© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Berlin: Der Regierungssitz zieht die Wirtschaftsverbände an
Alte Themen in neuen Gebäuden
Ines Steding

Um den Reichstag herum entsteht ein immer dichterer Gebäudegürtel des wirtschaftspolitischen Verbandswesens. Dieses ölt oder verharzt, je nach Sicht der Dinge, das politische Getriebe, wobei auch an den neuen Schauplätzen die Themen die alten sind: die Steuer- und Abgabenlasten der Unternehmen, der im Konzentrationsdruck gepiesackte Mittelstand und die Zwangsgebühren der Kammern.

Als erster Spitzenverband zog es im Herbst 1999 den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in ein von der Treuhand erworbenes, 1908 errichtetes Geschäftshaus in Berlin-Mitte. Den Dachblick zum Gendarmenmarkt zu genießen ist das Privileg der ZDH-Presseabteilung. Das Gebäude, deren Räume penibel restauriert und deren Modernisierungsarbeiten vom Denkmalschutz streng beäugt wurden, beherbergte zu DDR-Zeiten die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD) und stellt heute ein Schaufenster handwerklichen Könnens dar. Die Baulose wurden sukzessive an Firmen aus ganz Deutschland vergeben und ZDH-Präsident Dieter Philipp konnte beim Einzug hervorheben, daß "auf dieser Baustelle deutsch verstanden wurde".

In "Haus der Wirtschaft" befinden sich erstmals die drei industriellen Spitzenorganisationen unter einem Dach: einer gemeinsam genutzten, imponierenden gläsernen Atriumsüberwölbung gegenüber dem historischen Nikolaiviertel. Jeweils voneinander getrennte Bürotrakte nutzen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgebervereinigung (BDA) und der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT). Die Bewahrung der eigenen Verbandsidentität ist mehr denn je oberstes Gebot, wenngleich auch oftmals die unterschiedlichen Akzente in der öffentlichen Diskussion "untergehen".

Sämtliche Spitzenorganisationen kehrten nunmehr an den Ort ihres Wirkens vor dem Zweiten Weltkrieg zurück. Der ZDH hätte auch auf sein ursprüngliches, erhaltenes Domizil zurückgreifen können: Dieses fungiert jedoch als Sitz der US-Botschaft, was bereits vor 1989 völkerrechtlich verbindlich abgesichert und im Einheitsvertrag nochmals bestätigt wurde. Bevor die USA ihren Neubau am Brandenburger Tor nicht realisiert haben, kann der ZDH von seinem Rückgabeanspruch keinen Gebrauch machen.

Und wie steht es um andere wirtschaftliche Denkfabriken? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gehört zu den sechs großen Einrichtungen, wie etwa das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München, die "unabhängig", also weder per se für die Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite Partei ergreifen. Das DIW finanziert sich zur Hälfte als staatlicher Zuwendungsempfänger und zum anderen Teil über Auftragarbeiten. Seit 1925 ist die Einrichtung in Berlin ansässig, seit 1950 im westlichen Stadtteil Dahlem.

Ebenfalls in den Westen zog es die einflußreiche arbeitgebernahe "Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer" (ASU), die mit ihren radikalen ordnungspolitischen Anstößen ganz auf der Linie Friedrich August von Hayeks liegen. Die ASU-Geschäftsstelle war zuvor Hertha BSC-Zentrale.

Der Trend aber heißt "Bezirk Mitte": Genauso wie für den "Wirtschaftsrat der CDU", der im Juli 2000 seinen Neubau im Regierungsviertel beziehen wird, gilt dies für das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), wobei das Berliner Büro des IW nur ausgebaut wird, wie dessen Leiter Hans-Joachim Beyer betont. Köln bleibe Hauptsitz.

Zu guter Letzt: Im premierenverwöhnten Berlin war jüngst immer wieder auch der ökumenisch erteilte Segen durch die Bevollmächigten der katholischen und evangelischen Kirche beim Bund gefragt. Während Prälat Paul Bocklet seine Dienststelle erst Anfang 2000 im "Katholischen Zentrum" beziehen wird, residiert Prälat Stephan Reimers bereits am Gendarmenmarkt, unter dem Dach der evangelischen Akademie, in der einstigen Zentrale der Ost-CDU.


 
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