© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Tschechien: Arroganz und Machthunger haben Vaclav Klaus aus seinem Amt katapultiert
Götterdämmerung an der Moldau
von Ludek Pachmann

Die aktuelle Regierungskrise in der Tschechischen Republik kommt für Beobachter der Entwicklungen in den letzten sieben Jahren keineswegs überraschend. Den Hintergrund bildet eine uralte Konstellation: Zwei führende Politiker eines Landes, die zumindest in der Kunst ihrer Selbstdarstellung ihre Umgebung weit überragen, sind grundverschieden veranlagt und weisen nur eine Gemeinsamkeit auf: die Überzeugung nämlich, alleine zur Nr. 1 im Staate berufen zu sein. – Václav Havel und Václav Klaus.

Ein solches Konkurrenzverhältnis muß nach einer bestimmten Zeit zum Abgang eines der beiden Kontrahenten oder eventuell auch beider führen. In der ersten Phase dieser Auseinandersetzung hatte Staatspräsident Havel die meisten Trümpfe in der Hand: In Tschechien war die Person des Präsidenten immer ein quasi unantastbares Symbol der Nation. Der jetzige Amtsinhaber genoß zudem als Dissident den Nimbus der Geradlinigkeit, des Mutes und der charakterlichen Integrität, und seine philosophischen, von einem ganzen Stab von Beratern vorbereiteten Reden wurden hoch geschätzt. Und so äußerte sich Havel fast wöchentlich zu aktuellen Themen, was gemäß Verfassung eigentlich nicht Aufgabe des Präsidenten ist.

Regierungschef Klaus wurde von Anfang an wie der Schöpfer eines neuen Wirtschaftswunders gefeiert. Am nüchternsten fielen die Würdigungen des Reformers, der sich an den Vorstellungen seines Idols und Lehrers Milton Friedman und dessen "Chicago-boys" orientierte, noch im eigenen Land aus. Ausländische Politiker waren nicht selten schier aus dem Häuschen angesichts der vermeintlich segensreichen Folgen dieser Marktwirtschaft "ohne jedes Adjektiv" (was natürlich als Hieb gegen die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards zu verstehen ist), des eisernen Sparens und des Dogmas eines ausgeglichenen Haushalts, selbst wenn dies auf Kosten der dringend gebotenen Verbesserung der Infrastruktur ging. Pluspunkte konnte Klaus vor allem auch damit machen, daß er zwei an sich negative, aber dem Volke passende Einstellungen der beiden Präsidenten der Zeit zwischen 1918 und 1948 auf demagogische Weise nachahmte: ihre Herabsetzung der katholischen Kirche (O-Ton Klaus 1992: "Kirche ist ein Privatverein wie jeder andere") sowie ihre antideutschen Ressentiments (Klaus 1995: "Der Abschub der Sudetendeutschen war eine notwendige und angemessene Antwort auf die Verbrechen Hitlers – auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.").

Aber der Regierungschef ging in mancherlei Hinsicht zu weit, beispielsweise indem er seinen Rivalen Havel demütigte, als er dem Präsidenten öffentlich verbot, in die praktische Politik hineinzureden. Für seine Mitarbeiter war Klaus mit seiner ausgeprägten Arroganz fast noch unangenehmer als für seine Gegner: Einer nach dem anderen wurde von ihm vor den Kopf gestoßen. Und so warteten viele auf ihre Chance, die jedoch lange Zeit auf sich warten ließ, da der Ministerpräsident immer wieder aus dem Ausland schlagzeilenträchtiges Lob für wirkliche oder angebliche Erfolge in der Wirtschaftspolitik erntete. An dieser Rückenstärkung beteiligten sich auch deutsche Politiker – trotz der vielen unfreundlichen Äußerungen von Klaus. Zum Beispiel plädierte dieser mehrfach für eine Anknüpfung an die "angelsächsisch-atlantischen Traditionen", denen die Tschechen angeblich enger verbunden seien als den mitteleuropäischen Zusammenhängen, etwa was die Ausgestaltung des Rechtssystems angeht, was freilich ausgemachter Blödsinn ist.

Doch dann fiel die Außenhandelsbilanz zwei Jahre hintereinander erschreckend negativ aus, die tschechische Währung wackelte, und die Gewerkschaften drohten mit dem Generalstreik. In seiner Selbstgefälligkeit nahm Klaus diese Alarmsignale nicht wahr. Er zwang seinen Innenminister Jan Ruml zum Rücktritt, geriet mit dem in Tschechien populären Außenminister Josef Zelienec sowie mit seinem Finanzminister und Vize-Parteivorsitzenden Ivan Pilip in Clinch. Und so kam es in der Nacht vom 29. zum 30. November an der Moldau zur längst überfälligen "Götterdämmerung". Den ersten Schlag gegen Klaus führten Ruml und Pilip aus, Havel reagierte blitzschnell, Zielenec distanzierte sich – so schnell kann eine große Karriere den Bach runter gehen.

Ein Vorwand war leicht gefunden, auch wenn dieser den Bürgern wenig einleuchtend vorkommt: Über die angeprangerten Manipulationen mit Spenden und das ausländische Konto wußte seit Monaten fast jeder Bescheid. Warum also ausgerechnet jetzt die Aufregung? – Ganz einfach: Weil erst jetzt der Druck im brodelnden Kessel der tschechischen Innenpolitik so stark war, daß es zur Explosion kommen mußte.

Auf dem kleinen Parteitag der tief gespaltenen ODS am 15.12. wird die Entscheidung darüber fallen, wie es mit der Koalition und ihrem Ex-Chef weitergeht. Drei Szenarien sind denkbar:

1.) Neuwahlen, die allerdings sehr unwahrscheinlich sind, da sie nur dem sozialdemokratischen Oppositionschef Milos Zeman nutzen könnten;

2.) Fortführung der Koalition mit neuem Personal, wobei als Ministerpräsident allenfalls Zelienec in Frage käme;

3.) Václav Klaus kann seinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen. Auch dies ist unwahrscheinlich, obwohl der rechte Flügel der rechtsliberalen Bürgerlichen Allianz (ODA), des anderen Koalitionspartners, bisher offenbar nach wie vor auf der Seite von Klaus steht.

Eine weitere Frage, die sich unweigerlich stellt, ist, ob die "Götterdämmerung" allein Klaus trifft. Schließlich: Wenn zwei sich streiten, verlieren häufig beide. Es besteht kein Zweifel darüber, daß auch Havel viel an Reputation eingebüßt hat. Abgesehen von seinem schlechten Gesundheitszustand (in Prag sind die meisten Leute der Meinung, daß die jetzige Erkrankung mehr ist als eine Lungenentzündung) ist es fraglich, ob Havel am 20. Januar bei den Präsidentenwahlen die Zustimmung der ODS-Abgeordneten bekommt. Bleibt diese Unterstützung aus, wird Havel die Wahl wohl verlieren, da die Oppositionsparteien sich bereits gegen ihn ausgesprochen haben. – Ein Verzicht auf eine erneute Kandidatur wäre vor diesem Hintergrund die beste Lösung.

Eine völlig neue Führungsriege in Tschechien wäre eine Chance für dieses mitteleuropäische Land und vielleicht auch für die stockende deutsch-tschechische Verständigung.


 
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