschid streifte er frühmorgens durch die Korridore des Springer-Hauses, um mit den Raumpflegerinnen zu sprechen und zu testen, ob sie ihn denn auch kennten. Er zwängte seinen stattlichen Leib in einen quittengelben, flunderflachen Ferrari, und bei Inlandflügen zwischen Berlin und Hamburg pflegte er, wenn die Maschine in Turbulenzen geriet und es ein bißchen wackelte, wutschnaubend, ins Cockpit vorzudringen und die Piloten zur "Kurskorrektur" aufzufordern.

Unterstützung und Beifall von der linken Publizistik

Eine weitere auffällige Marotte des Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Richter war seine Titelsucht. Er wollte so gern Professor werden, obwohl er in seinem ganzen Leben noch nie eine ordentliche akademische Vorlesung absolviert hatte. So bewog er denn eine obskure hanseatische Schauspielschule, ihn zum "Professor für Medienfragen" zu ernennen. Ganz Hamburg hielt sich den Bauch vor Lachen. Und Johannes Gross notierte scharfzüngig in seinem FAZ-Notizbuch, es sei "einfacher, die Bedeutenden aufzulisten, die den Ehrentitel nicht haben und nicht haben wollen". Aber für "die mittleren Kaliber", so Gross, "bleibt ein schönes Feld der Erfüllungen, schön auch für die Umwelt, welche die Namen nicht mehr zu speichern braucht".

Viel gelacht wurde auch über einen eher unbeabsichtigten Fauxpas, den der von Richter mit großem Aplomb aus der Provinz nach Berlin geholte Welt-Chefredakteur Thomas Löffelholz beging. Als mitten im Sommerloch das Bundesverfassungsgericht sein spektakuläres "Kruzifixurteil" verkündete und die gesamte konservative Presse (und nicht nur sie) den Vorgang voller Empörung kommentierte, erschien ausgerechnet in der Welt ein ohne jede Einschränkung zustimmender Artikel – aber nicht etwa, weil die Zeitung tatsächlich gegen die Kruzifixe in den Schulen war, sondern einfach weil "Löffel" die Brisanz des Vorgangs überhaupt nicht erkannt und ein religiös notorisch uninteressiertes "Nordlicht" mit der Kommentierung beauftragt hatte.

Mustert man die Strecke all der in der kurzen Zeit von nur zwei Jahren von Richter zu verantwortenden Peinlichkeiten, so muß man sich fragen, wieso es mit diesem Vorstand trotzdem so lange gut gehen konnte. Der Mann hat sich jedermann zum Feind gemacht: die Belegschaft und die Chefredakteure, den Aufsichtsrat und den Großaktionär Kirch, das Bonner Presseamt der Bundesregierung und die Piloten der Lufthansa – weshalb ist er dann nicht schon früher in die Wüste geschickt worden?

Die Antwort sagt eben viel über die derzeitigen Zustände in Deutschland: Auf der Seite von Richter standen erstens die sogenannten Shareholder (früher "Kuponabschneider" genannt) und zweitens die linke Presse, allen voran der Spiegel. Mit diesen Gewalten im Rücken glaubte Richter sich unverdrossen dick machen zu können. Besonderen Rückhalt erhoffte er sich von der Mehrheitsaktionärin Friede Springer; hinter deren Schild verbarg er sich bei seinen Eskapaden. Eines Tages jedoch zog Friede Springer, von besorgten Hausjuristen diesbezüglich beraten, den Schild weg, und da half selbst das "backsiding" der linken Presse nichts mehr. Für Jürgen Richter blieb nur noch der Rücktritt.

Er vollzog ihn im Stile der beleidigten Leberwurst. "Nach den jüngsten Ereignissen und ihrer publizistischen Kommentierung", ließ er verlauten, "und nach den damit verbundenen persönlichen Diffamierungen stehe ich nicht mehr zur Verfügung." Nun muß also der Aufsichtsrat des Springer-Konzerns einen neuen Vorstandsvorsitzenden ernennen, die Nummer sechs inzwischen nach der wahrhaftig nicht mit Ruhm bedeckten Fünfkämpfer-Truppe Tamm-Wille-Prinz-Kaiser-Richter.

In den Startlöchern steht, wie das Handelsblatt spekulierte, der bisherige Thyssen-Chef Dieter Vogel (55), der wahrscheinlich im Kampf um den Chefposten des neu gegründeten Stahlkonzerns Thyssen-Krupp gegen seinen Konkurrenten Gerhard Cromme unterliegen wird und für den deshalb ein anderer schöner Posten freigemacht werden muß. Vogel hat zwar Anfang dieser Woche entsprechende Ambitionen bereits dementieren lassen, doch die deutsche Managerklasse läßt keinen der ihren im Stich, auch wenn er im Inneren noch ungefestigt sein sollte und Minderwertigkeitskomplexe hat.

Im Springer-Haus macht sich Galgenhumor breit

Vogel ist, wie könnte es anders sein, Fachmann für alle möglichen Stahllegierungen; mit den Medien hat er bisher nur insofern zu tun, als er im Aufsichtsrat des Bertelsmann-Konzerns sitzt. Galgenhumor macht sich im Springer-Haus breit: "Wir hatten", heißt es dort, "nach dem Tod von Herrn Springer zwar schon einmal einen Manager der Zigaretten-Industrie als Vorstandsvorsitzenden, nämlich Herrn Wille, doch der verstand wenigstens etwas von Papier, von Zigarettenpapier. Was sollen wir, um Himmels willen, mit einem Fachmann für Stahl? Oder soll etwa künftig wieder ein etwas stählernerer Kurs gefahren werden? Das wäre dann wirklich etwas ganz und gar Neues."


 
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