© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
EU-Zahlungen: Streit um finanzielle Lastenverteilung
Taten müssen folgen
von Heinrich Lummer

Die Frage der Beitragszahlungen an die Europäische Union (EU) erregt seit geraumer Zeit die Gemüter. War dieses Thema früher tabuisiert, kritisieren nunmehr Politiker fast aller Parteien die ungerechte Lastenverteilung. Mit Ablauf des Jahres 1999, dem Ende der mittelfristigen EU-Finanzplanung, soll nun alles gerechter werden.

Deutschland gehört seit jeher zu den größten Bruttozahlern der EU. Zahlten wir im Jahre 1987 noch 20,2 MilliardenDM brutto in die Gemeinschaftskasse ein, waren es 1995 schon rund 41 Milliarden DM. Und auch bei den Nettozahlungen sieht es nicht besser aus. Rund 27 Milliarden DM führte Deutschland im Jahre 1995 an Brüssel ab. Zum Vergleich: Der Nettobeitrag Frankreichs betrug im gleichen Jahr nur rund 3,3 Milliarden DM. Großbritannien führte in 1995 netto rund 9,3 Milliarden DM an Brüssel ab. Deutschland zahlt damit netto mehr als das Doppelte dessen an die EU, was Großbritannien und Frankreich zusammengenommen abführen.

Fast noch kurioser erscheint die Tatsache, daß ein so wohlhabendes Land wie Luxemburg nicht zu den Nettozahlern der EU gehört, sondern zu den Empfängern: Rund 1,3 Milliarden DM erhielt es unter dem Strich im Jahre 1995 aus Brüssel, obwohl es hinsichtlich der Pro-Kopf-Einkommen innerhalb der EU an erster Stelle liegt.

Die Arbeitsgruppe der EU-Referenten der Länderfinanzressorts führt in einem Bericht über die "Finanzbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union" vom Juni 1997 dazu aus: "Per saldo ist Deutschland in den Jahren 1991 bis 1994 jahresdurchschnittlich um 13 Milliarden DM benachteiligt worden. Die zu hohen Zahlungen stehen zu den zu geringen Rückflüssen in einem Verhältnis von zwei Fünfteln zu drei Fünfteln. 1995 machte die Gesamtbenachteiligung für Deutschland sogar 16,7 Milliarden DM aus." Im Klartext: Deutschland ist doppelt benachteiligt. Wir zahlen einerseits zuviel in die EU-Kasse ein und bekommen andererseits zu wenig heraus.

Häufig wird behauptet, Deutschland bringe die EU-Mitgliedschaft wirtschaftliche Vorteile. Daß diese Behauptung falsch ist, belegen folgende Zahlen: Der Binnenhandel mit der EU hat am Gesamtexport Deutschlands einen Anteil von etwa 57 Prozent (1995). Das ist der niedrigste Anteil in der Gemeinschaft. Ist in Deutschland nur etwa jeder achte Arbeitsplatz vom Binnenhandel mit der EU abhängig, ist es im Gemeinschaftsdurchschnitt jeder sechste und in den Benelux-Staaten sogar fast jeder zweite. Auch hat in Deutschland der Binnenhandel mit der EU einen Anteil am Bruttosozialprodukt von 12,1 Prozent (1995), während er im Durchschnitt aller Mitgliedsländer bei 15,6 Prozent liegt. Nicht selten wird auch das Argument angeführt, die deutschen Rekordzahlungen würden durch rückfließende Aufträge wieder kompensiert. Sofern ein derartiger Rückfluß überhaupt erfolgt, liefern die Exportländer im Gegenzug Waren und Dienstleistungen und leisten damit einen realen Güterverzicht. Mit dem Gerede über rückfließende Aufträge soll lediglich weiter an dem Mythos gebastelt werden, Deutschland sei als "Exportnation" in besonderem Maße von der EU abhängig.

Gegenwärtig werden von verschiedenen Seiten Vorschläge für ein neues Finanzierungssystem erarbeitet. Die Arbeitsgruppe hat in ihrem Bericht sowohl einige der bereits bekannten Modelle (Kappungsmodell des Bundesfinanzministeriums, Seiters-Modell, Samland-Ansatz) analysiert, als auch eigene Vorschläge zur Reform der Gemeinschaftsfinanzen unterbreitet.

So wird vorgeschlagen, die bisherigen Einnahmen der EU aus der Mehrwertsteuer und der Bruttosozialproduktabgabe durch eine neue dritte Eigenmittelquelle mit wohlstandsbezogener Bemessungsgrundlage zu ersetzen. Für die Bemessung der Zahlungen wird als Maßstab das Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftstandards herangezogen. Für die Rückflußseite wird ein Korrekturelement angestrebt. Es hat die Funktion, die Gesamtsumme der Rückflüsse nach Maßgabe der wohlstandsadäquaten Rückflüsse zu korrigieren. Wohlstandsadäquat sind die Rückflüsse dann, wenn sie sich im Sinne des Kohäsionsprinzips umgekehrt-proportional zum jeweiligen wirtschaftlichen Wohlstand (Bruttoinlandsprodukt / Kaufkraftstandards) verhalten. Je Einwohner erhalten wohlhabendere Mitgliedsländer danach geringere Rückflüsse als weniger wohlhabende.

Zudem wird eine Korrektur bereits für das laufende Haushaltsjahr auf der Basis von Schätzdaten angeregt. Nach Vorlage der Ist-Zahlen könnte dann die endgültige Abrechnung erfolgen. Es ist in diesem Zusammenhang unverständlich, warum die Bundesregierung trotz der angespannten Haushaltslage eine Korrektur noch vor Ablauf der mittelfristigen EU-Finanzplanung ablehnt. Könnte Deutschland doch in den Jahren 1997, 1998 und 1999 jährlich mindestens 16 Milliarden DM sparen.

Ob Deutschland ab dem Jahr 2000 tatsächlich nicht mehr der Zahlmeister Europas sein wird, hängt in erster Linie davon ab, ob deutsche Politiker in der Lage sind, die deutschen Interessen bei den bevorstehenden Beitragsverhandlungen angemessen zu vertreten. Dann wird sich zeigen, ob den vollmundigen Ankündigungen auch Taten folgen.


 
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