© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/97  28. November 1997

 
 
Paris: Streit um "Schwarzbuch des Kommunismus"
Banalität des Bösen
von Alain de Benoist

 Die ganze politische Klasse Frankreichs diskutiert zur Zeit über ein Sammelwerk mit dem Titel "Das Schwarzbuch des Kommunismus" (Le livre noir du communisme), das unter der Leitung von Stéphane Courtois anläßlich des 80. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution im Verlag Éditions Robert Laffont herausgegeben wurde. Das Buch, das sich im wesentlichen auf die heute den Historikern zugänglichen Moskauer Archive stützt, hat bestätigt, daß die Bilanz des Kommunismus, die der gerade verstorbene französische Ex-Kommunistenchef Georges Marchais als "im großen und ganzen positiv" bewertet hat, sich auf etwa 100 Millionen Tote beläuft. Diese Ziffer ist schon an sich schrecklich. Aber nicht sie provoziert die Kontroverse, sondern ihre Interpretation. Es handelt sich um die Frage, ob die kommunistische Idee bereits in sich kriminell angelegt gewesen ist, ob sie ihrer Möglichkeiten nach auf Vernichtung hinauslief und – vor allem –, ob es möglich ist, Nazismus und Kommunismus miteinander zu vergleichen. Stéphane Courtois ist dafür, daß er diese doppelte Frage bejaht hat, öffentlich gescholten worden, er habe versucht, eine Symmetrie als optische Täuschung herzustellen. Indem er feststellte, daß der Kommunismus wesentlich mehr Menschen getötet habe als der Nazismus, habe er dazu beigetragen, die Verbrechen der Nazis zu "banalisieren". Der französische Premierminister Lionel Jospin ist stolz darauf, "niemals das Gleichheitszeichen zwischen Nazismus und Kommunismus" gesetzt zu haben. Und er ist nicht allein. Es ist natürlich keine ganz leichte Aufgabe zu zeigen, daß der Kommunismus wertvoller als der Nazismus sei, obgleich er noch zerstörerischer gewesen ist und vor allem, daß der Nazismus wesensmäßig mit nichts vergleichbar sei. Diejenigen, die sich auf solche Konstrukte einlassen, sind schon bald gezwungen, auf die verstiegensten Argumentationen zu zurückzugreifen. So behauptet Jean-Jacques Becker in der November-Ausgabe von L’Histoire, daß der Nazismus, verglichen mit dem Kommunismus, niemals "die selbe große Begeisterung" ausgelöst habe. Dazu führe man sich nur vor Augen, daß es etwa eine Million ausländischer Freiwilliger in der Waffen-SS gegeben hat, aber nur 35.000 in den Internationalen Brigaden. Die Verbrechen Lenins und Stalins resultierten aus einer Perversion des Kommunismus, der "an sich ein Ideal der menschlichen Befreiung" gewesen sei, so der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Frankreichs, Robert Hue, während die Verbrechen Hitlers sich ganz folgerichtig aus einer Ideologie ergeben hätten, die seit ihren Anfängen offen auf Gewalt und Haß ausgerichtet gewesen seien. Am Anfang ehrenvoll, sei das kommunistische Projekt am Ende verraten worden. Die kommunistische Idee sei eigentlich eine schöne Idee, die eine falsche Wendung genommen habe.

Ja, aber wie hat sie sich falsch gewendet? Wie hat sich der Traum in einen Alptraum verwandelt? Und wie kommt es, daß diese Umstände oft zu ähnlichen Resultat geführt haben? Abgesehen davon, ist es nicht sehr tröstlich zu wissen, daß man im Namen des Guten umgebracht wird (genaugenommen ist das wohl eher schlimmer).

Aber dieses Argument beruht auf einem Sophismus. Die Feststellung, daß der Nazismus ein Programm des Hasses war, macht nicht deutlich, warum die Massen ihn derartig unterstützt haben. Der Nationalsozialismus behauptete, das Gute für das deutsche Volk zu wollen, so wie der Kommunismus vorgab, das Gute für die Menschheit zu wollen. In beiden Fällen mußten die vermeintlichen Feinde der Verwirklichung dieser Ideen vernichtet werden. Die Utopie einer reinen Rasse oder einer klassenlosen Gesellschaft erforderte in beiden Fällen, daß das böse Prinzip – "minderwertige Rassen" oder eine erbliche "konterrevolutionäre Klasse" – ausgelöscht wurde, das den Anbruch einer perfekten Gesellschaft verhindern könnte. Folglich spricht es von dieser Perspektive aus gesehen keineswegs für den Kommunismus, daß er das "Gute" für die Menschheit wollte. Wenn man im Namen eines Volkes kämpft, schließt man aus diesem Volk diejenigen aus, die man bekämpft. Wenn man im Namen der Menschheit kämpft, kann man die Feinde der Menschheit nur außerhalb der Menschheit ansiedeln, das heißt, sie nicht als Nicht-Deutsche oder Nicht-Arier zu behandeln, sondern als Nicht-Menschen. Gerade weil der Kommunismus universalistisch war, weil er behauptete die ganze Menschheit von einem Teil der Menschheit mit Hilfe bürgerkriegsähnlicher Mittel zu befreien, hat er die Menschlichkeit am meisten verachtet.

Die fundamentale Frage ist also nicht, ob die kommunistische Idee am Anfang gut gewesen ist oder nicht, sondern ob diese Idee richtig war. Aber genau diese Frage wird nicht gestellt, weil man heutzutage in Kategorien der Moral und nicht in denen der Wahrheit urteilt. Der Nazismus und der Kommunismus waren beide falsche Ideen. Von daher sind Überlegungen, ob die Ideen mehr oder weniger "gut" waren ohne Belang, da beide Ideen, auch die "guten", bewiesen haben, daß sie töten können. Eine falsche Idee aber führt in die Katastrophe, sobald sie angewandt wird.

Wenn man das voraussetzt, kann man immer noch behaupten, Lenin sei kein Kommunist gewesen. Was aber war er dann?


 
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