© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Strukturwandel
Karl Heinzen

Die Steuerpläne der Bundesregierung haben die Abstimmung am Aktienmarkt überzeugend gewonnen. Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen, die eine Kapitalgesellschaft an einer anderen hält, sollen nicht mehr steuerpflichtig sein: Die Ankündigung allein war schon gut für ein kleines Kursfeuerwerk. Da es jedem freistand, hier mitzutun, ist dieser Teil des Reformwerks eigentlich bereits in ausreichendem Maße demokratisch legitimiert. Ungewohnt ist allein das unverhohlene Bemühen der Politik, zur Bereicherung der Reichen beizutragen. Doch hierbei handelt es sich wohl eher um eine Stil- als um eine Grundsatzfrage.

Die Regierung Schröder unterscheidet sich von all ihren Vorgängerinnen in der bundesrepublikanischen Geschichte nämlich vor allem dadurch, daß sie den Interessen des Großkapitals nicht mehr nur heimlich verpflichtet sein möchte, sondern nach Mitteln und Wegen sucht, sich dazu auch bekennen zu dürfen. Getrieben wird sie dabei keineswegs von Zynismus oder gar einem fanatischen Verlangen, endlich auch symbolisch mit dem ideologischen Traditionsbestand der deutschen Linken abzurechnen. Motiviert wird diese Politik vielmehr durch die Hoffnung, die letzten Gespenster der Ära Kohl als der finstersten Epoche deutscher Nachkriegsgeschichte durch einen neuen Zug zu mehr Ehrlichkeit vertreiben zu können. Schein und Sein unseres Gemeinwesens sollen endlich wieder so weit zur Deckung gebracht werden, wie es die staatspolitische Verantwortung gerade noch zulassen kann.

Zu einer neuen Wahrhaftigkeit gehört aber auch die Klarstellung, daß ein Regierungschef nicht gegen die prioritären Wünsche der Mächtigen in unserem Land regieren kann. Niemand hat etwas gegen den sogenannten Mittelstand, auch wenn dieser historisch alles andere als unbelastet ist und man sich daher vor seiner Ideologisierung hüten sollte. Einer amorphen Masse widersprüchlicher Einzelinteressen ohne Gewicht kann man aber schlecht dienen, vor allem dann nicht, wenn man, und dies ist einer Mediendemokratie kaum anders möglich, den Event-Charakter von Politik nicht vernachlässigen möchte. Da ist es legitim, sich auf Sanierungsfälle wie Holzmann zu konzentrieren und hinsichtlich der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen einer handverlesenen Klientel großer Gesellschaften ihre schwere Arbeit zu erleichtern.

Der Fiskus darf keine falschen Anreize setzen, wenn sich Unternehmen von Beteili- gungen oder Tochtergesellschaften trennen wollen. Der Verbleib der Gewinne im Konzern schafft Spielräume für weitere Ratio- nalisierungs-Investitionen sowie für neue Übernahmen. Der erhoffte Strukturwandel kann aber nur gelingen, wenn er nicht mit beschäfigungspolitischen Erwartungen beschwert wird. Wir sollten lernen, uns darüber zu freuen, wenn die verbleibenden Arbeitsplätze profitabler und damit sicherer werden.


 
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