© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Präsidenten-Weisheiten
von Michael Oelmann

Bundespräsident Roman Herzog hat wieder gesprochen. Anläßlich eines Festaktes zum 200. Geburtstag des Dichters Heinrich Heine Mitte Dezember in Düsseldorf waren es diesmal "die Intellektuellen", denen sich der Präsident in seinem bayerisch-behäbigen Duktus gutbürgerlicher Weltweisheit widmete. Herzog betonte bei der Festivität rund um den in seiner Düsseldorfer Geburtsstadt als "kultureller Standortfaktor" und identitätsstiftender Promi mit viel Brimborium hervorgekehrten Dichter, wie wichtig es sei, daß die "Gesellschaft" (wieder dieses Unwort!) von Schriftstellern und Intellektuellen kritisiert werde. "Ohne kritischen Einspruch, ohne das Engagement unbequemer Denker verkümmert eine Gesellschaft. Wir brauchen Streit und Widerspruch, wir brauchen die Zumutungen und Fragen unabhängiger Köpfe", erklärte Herzog.

Vorsicht aber, wer sich dabei als Unzeitgemäßer wider den bundesrepublikanischen Zeitgeist – gar noch aus der konservativen Ecke – angesprochen fühlen sollte. Herzog winkte mit seinen Worten vor allem Richtung Günter Grass und dem Wirbel um dessen Rede zur Friedenspreisverleihung vor zwei Monaten. Damit meint und huldigt Herzog die "aufklärerische", die "linke" Kritik, und hat damit alles andere als ein bemerkenswertes, "kritisches" Zeichen gesetzt. Im Gegenteil: Dieser Kritik-Begriff einer podiumsdiskutierenden, lichterkettencouragierten Permanenzopposition ist eigentlich das, was seit dem Aufbruch der Achtundsechziger als allgemeine Lebenshaltung durch die Etagen unserer Gesellschaft marschiert ist und nun – auf der Höhe der linksliberalen Kultur – beim Präsidenten höchstselbst angekommen ist (bei der Nummer zwei im Staate, Rita Süssmuth, kann darüber überdies kein Zweifel bestehen).

Die Konditionierung der "Gesellen" unserer "Gesellschaft" zum sogenannten "kritischen Bürger" beginnt bereits in den Schulen, wo "Widerstand" und "Protestfähigkeit" die oberste pädagogischen Wertziele sind. Und sie endet damit, daß nur der als schick und tüchtig gilt, der "gegen etwas ist" und dies mindestens mit einem Aufkleber am Auto darzustellen weiß. Da läßt es einen beim präsidialen Bekenntnis zu eben dieser Hegemonie des ach-so-kritischen Geistes, mit Verlaub, nur leise gähnen. Wenn man etwas bewegen will – und in unserem Lande gibt es weiß Gott genug Anlaß dazu – dann braucht man gerade jene, die mitreißen, anspornen können, die positive Ziele zu setzen vermögen und sich nicht allein in zeitgeistkonformer Kritik erschöpfen. Die würden sich auch auf dem bundesrepublikanischen Präsidentenstuhl gut machen.


 
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