© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Das Prinzip Verantwortungslosigkeit
von Wolfgang R. Grunwald

Lebenswichtige Entscheidungen der deutschen Politik werden nicht mehr im Parlament getroffen. Nicht einmal mehr im Kabinett, sondern in demokratisch und verfassungsrechtlich nicht legitimierten "Kanzlerrunden" wird heute Politik gemacht. Die politische Klasse in Deutschland besteht, so Parteienkritikerin Ursula Hoffmann-Lange, aus einem "Einflußzirkel von 600 Personen", der die Staatsgeschäfte unter sich abwickelt. Das Kartell etablierter Parteien wirkt nicht mehr nur an der politischen Willensbildung mit, wie dies das Grund-gesetz vorsieht, sondern
hat den Staat in seinen Griff gebracht. Er ist zur "Beute" (Hans Herbert von Arnim) geworden. Staat und etablierte Parteien sind eins.

Stimmt man dieser Analyse zu, so ergeben sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit tiefer- und weitergehende Grundsatzfragen: Sind die Erfolge dieser Form des Parlamentarismus, wie sie sich in den letzten fünfzig Jahren herausgebildet hat, so gut, daß die Bürger mit den Ergebnissen zufrieden sein können, da sie das Gefühl haben können, daß ihre lebenswichtigen Interessen tatsächlich vertreten werden?

Auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik haben sich in Deutschland in den letzten Jahren gravierende Änderungen ergeben: Die etablierten Parteien haben dieses Land innerhalb von zehn Jahren um etwa 15 Punkte auf Platz 19 der Wohlstandsliga heruntergewirtschaftet, das jetzt gerade noch einen Platz vor Griechenland liegt. Deutschland zählt 1997 sieben Millionen offiziell ausgewiesene Arbeitslose, nicht eingerechnet sind 2,5 Millionen in den vorzeitigen Ruhestand, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen usw. abgeschobene Arbeitslose. Eine Zahl, höher als in Weimar. Und alle Fachleute gehen übereinstimmend davon aus, daß sie sich weiter verschlechtern wird.

Die Steuer- und Abgabenquote ist mittlerweile von 27,4 % im Jahre 1960 auf 47,6 % (1996) gestiegen. Die Erklärung, man müsse den Aufbau der neuen Bundesländer finanzieren, greift nicht, da dieser Trend über die Jahre hinweg kontinuierlich anhält. Eine Quote übrigens, die nach den Worten des früheren Oppositionsführers Helmut Kohl die Ankunft des Sozialismus beschreibt.

Das politische System hat alle Voraussetzungen geschaffen, daß Großunternehmen leicht die nationalen Grenzen überwinden können, um Arbeitsplätze zu exportieren und sich der Steuerpflicht zu entziehen. 1997 wird, was die Gewinne betrifft, das beste Jahr der deutschen Großunternehmen sein. Dennoch stellt sich der Großindustrie die Frage, "was (an im Ausland erwirtschafteten Gewinnen) hier überhaupt verteilt werden kann". Im Gegenzug wird das eigentliche Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft, der Mittelstand, systematisch durch Anlegen der Daumenschrauben in Form von bürokratischen Regelungen, tatsächlich zu zahlenden Steuern usw. zerstört. Ergebnis: steigende Konkurszahlen. Der Mittelstand ist aber der einzige Wirtschaftsbereich, der noch ausbildet und zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Der Flucht ins Ausland entzieht er sich in aller Regel nicht.

1995 haben 2,52 Millionen Menschen Sozialhilfe bezogen, davon 500.000 Ausländer. Zusätzlich beziehen eine weitere halbe Million Ausländer Leistungen gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Zuwachsraten sind in diesem Bereich zweistellig. Die hier ausgegebenen Gelder können anderweitig nicht mehr eingesetzt werden, etwa zur Entlastung der Sozialkassen bzw. der Reduktion der Lohnnebenkosten und damit zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

Für die sonstige Steuerverschwendung in Höhe von 65 Milliarden Mark pro Jahr, wie der Bund der Steuerzahler ausweist, übernimmt ebenfalls niemand die Verantwortung. Das politische System sieht keinen Grund, das Thema in Form etwa einer Haftungsregelung für Beamte in Angriff zu nehmen.

Die totale Verschuldung liegt bei 2,5 Billionen DM (=2.500.000.000.000) und wächst exponentiell. Jeder Deutsche, ob Säugling oder Greis, ist bereits mit einem Schuldenanteil in der Größenordnung eines Mittelklassewagens (DM 32.000) dabei.

Auch die Respektierung und Pflege von Grundwerten und Grundrechten befindet sich allenthalben auf dem
Rückzug:

Die vierte Gewalt der Medien funktioniert nicht mehr: ein links-grünes, in der Regel wirtschaftsfeindliches Netzwerk entscheidet, was volkspädagogisch gut oder böse ist. Nahezu alle tradierten Säulen der Gesellschaft (Armee, Kirche, Recht, Familie, Geschichte) werden in den Medien unterlaufen und der Lächerlichkeit preisgegeben. Infotainment statt Information. Die Wirklichkeit und andere Meinungen kommen nicht mehr vor. Political Correctness und die Faschismuskeule werden geschwungen. Eine unvoreingenommene Meinungsbildung des Bürgers ist kaum mehr möglich.

