© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Zwischen Achtung und Haß. Das Bild der Wehrmacht in der angelsächsischen Welt
Von ritterlichem Geist beseelt
von Lothar Höbelt

Das allein bestimmende Bild der Wehrmacht gibt es natürlich nicht, weder bei uns noch anderswo. Ausgangspunkt für das Bild der Wehrmacht muß selbstverständlich die Kriegspropaganda sein. Deren Dilemma ist schnell umrissen: Der Feind muß im Zeitalter von Volkskriegen womöglich moralisch verwerflich erscheinen; darüber hinaus zwar gefährlich, um die Auseinandersetzung zu rechtfertigen und die Energien der eigenen Seite zu mobilisieren, zugleich aber auch wiederum nicht zu gefährlich, um die Moral und das Überlegenheitsgefühl der eigenen Seite zu stärken. Das stellt in der Praxis stets eine Gratwanderung dar. Zudem lag der Rückgriff auf Stereotypen des Ersten Weltkrieges nahe, sprich: zumindest in britischen Darstellungen (gerade auch bei Churchill persönlich) rangierte der Kampf gegen den "preußischen Militarismus" weit vor dem ideologischen Charakter des "Weltbürgerkrieges".

Mit dem Kriegsende und den Möglichkeiten einer eingehenden Analyse kam eine nahezu kontinuierlich steigende Achtung vor den Leistungen des Gegners: Die Ökonomen waren überrascht von der geringen Wirkung des strategischen Bombenkrieges, die zumal die britische Luftwaffe sehr zu überschätzen geneigt war: Hier avancierte Albert Speer zur Kultfigur. Die Konstrukteure waren beeindruckt vom technologischen Vorsprung der Deutschen in verschiedenen Bereichen (Düsenjäger, Raketen, Fernlenkwaffen): Auf diesem Sektor erwies sich die Nachahmung als die ehrlichste Form des Kompliments: Im Koreakrieg, so wird erzählt, sei es schwierig gewesen, die Modelle beider Seiten auseinanderzuhalten, da beide auf dieselben deutschen Entwürfe zurückgingen.

Das Bild des bösen Deutschen war langweilig geworden

Parallel dazu erfolgte eine sytematische Auswertung der operativen Erfahrung der kriegsgefangenen deutschen Generäle: Eine Reihe von Studien ist nach Freigabe der Akten in den letzten Jahren in den USA erschienen; eine erste Frucht dieser Gespräche war schon im Jahre 1949 das Buch "The Other Side of the Hill" des unkonventionellen britischen Militärhistorikers Sir Basil Liddell Hart, der manche seiner eigenen Ideen am besten durch deutsche (und russische) Strategen verwirklicht sah.

Dieser professionelle Respekt wurde zweifelsohne verstärkt durch die politischen Rahmenbedingungen: Den Kalten Krieg, den Koreakrieg, die deutsche Wiederbewaffnung und den NATO-Beitritt der BRD. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung erfolgte nun auch die mediale Aufbereitung dieser Allianz in populären Darstellungen, die im Zeichen einer Versöhnung der alten Kriegsgegner standen. Diese Phase läßt sich vielleicht am besten illustrieren durch den Hinweis auf zwei erfolgreiche Kriegsfilme der 60er Jahre. "Der längste Tag" 1962 und "Die Luftschlacht um England" einige Jahre später: Die Eseleien des "Gröfaz" bzw. des "dicken Hermann" spielen dabei eine nicht geringe Rolle. Die Wehrmacht wird jedoch alles andere als verächtlich gemacht; von ritterlichem Geist beseelt, wurde ihre Niederlage eben durch die Fehler der politischen Führung herbeigeführt. Diese auf Ausgewogenheit bedachte Form der Darstellung, die ihre politischen Präferenzen nicht auf die Kombattanten übertrug, dürfte auch der Einstellung der Veteranen entsprochen haben, deren Leistungen ja durch "Verharmlosung" des Gegners ebenfalls in den Schatten gestellt worden wären.

Dieser Trend scheint in den 70er Jahren sogar noch eine Verstärkung erfahren zu haben. Auf fachlicher Ebene gewannen die Probleme, denen sich die Wehrmacht gegenübersah, für die US-Armee nach den Erfahrungen in Vietnam wiederum an Aktualität. Dafür gibt es wohl kein besseres Beispiel als eine im Auftrag des Pentagon verfaßte Studie des israelischen Professors Martin van Creveld, der ein Thema aufgriff, das die Soziologen schon gleich nach dem Krieg fasziniert hatte, nämlich die hohe Kampfkraft und Moral der Wehrmacht – nicht etwa während der "Blitzkriege", deren Lektionen Patton und andere sehr wohl zu verarbeiten in der Lage waren, sondern unter den ungünstigen Voraussetzungen der letzten Kriegsjahre. Crevelds Buch erschien 1979 auf englisch; das Militärgeschichtliche Forschungsamt publizierte einige Jahre später eine deutsche Übersetzung ("Kampfkraft: Militärische Organisation und militärische Leistung"), versehen mit einem Vorwort, das freudigen Stolz mit vorsichtiger Distanzierung mischte.

