© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Landrechte für Aborigines: Das schwierigste politische Problem seit Jahrzehnten
Zoff um australische Ureinwohner
von Martin Schmidt

Australien erlebt in diesen Wochen eine der am heftigsten geführten und politisch bedeutsamsten öffentlichen Diskussionen seiner Geschichte. Anlaß ist der sogenannte "10-Punkte-Wik-Plan" der seit letztem Jahr amtierenden bürgerlichen Regierung von John Howard. Dabei geht es um die Klärung der Eigentumsrechte der Aborigines, jener nicht einmal mehr 100.000 heute noch lebenden Ureinwohner des fünften Kontinents.

Im Jahre 1992 hatte das Oberste Gericht im sogenannten "Mabo-Entscheid" das bis dato herrschende Rechtsprinzip der "terra nullius" beseitigt. Demnach sei der Kontinent vor der britischen Kolonisierung unbewohnt gewesen. Die Aborigines konnten danach und insbesondere infolge des "Native Title Acts" von 1993 rechtmäßig Ansprüche auf 78 Prozent der gesamten Fläche des Landes einfordern. Dies kollidierte vor allem mit den Interessen von Farmern und einigen Bergbau-Unternehmen, die ungefähr 42 Prozent Australiens vom Staat gepachtet haben. Zusätzlich kompliziert wurde die Lage dann durch den im vergangenen Jahr erfolgten "Wik-Entscheid" des Obersten Gerichtshofs, wonach auch zwei Parteien gleichzeitig im Besitz eines Landstrichs sein können (nämlich der jeweilige weiße Pächter und die um die Übertragung der Flächen ersuchenden Ureinwohner).

Seitdem sind alles in allem 675 Ansprüche auf Ländereien angemeldet worden, wobei erst in zwei Fällen Flächen "zurückerstattet" wurden. Diese restriktive Praxis erzürnte die politischen Vertreter der Aborigines. Noch mehr jedoch sind sie über die neuen Pläne Howards erbost, für die Zukunft nur noch den Anspruch auf die Rückgabe von solchem Land gesetzlich festzulegen, das keinen Pachtverträgen unterliegt. Der Regierungschef begründete die Initiative damit, daß infolge der aktuellen Gesetzeslage das Pendel bereits "zu weit auf die Seite der Aborigines" ausgeschlagen habe. Faktisch befänden sich heute 15 Prozent der Gesamtfläche Australiens in ihrem Besitz, obwohl sie nur zwei Prozent der Bevölkerung ausmachten (zumeist handelt es sich allerdings um unfruchtbare Böden, wie Kritiker betonen).

Weiße Farmer und die Bergbauunternehmen weisen außerdem darauf hin, daß in der Praxis den Ureinwohnern in den allermeisten Fällen sowieso freier Zugang zu dem von ihnen für die Jagd und kultische Zeremonien aufgesuchten Stätten gewährt wird. Eine Umverteilung des Eigentums sei in diesem Zusammenhang gar nicht erforderlich. Die anhaltende Unsicherheit über die Regelung der Landrechtsfrage, so gaben 30 führende Unternehmer Ende November in einem Zeitungsinserat zu bedenken, behindere massiv weitere Investitionen im Bergbau und in der Landwirtschaft. Eine schnelle Entscheidung sei daher von höchster Dringlichkeit.

Auf der anderen Seite hagelt es Rassismus-Vorwürfe gegen die Regierung Howard. Neben Sprechern der "Aboriginal und Torres Straight Islander Commission" (ATSIC), der Dachorganisation der Ureinwohner, sind es vor allem linksgerichtete Oppositionsparteien und Vertreter der katholischen Kirche, die den im Repräsentantenhaus bereits angenommenen "10-Punkte-Plan" scharf ablehnen. Für die oppositionelle Labour-Party, die Australian Democrats und die Grünen, die immer wieder an den Wiedergutmachungsaspekt für das massive Unrecht der Kolonialisierungszeit erinnern, besteht nun die Möglichkeit, das Gesetz im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, bis nach der Sommerpause 1998 zu blockieren. Dann könnte Howard einen zweiten Anlauf unternehmen und im Falle einer erneuten Ablehnung das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen.

Politische Beobachter rechnen für diesen Fall mit Stimmengewinnen für die regierenden bürgerlichen Kräfte. Denn ähnlich wie es in den USA einen breiten Protest gegen die mit den "Affirmative Action"-Programmen verbundene Bevorzugung der wirklich oder vermeintlich benachteiligten Schwarzen und Latinos gibt, reagieren viele weiße Australier mit Unverständnis auf die milliardenschweren sozialen Hilfprogramme zugunsten der Aborigines. Einer in diesem Jahr durchgeführten Umfrage zufolge plädierten 51 Prozent der Befragten gegen eine "Bevorzugung" der Ureinwohner.

Dieser Grundstimmung, die naturgemäß in wirtschaftlich schwerer werdenden Zeiten an Gewicht gewinnt, trug auch die Regierung Howard Rechnung, als sie im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen in ihrem am 20. August 1996 vorgelegten Staatsbudget für die Zeit bis zur Jahrtausendwende eine Reduzierung der Gelder für die Aborigines um umgerechnet 470 Millionen Mark festlegte. Bis dato floß der ATSIC alljährlich die stattliche Summe von einer Milliarde Dollar zu.

Konservative Regierungsvertreter zeigen sich nicht mehr gewillt die "soziale Verhätschelung" der unter einer hohen Arbeitslosigkeit (im Schnitt etwa 38 Prozent gegenüber 9 Prozent bei der sonstigen Bevölkerung), Drogen- und Alkoholproblemen sowie einer signifikant höheren Selbstmordrate leidenden Aborigines durch die linksgerichteten Vorgängerregierungen bedenkenlos fortzusetzen, zumal die langen Abhängigkeiten von der Sozialhilfe die Situation der Ureinwohner tendenziell eher noch verschlechterten. Der für Aborigines-Fragen zuständige Senator Herron umriß in einer Rede am 15. November 1996 die gedankliche Basis dieser neuen Politik folgendermaßen: "Wir müssen die Verschiedenartigkeit der Bedürfnisse und Bestrebungen von Aborigines akzeptieren und diesen Menschen mehr Kontrolle über ihr Leben und ihre Gemeinschaften erlauben."

Dieser Ansatz hat zweifellos viel für sich; wichtig ist indes, daß die Hilfen für die Aborigines, von denen viele mit der modernen Massenzivilisation einfach nicht zurechtkommen, nicht zu radikal und nur schrittweise abgebaut werden. Schließlich ist das sprichwörtliche Kind nun einmal in den Brunnen gefallen, und es benötigt zunächst noch tatkräftige Unterstützung, um diesen wieder verlassen zu können.


 
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