"Verbrechen lohnt sich wieder", schrieb die FAZ vom 8. November 1997. Im Jahre 1996 wurden 6.647.598 Straftaten gezählt. In 40 Jahren hat sich die Verbrechensrate um das Vierfache erhöht. Ein Drittel aller Verbrechen sind auf ausländische Täter zurückzuführen.

"Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung", schreibt das Grundgesetz in Artikel 6,1 fest. Keimzelle eines jeden Staates ist die Familie, die die physische Existenz des Volkes und Staates sichert. Die Familie bietet die Voraussetzung für die Entwicklung gesunder Lebensverhältnisse. In der Familie findet der Mensch die Möglichkeit der Selbsterkenntnis, der Persönlichkeitsentfaltung und damit letztendlich der Selbstverwirklichung: das ist der beste Schutz gegen Entwurzelung und Vermassung, die als eine der Hauptursachen von geistiger Verwahrlosung und Kriminali-tät gilt.

Dramatische Konsquenzen hat auch das Geburtendefizit und damit die langfristige Finanzierbarkeit der Renten. Das Rentensystem steht vor dem Offenbarungseid. Deutschland ist das Schlußlicht bei der Geburtenquote in der Welt. In Deutschland (West) haben sich die Geburten deutscher Staatsangehöriger von 1964 auf 1993 von 1.044.000 auf etwa 600.000 reduziert. In den neuen Bundesländern verlief die Entwicklung noch dramatischer. Von 1989 bis 1993 reduzierte sich hier die Zahl der Neugeborenen von 301.000 auf 80.000. Dennoch ist aktive Geburtenförderung kein Ziel deutscher Politik.

Vielmehr glaubt man, das Problem durch Import von Menschen wirtschaftlich und technisch in den Griff zu bekommen. Während das Parlament über solch lebenswichtige Fragen wie die Verhüllung des Reichstages debattiert, fand dieses Parlament in den letzten Jahrzehnten keine Zeit über ein deutsches Bevölkerungs-Förderungskonzept nachzudenken oder ein solches gar zu verabschieden. Die materielle Plünderung der Familie zeigt sich durch das Verschieben von 186 Milliarden DM Sozialversicherung jedes Jahr von den Familien zu den Kinderlosen. Die massive materielle Verschlechterung der Situation der Familie und damit langfristig der Grundlagen dieses Staates wird unter Hochdruck betrieben. Schließlich wurden in den letzten 25 Jahren unter sozial- und christdemokratischer Regierungsführung 6 Millionen ungeborene deutsche Kinder getötet.

Seit 1871 bis in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts lebten in Deutschland durchschnittlich 600 bis 700.000 Ausländer. Heute sind es 7,2 Millionen legaler plus mindestens eine Million Illegaler. Obwohl Deutschland keine koloniale Vergangenheit zu bewältigen hat, leben mit 8,8% Ausländeranteil mehr Ausländer in Deutschland als in Großbritannien (3,4%), Frankreich (6,3%) und in den Niederlanden (5%). Ghettobildung ist die Folge: In Frankfurt/Main verließen allein in den letzten 15 Jahren 200.000 Deutsche die Stadt, weil sie in dem multikulturellen Paradies nicht mehr leben mochten. Dieses Einwanderungskonzept wie auch die Abgabe der totalen Souveränität und der D-Mark in Brüssel wurden nicht vom deutschen Volk legitimiert. Offenbar fehlt es dem deutsche Volk im Gegensatz zu demjenigen von Norwegen oder Papua-Neuguinea an politischer Reife, zu solchen überlebensnotwendigen Fragen des Daseins ein direktes Urteil abzugeben. Demokratie geht zwar vom Volke aus, kehrt aber offenbar nicht mehr zu ihm zurück.

Die Bilanz ist verheerend. Die etablierten Parteien lehnen sich zurück und führen Debatten um Scheinprobleme. Die existenziellen Probleme werden entweder nicht angepackt oder im kleinen Kreis behandelt. Kein Parlamentarier trägt Verantwortung und kann oder wird zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Politik leistet, so prominente Parteienkritiker, immer weniger effektive, das heißt ziel- und ergebnisorientierte Arbeit. Dies hat auf Dauer lebensbedrohliche Folgen für diejenigen, die regiert werden. Es ist notwendig, daran zu erinnern, daß alle Verantwortlichen einen Eid geleistet haben, "Schaden vom deutschen Volk zu wenden" und "seinen Nutzen zu mehren". Es ist notwendig sich ins Gedächtnis zurückzurufen, daß politische Institutionen kein Selbstzweck sind, sondern für die Bürger dieses Landes da sind und nicht umgekehrt.

Wie es in einem Unternehmen selbstverständlich ist, daß alle paar Jahre die Organisation auf den Prüfstand kommt, so ist auch die Organisation des Gemeinwesens systematisch auf ihre Leistungsfähigkeit und -willigkeit seiner Träger zu überprüfen – und zwar in Abhängigkeit

von den heutigen und morgen zu erwartenden Herausforderungen. Schlüsse sind zu ziehen. Maßstab dafür können nur die überlebenswichtigen Bedürfnisse der Bürger in unserem Gemeinwesen sein.


 
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