Als Mosaiksteinchen bemerkenswert ist außerdem, daß auf der Ebene der populären und Trivialliteratur, die infolge ihrer Auflagen vermutlich prägender wirkt als so manches gewichtige Produkt des Gelehrtenfleißes, in den 70er Jahren mehrere Weltkriegs- und Agenten-Thriller erschienen, die in einer Abkehr vom orthodox patriotischen Strickmuster mit deutschen Helden auf Originalität setzten und Überraschungseffekte erzielten: Das bekannteste Beispiel dafür ist vermutlich "Der Adler ist gelandet" von Harry Patterson alias Jack Higgins (in einem weiteren Buch des gleichen Autors – "Königsjagd" – spielt sogar SD-Chef Schellenberg als positiver Charmeur die Hauptrolle). Die Häufung ähnlich gelagerter Romanmotive bzw. die atmosphärischen Veränderungen in späteren Werken derselben Autoren lassen den Schluß zu, daß es sich hier nicht um persönliche Marotten von Erfolgsautoren ohne große literarische Ambitionen handelt, sondern um ein Eingehen auf den Publikumsgeschmack, den "Zeitgeist". Der in Schwarz-Weiß-Manier gezeichnete "böse Deutsche" war offenbar nicht bloß bündnispolitisch inopportun, sondern vor allem langweilig geworden.

Darauf folgte – man ist versucht zu sagen: unweigerlich – ein Umschwung, der einhergeht mit einer Renaissance des erhobenen Zeigefingers und einer Einbeziehung der Wehrmacht in ein Syndrom, das treffend mit dem Ausdruck "Holocaust-Awareness" umschrieben wurde, nämlich eine oft alle anderen Aspekte des Geschehens an den Rand drängende bzw. ausblendende Konzentration der historischen Erinnerung auf den Komplex Auschwitz. Wobei unabhängig von allen Debatten um den historiographischen Stellenwert des "Holocaust" in erster Linie der Zeitpunkt Interesse beanspruchen darf. Denn die Schrecken der KZs waren seit 1945 bekannt, auch die wissenschaftlichen Darstellungen lagen seit Jahrzehnten vor.

Gerade im wissenschaftlichen Bereich waren für die zunehmend kritische Beleuchtung der Wehrmacht in den USA dabei insbesondere "importierte", nämlich insbesondere bundesdeutsche Einflüsse maßgeblich. Das Verhältnis von Wehrmachtsführung und NS-Regime eignet sich vortrefflich für Kontroversen, die dem Muster folgen: "Ist das Glas halb voll oder halb leer?" Hatte man ursprünglich vor allem den Aspekt der Opposition des Offizierskorps gegen das Regime hervorgehoben, so wurde diese "20. Juli"-These im Gefolge der 68er-Bewegung bzw. in den Jahren der sozialliberalen Koalition abgelöst von der Betonung der zumindest teilweisen Identifikation in wesentlichen Fragen. Paradigmatisch für diese nun auch in den USA einsetzende historiographische Strömung mag Omar Bartovs Buch "The Eastern Front, 1941–1945: German Troops and the Barbarisation of Warfare" aus dem Jahr 1985 stehen, das die hohe Kampfmoral und das Überlegenheitsgefühl des deutschen Soldaten an der Ostfront auf ideologische Übereinstimmung mit dem Regime zurückzuführen versucht. Die Goldhagen-Debatte stellt in gewisser Weise, wenn auch in publikumswirksam vergröberter Form, bloß eine Fortsetzung dieser Argumentationslinie dar.

Im Rahmen der Debatten zwischen "Intentionalisten" und "Funktionalisten" innerhalb der Historikerzunft stellte dieser Trend eine Renaissance der "Intentionalisten" dar: "Unpersönliche" Strukturen waren nicht mehr gefragt, sondern Moritaten von "Opfern und Tätern".

Dieser Trend hat sich eher noch beschleunigt, seitdem das alles überwölbende Feindbild des "Reiches des Bösen" vorerst weggefallen ist und einer eklektizistischen Suche nach neuen Bedrohungsszenarien Platz gemacht hat, die von einer gewissen Beliebigkeit geprägt ist. Deutschlands Bedeutung in der Welt ist seit der Wiedervereinigung gestiegen, sein Wert als militärischer Verbündeter aber gesunken.

Aus dem antikommunistischen "Kreuzzug", der als "saving grace" des Dritten Reiches galt, wurde mit einem seltsam aufgeladenen, dabei aber unscharfen Terminus "der Vernichtungskrieg". "Vergeltungsmoralisten" widerstehen in derlei Fällen dann als Retourkutsche selten der Versuchung, nach der entsprechenden Qualifikation für Hiroshima und Dresden zu fragen.

Es gab keine kontinuierliche Anti-Wehrmachtshaltung in den USA. Im Gegenteil: Was wir heute – mit Mißvergnügen – beobachten, ist der Pendelausschlag, der auf eine Phase folgt, in der eine nahezu bewundernde Haltung gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegner beinahe schon Orthodoxie geworden war (wobei nach der Zahl der Titel wohl bis heute das fachlich anerkennende Urteil überwiegt.)

Zwei Faktoren bieten einen Schlüssel für einen Wandel an Perspektive, wie er nicht auf die USA beschränkt bleiben wird. Zum ersten: In den angelsächsischen Ländern stellt das Heer der allgemeinen Wehrpflicht den Ausnahme-, die Freiwilligen- bzw. Berufsarmee den Regelfall dar. Von diesen Voraussetzungen ausgehend, erscheint die Identifikation des Soldaten mit der "Sache", für die er ficht, naturgemäß größer. Die andere Seite derselben Medaille ist aber auch: Erst wenn die allgemeine Wehrpflicht militärisch ausgedient hat, kann man sich erlauben, soldatische "Pflichterfüllung" als suspekte "Sekundärtugend" unter generellen Verdacht zu stellen. Diese Voraussetzung trifft aber inzwischen zweifelsohne auch in Europa zu (ob unsere Verteidigungspolitiker das jetzt wahrhaben wollen oder nicht). Mit diesem Relevanzverlust der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges ist zweifelsohne ein Verlust an Verständnis für die Erfahrungen ihrer Soldaten verbunden.

Zweitens aber: Der "letzte" Krieg ist für uns (zum Glück) immer noch der Zweite Weltkrieg; für Amerikaner der Golf- oder der Vietnamkrieg. Der Prozeß der "Historisierung" des Zweiten Weltkriegs ist daher in den USA sehr viel weiter fortgeschritten. Diese "Historisierung" läßt auf Dauer ein unbefangeneres, tagespolitischen Polemiken entrücktes Bild der Wehrmacht in der Wissenschaft erwarten. Damit "in die Geschichte einzugehen" bedeutet auf der Ebene darunter aber auch die totale Freigabe für Mythen und Klischees aller Art.

Vergangenheitsbewältigung als Trostpflaster für Neider

Auch vor politischen Instrumentalisierungen ist keine Geschichtsepoche gefeit: Ein gutes Beispiel bieten derzeit die USA mit einer Art "Vergangenheitsbewältigung" in den "Südstaaten". Gerade diese Parallele wirft allerdings interessante Fragen auf über das Verhältnis von Macht und Mythos. Denn sowohl Deutschland als auch die Südstaaten sehen sich dieser anti-traditionalistischen Herausforderung ja nicht im Gefolge eines generellen "Vae victis!", sondern am Höhepunkt ihres Wiederaufstiegs ausgesetzt. Ein bloßes Muster der "Umerziehung" oder des "Opportunismus" würde hier zu kurz greifen: Für die Bereitschaft, den vermeintlichen Ballast der Vergangenheit über Bord zu werfen, scheint die Niederlage bloß eine notwendige Voraussetzung zu sein, jedoch keine hinreichende: Die rituell abgehandelte Abnabelung von den eigenen Vorfahren steht vielmehr im Zeichen des gegenwärtigen Erfolges, der sich durch eine nicht ganz lupenreine Vergangenheit kompromittiert glaubt.

Auf der anderen Seite muß "Vergangenheitsbewältigung" als Trostpflaster für Neider herhalten, die sich vom Wirtschaftswunder "made in Germany" (oder auch im "sunbelt" der USA) in den Schatten gestellt sehen. Das Verhältnis von realer Macht und symbolischer scheint doch ein wenig hintergründiger zu sein als gemeinhin angenommen. Auch bietet derlei "Gewissensforschung" zwar Futter für Schreiberlinge und Beschäftigungstherapie für die "chattering classes" mit oder ohne akademischen Weihen. Für das gegenwärtige politische System und sein Schicksal ist sie aber wohl weit weniger bedeutsam, als die Geschichtenerzähler uns weismachen wollen. Mit dem historischen Befund hat das pharisäerhafte Treiben ungnädiger Spätgeborener in dem einen oder anderen Falle wenig zu tun.


 
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