© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Nachruf: Der Historiker Heinz Gollwitzer starb kurz vor der Vollendung seines 83. Lebensjahres
Ein Verteidiger der akademischen Lehre
Karlheinz Weißmann

Am 26. Dezember 1999 starb, kurz vor Vollendung seines 83. Lebensjahres, der Historiker Heinz Gollwitzer. In den wenigen Würdigungen aus Anlaß seines Todes wurde vor allem auf seine Verdienste um die bayerische Landesgeschichte hingewiesen. Tatsächlich hatte er schon mit seiner Dissertation über Karl August von Abel, einen der wichtigsten Berater Ludwigs I., erkennen lassen, daß er sich diesem thematischen Bereich besonders verpflichtet fühlte. Der Text der Doktorarbeit wurde allerdings bei einem Bombenangriff auf München im Herbst 1944 vernichtet, und erst im Alter hat sich Gollwitzer dem Thema erneut zugewendet und eine Biographie Abels (1993) vorgelegt, die in innerem Zusammenhang mit seiner wenige Jahre früher erschienenen Biographie Ludwigs I. (1986) stand.

Allerdings wäre es eine starke Verkürzung, wollte man Gollwitzers Lebenswerk tatsächlich auf den Bereich der Landesgeschichte reduzieren. Es gab aus seiner Feder auch Arbeiten zur frühen Neuzeit, und mit dem Buch über die "Standesherren" (1957) schuf er eine unverzichtbare Grundlage für jede Beschäftigung mit der historischen Bedeutung des deutschen Adels.

Er, der zu den letzten Schülern Karl Alexander von Müllers gehörte, konzentrierte seine wissenschaftlichen Anstrengungen aber vor allem auf die politische Ideengeschichte und hat für dieses Gebiet schon mit einer Habilitation über "Europabild und Europagedanke" (1951) und dann mit einer Untersuchung über das Schlagwort von der "gelben Gefahr" (1962) hervorragendes geleistet.

Ganz zentrale Bedeutung für den Zusammenhang kommt seiner zweibändigen "Geschichte des weltpolitischen Denkens" (1972/82) zu. Gollwitzer hat auf breiter Quellenbasis die Entwicklung jener Vorstellungen nachgezeichnet und analysiert, die mit der europäischen Expansion entstanden, ihren Höhepunkt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erreichten und nach 1945 in die verschiedenen Konzepte der "einen Welt" übergingen.

Die ganze Arbeit ist von außerordentlicher Nüchternheit geprägt, zwingt aber schon wegen der auf Vergleich ausgerichteten Methode zu der Einschätzung, daß es im Hinblick auf Geschichtsphilosophie und politische Ideologie entweder nur "Sonderwege" gab oder von einem "deutschen Sonderweg" im Ernst nicht gesprochen werden kann. Vor allem die Ähnlichkeit des imperialistischen Denkens in England, den USA und Deutschland ist frappierend. Die Übereinstimmung reichte von der Geopolitik mit einer stark maritimen Komponente über die Auffassung von der Sendung der germanischen Rasse bis hin zu der Vision planetarischer Kämpfe, bei denen es im 20. Jahrhundert um die "Weltherrschaft" gehen werde.

Gollwitzer lehrte von 1957 bis zu seiner Emeritierung 1982 an der Universität Münster. Rufe an viele andere bedeutende Hochschulen hat er abgelehnt. Diese Treue stand wahrscheinlich im Zusammenhang mit seinem Unmut über die Folgen der Studentenrevolte. Gollwitzer, der aus seinem Widerwillen gegen "’68" keinen Hehl machte, reagierte anders als viele seiner Kollegen weder mit Rückzug noch mit Verbitterung, sondern mit der entschlossenen Verteidigung der traditionellen Maßstäbe akademischer Lehre. Dazu gehörte auch die Förderung der Begabten und Befähigten, als deren schönstes Ergebnis man die Entstehung der "Gollwitzer-Schule" betrachten kann, deren Glieder keine geschlossene Einheit bildeten, doch von ihrem Mentor neben Kenntnissen die Neugier auf etwas außerhalb der üblichen Perspektive liegende Fragestellungen erlernten.

Hingewiesen sei hier vor allem auf die vorzügliche Untersuchung von Winfried Schüler "Der Bayreuther Kreis" (1971) sowie auf die Dissertation von Käthe Panick über den Panromanismus unter dem Titel "La race latine" (1978). Neben seinen eigenen werden diese Arbeiten seiner Schüler dazu beitragen, daß der Name Gollwitzer in der deutschen Geschichtswissenschaft nicht ganz vergessen werden kann. Gollwitzer gehörte in der Nachkriegszeit zu ihren stärksten konservativen Größen.


 
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