© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/97  28. November 1997

 
 
Erlanger Medientage: Gewaltenteilung hat sich verschoben
Rosine für die Rächer
von Ernst Gerlach

 

Am vergangenen Wochenende fanden zum zwölften Mal die Erlanger Medientage statt. Der Verein "Bürger fragen Journalisten" (BfJ) hatte unter Mitwirkung des Würzburger "Instituts für Demokratieforschung" ins noble Transmar-Event-Hotel geladen, um mit Experten das Thema "Die Rolle der Medien im Gefüge des demokratischen Verfassungsstaates" zu diskutieren.

Obwohl zeitgleich der CSU-Parteitag abgehalten wurde, konnte Wolfgang Seelig, Ehrenvorsitzender des Vereins, einen vollen Saal begrüßen. Ministerialdirektor Wolfgang Gibowski, stellvertretender Vorsitzender der Bundespressekonferenz, kritisierte anschließend den von den Medien getragenen "pseudoliberalen Zeitgeist". Karl Inhofer, mittelfränkischer Regierungspräsident, mahnte in seiner Begrüßungsrede angesichts des rapiden Anstiegs der Vielzahl an Medien in diesem Jahrzehnt zur Gelassenheit.

Daß wissenschaftliche Vorträge mitreißend sein können, bewies der Soziologe Lothar Bossle von der Universität Würzburg, der auch Mitglied im Kuratorium des Vereins ist. Brillant erläuterte er den Weg "von der Dreiteilungslehre zur soziologischen Sechsgewaltenlehre in der modernen Demokratie". Die Auffassung, so Bossle, seit der Französischen Revolution habe sich der Begriff der Freiheit verselbständigt und seinen Siegeszug durch Europa angetreten, sei grundlegend falsch. Vielmehr habe der "Mythos der Gleichheit" die Freiheit verdrängt. Dies gelte insbesondere für den Medienbereich. Nach einer Abgrenzung der plebiszitären von der repräsentativen Demokratie wies Bossle auf die Hegelsche Rechtsphilosophie hin. Demnach könne Freiheit nur dann bestehen, wenn Rechtsstaatlichkeit, Ethik, Familie, Gesellschaft, Religion und Staat Bestand hätten. Diese Stufen der Freiheit lösten sich seit dem Zweiten Weltkrieg auf, so Bossle.

Er kam zu dem Fazit, daß es heute nicht mehr drei Gewalten gebe, sondern sechs. Die Massenmedien seien längst nicht mehr die vierte Gewalt, sondern die erste, da sie nicht nur das "Deutungsmonopol des Zeitgeistes" besäßen, sondern zudem von einer "Aufdringlichkeitsnähe zum Bürger" gekennzeichnet seien. Die zweite Gewalt seien die Gruppen, Verbände und Kirchen, zur dritten Gewalt in der modernen Demokratie seien die Parteien geworden.

Eindringlich warnte der Soziologe vor einer Erdrückung des Gleichgewichts zwischen den Gewalten besonders durch das Zusammenwirken von Medien und Rechtsprechung. "Moderatoren benehmen sich immer häufiger wie Staatsanwälte, und Staatsanwälte gebärden sich zunehmend wie Moderatoren", meinte Lothar Bossle.

Mit einem Appell für eine große Volksbewegung, die sich für den Erhalt des repräsentativen Charakters des Grundgesetzes einsetzt, rief Lothar Boss-le dem begeisterten Publikum zu: "Nie wieder Weimar!", Nie wieder Hitler!", Nie wieder Sozialismus!"

Der Verfassungsrechtler Armin Dittmann von der Universität Stuttgart-Hohenheim hob in seiner Betrachtung über die "elektronische Demokratie" und die "Auflösung der Gewaltenteilung" die Bedeutung der Massenmedien hervor. Dies war auch das Thema von Wolfgang Donsbach von der Universität Dresden, der in seinen didaktisch ausgefeilten Ausführungen – Folien, Folien, Folien – und immer an den Overhead-Projektor denken! – zur "Mediatisierung der Politik in der Informationsgesellschaft" die besondere Subjektivität der deutschen Berichterstattung feststellte.

Am Sonntagmorgen verlieh der Wissenschaftsjournalist Joachim Bublath die "Goldene Rosine" – die jährliche Auszeichnung des Vereins "zur Wahrung demokratischer Grundrechte in den Medien" (Eigenwerbung) – an Geert Müller-Gerbes, der sich mit seiner RTL-Sendung "Wie bitte?!" in besonderer Weise für den Bürger einsetze. Der erklärte Euro-Gegner Karl Albrecht Schachtschneider von der Universität Erlangen-Nürnberg schloß sich mit seinen staatsrechtlichen Überlegungen zu "Medien, Parteien und Verbände in der Republik" der Preisverleihung an.

Ein deutlicher Hinweis auf die nach wie vor hohe Qualität der Erlanger Medientage war die Besetzung des Podiums bei der offenen Aussprache zum Tagungsthema: Lothar Bossle, Ingo Friedrich (stellvertretender Parteivorsitzender der CSU), Michael Inacker (Chefkorrespondent der Welt am Sonntag), Günther von Lojewski (Noch-Intendant des Sender Freies Berlin) und nicht zuletzt das journalistische Urgestein Fritz Schenk (ehemals ZDF). Die Diskussion leitete der "Rächer der Entnervten" und frischgebackene Rosinenträger Geert Müller-Gerbes.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen