© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Film: Der amerikanische Regisseur Steven Spielberg feiert seinen 50.Geburtstag
Ein Dinosaurier aus Hollywood
von Werner Olles

1963 stellte ein 16jähriger Gymnasiast in Phoenix, Arizona, in eigener Regie einen Zweieinhalb-Stunden-Schmalfilm mit dem Titel "Firelight" vor. Er handelt von Wissenschaftlern, die sich für seltsame Lichterscheinungen am Himmel interessierten; seine Produktionskosten betrugen 500 Dollar. Weitere Kurzfilme des begabten Schülers erhielten Auszeichnungen, und so wurde der knapp 21jährige Steven Spielberg von der "Universal"-Filmgesellschaft unter Vertrag genommen. Er drehte für die Fernsehserien "Dr. med. Marcus Welby" und "Columbo" jeweils eine Folge und mit Joan Crawford "Night Gallery".

1974 konnte er mit "Sugarland Express" endlich sein Kinodebüt feiern. Schon ein Jahr später dreht er mit dem "Weißen Hai" einen der erfolgreichsten Thriller. Hellsichtig zog Horst Stern in seiner Kritik des Films allerdings das Fazit: "Die Folgen dieses Films dürften deprimierend sein. Tiermonster aller Sorten werden in die Kinos kommen, und das rationale Bild vom Bruder Tier, das einige Wissenschaftler und Forscher mühsam genug aufzurichten begannen, wieder einreißen." 1976 folgte "Unheimliche Begegnung der dritten Art", schließlich "Poltergeist" und dann der bis dahin größte Erfolg der Kinogeschichte "E.T. – Der Außerirdische", ein perfektes Kino-Rührstück.

1992 brach plötzlich die Dinomania aus. Die Dinosaurier waren überall: Sie grüßten von Eierbechern und Bettwäsche, sahen von Duschvorhängen herab, wurden als Gummibärchen vernascht und kamen selbst in einem Kindermenü mit dem Namen "Dinomampf" zu unerwarteten Ehren. Auf dem Höhepunkt der Dinomanie lieferte Steven Spielberg mit "Jurassic Parc" den geradezu rauschhaften Abschluß dieser populären Warenmythologie, deren Dramaturgie und Vermarktung nur funktionieren konnte, weil der Film archaische Empfindungen und aktuelle Widersprüche, individuelle Träume und eine gesamtgesellschaftliche Metaphorik zusammenbrachte: So wurden Publikum und Nation stundenweise ein Volk von einig Träumern! Daß das Genre noch niemals zuvor solche phänomenalen Urviecher präsentiert hatte, war dabei in erster Linie den Programmierern zu verdanken, die diesen computerprogrammierten Film von den Zwängen einer naturgemäß begrenzten Kameraarbeit befreiten. Nur wenige Kritiker merkten an, daß Spielberg in "Jurassic Parc"ganz offen demonstrierte, daß er Lust und Gespür für die Subtilität des Genres längst zugunsten des großen Geschäfts verdrängt hatte.

In der "Dialektik der Aufklärung" heißt es: "Kulturindustrie endlich setzt die Imitation absolut. Nur noch Stil, gibt sie dessen Geheimnis preis, den Gehorsam gegen die gesellschaftliche Hierarchie. Die ästhetische Barbarei heute vollendet, was den geistig Gebildeten droht, seitdem man sie als Kultur zusammengebracht und neutralisiert hat. Die böse Liebe des Volks zu dem, was man ihm antut, eilt der Klugheit der Instanzen noch voraus." In der Tat durften die Kulturkritiker von Adorno, Horkheimer bis Botho Strauß sich von Spielberg besiegt fühlen. Bei allem Respekt vor dem technischen Genie Spielbergs war unübersehbar, daß der Film eingebettet war in eine komplexe Marketing-Strategie, die darauf zielte, die kindliche – und nicht nur diese – Phantasie zu okkupieren und auszubeuten. Schließlich wurde im Film selber noch unverhüllt Produktwerbung betrieben. Doch schien dies nur noch ein paar letzte Mohikaner von Ästheten zu bekümmern.

Mit "Schindlers Liste" wandte sich Spielberg, der jüdischer Herkunft ist, dem Thema der NS-Judenvernichtung zu. Die ästhetische Ausformung war durchaus umstritten, doch wurde die erzieherisch-politische Bedeutung so hoch veranschlagt, daß Negativkritiken Feuilleton-Redakteuren den Kopf kosten konnte. Den boshaftesten Kommentar zum Film lieferte die amerikanische Trickfilmserie "Die Simpsons": Mister Burns, ein reiches Ekel von einem Atomkraftwerksbesitzer, der die Angwohnheit hat, Atommüll auf Kinderspielplätzen zu vergraben, möchte Gouverneur werden. Um sein wegen der vielen glatzköpfigen Kinder schlechtes Image aufzupolieen, bestellt er sich einen Hollywood-Regisseur und trägt ihm auf: "Machen Sie aus mir dasselbe wie Spielberg aus Oskar Schindler!"

Heilte E.T. die imaginären Wunden, die der "Weiße Hai" geschlagen hatte und spielte Indiana Jones sein freudianisches Spiel mit den ewigen Mythen des Abenteuerers, so zielt sein vorerst letzter Film "Vergessene Welt" auf jene Schichten des Unterbewußtseins, deren bildhafte Beschwörungen aus einer prähistorischen Zeit auch heute noch Ängste hervorrufen. Die Verwandlungen des einst größten und mächtigsten Lebewesens konnte wohl nur einem Regisseur vom Format Spielbergs gelingen. Daß die Dinos gleichzeitig zum festen Bestandteil des kollektiven Traums von der bunten Warenwelt wurde, beide Bereiche ineinander übergingen, ist eines der prägnantesten Strukturmerkmale der geistigen Situation unserer Zeit.

Am 18. Dezember wird der Regisseur, Autor und Produzent Steven Spielberg fünfzig.


 
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