© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Kolumne
Licht & Schatten
von Klaus Motschmann

Adelbert von Chamisso (1781–1838) hat in einer wundersamen Geschichte das Schicksal eines Mannes beschrieben, der seinen Schatten verkaufte, um dadurch zu Wohlstand und Anerkennung zu gelangen. Aber das Gegenteil trat ein. Der "Mann ohne Schatten" verbreitete einen unheimlichen Eindruck und wurde in die gesellschaftliche Isolation getrieben. Er wanderte schließlich um die ganze Welt, um seinen Schatten wieder zu erlangen.

Schriftsteller, Publizisten und Zeitgeistliche aller Art üben sich in zunehmendem Maße in der Beschreibung eines exakt umgekehrten Vorganges: sie beschreiben lange Schatten, die aus der Geschichte auf unser Volk fallen, denen allmählich die Körper abhanden kommen. In absehbarer Zeit werden keine "willigen Vollstrecker" mehr leben. Verschwinden damit aber auch die von ihnen tatsächlich oder vermeintlich verursachten Schatten? Keineswegs!

Die neuen "Schattenwerfer" sind bereits ausgemacht. Es sind Angehörige der Nachkriegsgeneration, denen man in der Regel keine bewußte Orientierung an der nationalsozialistischen Weltanschauung bzw. Politik oder gar Verbindungen zu neofaschistischen Gruppen nachweisen kann. Darauf kommt es aber auch gar nicht an, sondern vielmehr auf die unbewußte Innensteuerung durch bestimmte traditionelle Normen und Werte, die das Aufkommen und die Herrschaft des Nationalsozialismus angeblich begünstigt hätten. Der Schweizer Theologe Karl Barth, einer der intellektuellen Ziehväter der politischen Linken, sprach in diesem Zusammenhange von Indizien auf den "Hitler in uns".

Dieser syllogistische Taschenspielertrick, aus der tatsächlichen Übereinstimmung in einigen Teilbereichen auf eine unbewußte nationalsozialistische Gesinnung zu schließen und diese dann bewußt zu machen, zeitigt seit langem deutliche Wirkungen. Jüngstes Beispiel ist die "Auseinandersetzung" um eine Lichtschau an der Berliner Siegessäule in der Silvesternacht. Sie mußte gründlich geändert werden, weil das ursprüngliche Konzept Erinnerungen an Albert Speers "Lichtdom" zum Abschluß der Olympiade von 1936 hätte wecken können. "Mag sein, daß die Macher dies nicht wollten – aber gerade unbewußte Wiederholungen sind verräterisch", hieß es dazu in einer Zeitung.

In Zukunft wird es demnach nicht allein auf die Kontrolle des politisch korrekten Bewußtseins, sondern mehr noch des politisch korrekten Unterbewußtseins ankommen. Es sollten keine Zweifel bestehen, daß die antifaschistischen "Hüter der Verfassung" und ihre journalistischen Wünschelrutengänger auf diese Weise noch sehr lange die passenden Körper für die Schatten finden, von denen sie leben.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen