© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Berlin: Autonome Antifas sagen millitanten Veganern den Kampf an
"Fleischer sind Mörder"
von Gerhard Quast

Sie verschmähen Milch, Käse, Fleisch und Honig, tragen keine Produkte aus Wolle, Daunen, Seide und Leder und nennen sich Veganer. Organisiert sind sie in Gruppen wie der Tierrechts-Aktion Nord, der Erdbefreiungsfront, der Veganen Offensive, dem Bundesverband der TierbefreierInnen oder Animal Peace. Ihre Lebenseinstellung läßt sich auf die schlichte Aussage reduzieren: Wir wollen uns nicht an der Ausbeutung der Tiere beteiligen.

Für viele Veganer scheint diese selbstkasteiende Lebensweise aber längst nicht alleiniges Lebensziel sein zu können. Sie geben sich nicht damit zufrieden, McDonalds-Filialen ("größter Fleischverwerter der Welt") zu belagern – wie im Oktober in vielen Städten geschehen –, sondern greifen nach dem Vorbild US-amerikanischer oder britischer Tierrechtsgruppen immer häufiger zu handfesten Mitteln, befreien Tiere aus Pelztierzuchten und Versuchslabors, zerstören Jagdhochsitze, randalieren auf Leder- und Kürschnermessen oder verüben Buttersäureanschläge auf Pelzgeschäfte. Mit einer relativ neuen Variante ihres Kampfes "für die Rechte und die Befreiung der Tiere" machten militante Veganer in den letzten Monaten bundesweit von sich reden. Um den Schlachtern das "Handwerk zu legen", wurden seit Juli in Berlin vermehrt Metzgereien angegriffen. Vorläufiger Höhepunkt: eine Anschlagserie, bei der allein in einer Nacht "bei sieben Fleischereien gleichzeitig", so triumphierend die "TierbefreierInnen", Scheiben splitterten und bis in den November hinein vor allem im Bezirk Prenzlauer Berg Lieferwagen verschiedener Metzgereien in Flammen aufgingen. Geschätzter Gesamtschaden: 200.000 Mark. Bekennerschreiben gibt es bisher nicht, den "Ernährungsfundamentalisten" (Focus) genügt es, die Motive für diese Anschläge mit einer neuen Variante des vielzitierte Tucholsky-Wortes zu verdeutlichen: "Fleischer sind Mörder" heißt es auf Aufklebern und Parolen rund um die Tatorte. Daneben das Symbol radikaler Tierrechtsgruppen: der fünfzackige schwarze Stern, eine geballte Faust und eine Katzenpfote.

Von derlei schlichten und wortkargen Bekenntnissen – und den damit einhergehenden Taten – fühlt sich allerdings nicht nur die Staatsgewalt herausgefordert, sondern auch die Hauptstadt-"Autonomen", die sich einzig legitimiert sehen, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und die die Anliegen der militanten Veganer allenfalls für "unpolitisch" halten. In dem zweiwöchentlich erscheinenden Berliner Autonomen-Info Interim wird in Sachen Veganismus allerdings bereits Klartext gesprochen: "Sollten eure menschenfeindlichen Angriffe nicht sofort aufhören, liebe Erdbefreier und Tierrechtsterroristen, dann wissen wir auch, wo wir euch und euresgleichen treffen können". Unterschrieben ist das Papier von einem autonomen Kommando "Rettet die Bockwurst". Die Drohungen sind durchaus ernst gemeint und entbehren auch nicht der Authentizität. Denn, wer die Szene kennt, der weiß, daß die militanten Tierrechtler seit längerem schon massiven Widerspruch hervorrufen. Da nützt den Veganern weder ihre Herkunft – zahlreiche "TierrechtlerInnen" entstammen nach eigenen Angaben "linken, autonomen Zusammenhängen" – noch das Selbstverständnis, sich einer nebulösen "linken Bewegung" zugehörig zu fühlen. Obwohl die radikalen Veganer in Sprache, Auftreten und Militanz den Autonomen ähneln, wird ihr Treiben mit Skepsis verfolgt. Es gibt nicht wenige Linke, die den veganen Straßenkämpfern aus vergangenen Tagen inzwischen "faschistoides Gedankengut" vorwerfen.

In dieser Hinsicht tut sich besonders die Jutta Ditfurths Zeitschrift ÖkoLinX hervor, in der seit zwei Jahren eine regelrechte Hetzkampagne gegen die radikalen Fleischverächter läuft. Die ideologischen Grundlagen des tierrechtsbewegten Veganismus "stehen in Gegensatz zu jedem Versuch, die Welt im emanzipatorischen Sinn zu verändern", schreibt dort Peter Bierl ("Statt Befreiung des Menschen die Mystifikation der Erde". Statt sich konkreten gesellschaftlichen Aufgabenfeldern zu widmen "pflegen die VeganerInnen den naiven Glauben, korrektes Konsumieren beziehungsweise Nichtkonsumieren löse alle Probleme". Besonders verdächtig erscheint den Ökolinken, daß von vielen Veganern "Tierquälerei mit NS-Massenmord gleichgesetzt" werde: "Beim Gebrauch von Lederschuhen, Milch und anderen Tierprodukten halluzinierten die VeganerInnen schon einen ‘faschistischen Kontext’. Die sprachliche Herabwürdigung von Tieren setzten sie analog der NS-Propaganda gegenüber Juden, die in beiden Fällen zur Vernichtung führe. Tierzucht wurde auf die gleiche Stufe gestellt wie NS-Bevölkerungspolitik und Rassegesetze." Die Schlußfolgerung, Veganer verharmlosten das Dritte Reich und verträten selbst eine "menschenverachtende" Lebensauffassung ist für die Ökolinken dann nur folgerichtig.

Daß es den "Bockwurst"-Autonomen bei ihrem verbalen Angriff um eine Generalabrechnung geht, ist unüberhörbar. In der veganen Szene hat das für Empörung gesorgt, denn nicht nur den Militanten, sondern den Veganern überhaupt ("euresgleichen") wird Dresche angedroht. "VeganerInnen aus verschiedenen Berliner Zusammenhängen" haben auf die Kampfansage mit einer eigenen Erklärung in Interim reagiert und sich mit den Angegriffenen solidarisch erklärt. "Metzgereien sind ein Angriffsziel – und nicht das Schlechteste", so die Verfasser. Denn auch diese seien "an dem Tierausbeutungssystem beteiligt". Trotz der Androhung physicher Gewalt zeigen sich die Fleischverächter gelassen: "Es bleibt wirklich abzuwarten, was für durchgeknallte Gegenmaßnahmen ihr veganen Leuten zuteil kommen laßt." Die Antwort der militanten Antifas steht noch aus.


 
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