© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Zeitschriftenkritik: "puls" – Schrift der Jugendbewegung
Erfahrungen im Jungvolk
Karlheinz Weißmann

Wer jemals den Text eines Flugblatts der "Weißen Rose" in Händen hatte, wird sich vielleicht der Verwunderung erinnern, die man als heutiger Leser bei der Lektüre empfindet. Der Appell an die "Ehre", die Zitate aus den Werken Körners und Fichtes, die Berufung auf Arndt und Stein, überhaupt auf die Heroen der frühen Nationalbewegung, wirken fremd, eine Wahrnehmung, die durch die Forderung, das NS-Regime zu beseitigen, um Deutschlands Namen wiederherzustellen, nicht gemildert, sondern noch gesteigert wird.

Trotzdem gehört die "Weiße Rose" zu den Ikonen einer von links reklamierten Widerstandstradition. Zwar ist bekannt, daß sowohl Hans als auch Sophie Scholl, die führenden Köpfe der Gruppe, ursprünglich begeisterte Mitglieder der Hitlerjugend waren, aber ihre spätere Haltung scheint in keiner Beziehung zu dem früheren Enthusiasmus gestanden zu haben, oder wird einfach als Folge einer Bekehrungserfahrung interpretiert.

Ein Grund für diesen Kurzschluß ist, daß die dreißiger Jahre im Blick auf das Leben der Geschwister Scholl nur als Vorgeschichte des späteren Widerstands gesehen werden, ohne das Moment biographischer Kontinuität zu beachten. Eine Perspektive, die jetzt eine Korrektur erfährt, denn in der neuen Ausgabe von puls, der "Dokumentationsschrift der Jugendbewegung", die nach mehrjähriger Unterbrechung wieder erscheint, ist dem Thema "Die Ulmer ’Trabanten‘. Hans Scholl zwischen Hitlerjugend und dj. 1.11" gewidmet.

In einer Mischung aus Quellen, Befragungsergebnissen und Darstellung hat Eckard Holler die Basis für eine aufschlußreiche Neubewertung von Scholls Erfahrungen im "Jungvolk" möglich gemacht. Anknüpfend an einen erhalten gebliebenen Bericht über die Schwedenfahrt, die Scholl 1936 mit einer kleinen Gruppe unternahm, die sich in der Tradition von tusks autonomer jungenschaft als "Trabanten" bezeichnete (nach Georges "Der Stern des Bundes": "Wer je die flamme umschritt/Bleibe der flamme trabant ...") und nicht nur die äußeren Stilelemente – Kohte, Riegelbluse –, sondern auch Weltanschauliches aus dem Konzept der dj. 1.11 – Rußlandmystik, Lesung von tusks Heldenfibel – übernahm, entwickelt Holler das Bild eines Repräsentanten jener Generation von Jungvolkführern, die in ihren Auffassungen nachhaltig durch Bündische geprägt wurden, die nach der "Machtergreifung" den Aufbau der Jungvolk-Organisation übernommen hatten. Deren Orientierung an Ästhetik und Vorstellungswelt der Jungenschaft schien auch bis Mitte der dreißiger Jahre kaum ein Problem darzustellen. Scholl selbst sah jedenfalls keinen Loyalitätskonflikt, wenn er mit seinen Trabanten nach dem Vorbild von tusks legendärer Lapplandfahrt bis zum Storuman-See zog und gleichzeitig eine Position im Jungvolk innehatte, mehr noch: als besonders "schneidiger" und Abweichung hart ahnender Führer galt.

Das hat ihn zuletzt aber nicht den Verfolgungsmaßnahmen durch die Gestapo entziehen können, die immer schärfer gegen "bündische Umtriebe" vorging. 1938 wurde Scholl zusammen mit mehreren anderen wegen "Fortsetzung der bündischen Jugend" verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, die Strafe fiel allerdings unter Amnestie. Seine Schwestern Elisabeth und Sophie verloren ihre Ränge als Jungmädelführerinnen. Vor allem bei Sophie Scholl hatte sich in der Zeit zuvor eine ganz ähnliche Entwicklung wie bei ihrem Bruder abgezeichnet, nur gemildert durch ihre Jugend und die beschränkteren Möglichkeiten, die der BdM bot.

Einige überlebende Zeitzeugen erinnern sich noch heute des ganz unbürgerlichen "Fanatismus", der bei den Geschwistern Scholl das Bekenntnis zum Nationalsozialismus wie später die Widerstandshaltung geprägt habe. Ohne dieses Moment überzubetonen und ohne zu behaupten, daß die "Weiße Rose" das Ergebnis von tusks Pädagogik war – vor allem in der Folgezeit gewannen noch ganz andere geistige Einflüsse an Bedeutung für die Scholls und ihren Kreis –, darf der Faktor "Jungenschaft" doch auch nicht vernachlässigt werden.

 

"puls" ist zum Preis von 11,80 DM zu beziehen über: Verlag der Jugendbewegung, Postfach 150 330, 70076 Stuttgart oder verlag@jugendbewegung.de ; Eine Liste der noch verfügbaren älteren Hefte der empfehlenswerten Zeitschrift kann aufgerufen werden unter www.jugendbewegung.de


 
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