© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
Spendenaffäre: Nach den neuen Enthüllungen steht die CDU vor dem Bankrott
Alles für die Partei
Dieter Stein

Mit den Enthüllungen über das schwarze Millionenkonto der hessischen CDU im Ausland hat die Spendenaffäre der Union an Dramatik gewonnen. Nun rollen die ersten Köpfe. An erster Stelle Manfred Kanther, bärbeißiger Law-and-Order-Mann, der sich nun als jemand entpuppt, der ein gesetzwidriges Rechnungswesen seiner Partei jahrzehntelang bewußt gedeckt hat. Dann folgte Kohl mit seinem Rücktritt vom Ehrenvorsitz. Man habe doch nur der Partei dienen wollen, lautet die gebetsmühlenartige Entschuldigung der ertappten Sünder.

Sonderlich überrascht scheint der "Mann auf der Straße" nicht zu sein. Wer nun glaubt, die Bürger seien geschockt, daß reihenweise Politiker zerknirscht einräumen, sie hätten gelogen, irrt sich, denn Tatsache ist, es verblüfft kaum jemand. Höchstens, daß es nun so konzentriert ans Tageslicht kommt.

Es bricht derzeit eine Fassade zusammen, hinter der Durchschnittsbürger schon immer Schweinereien vermutet haben. In der Politik geht es eben zu wie überall, wo Kontrollen versagen. Und da die Parteien glauben, sie hätten den Staat gepachtet, meinen die Parteipolitiker, alles was der Partei nützt, nütze auch dem Staat und könne deshalb logischerweise nicht verkehrt sein.

Statt darüber nachzudenken, wie die Kontrollen verstärkt werden können, wird nun darüber philosophiert, wie man dafür sorgen könne, daß mehr "Wahrhaftigkeit" in die Politik einzieht. Treuherzig versucht ein Kommentator der Welt, christliche Tugenden zu reanimieren: "Auch wenn wir um die Zwänge der Realpolitik (…) wissen, auch wenn sich niemand naive Vorstellungen über die moralische Integrität der Menschen machen sollte, ist doch die christliche Ethik und ihre eindeutige Tugendlehre immer noch das beste moralische Regulativ."

Es gibt jedoch strukturelle Mängel, die Politiker dazu verführen, das Parteiinteresse über das Gemeinwohl zu stellen. Wenn das so ist, müssen die Mängel im Parteiensystem abgestellt werden. Wäre der derzeitige Bundespräsident beispielsweise vom Volk gewählt, könnte er im Spendenskandal eine überparteiliche Rolle spielen. Stattdessen ist Johannes Rau selbst in dieWestLB-Flugaffäre der SPD tief verstrickt und schweigt seit Wochen beharrlich.

Obwohl der Bundespräsident, der Bundeskanzler und die Minister einen Eid auf die Verfassung ablegen und erklären, sie dienten dem deutschen Volk, gilt ihre Loyalität offenbar stärker der Partei, der sie ihren Aufstieg verdanken. Um den Preis der Machtsicherung der eigenen Organisation setzen sie alles aufs Spiel – nicht zuletzt Recht, Gesetz, Ehre und die Wohlfahrt des Landes.

Die führenden Parteipolitiker der CDU, aber auch aller anderen Parteien, unterliegen einem Irrtum, wenn sie glauben, es sei eine Katastrophe für das Land, wenn ihre Partei untergeht. Entscheidend ist, daß freie und geheime Wahlen stattfinden, bei denen ihrem Gewissen verpflichtete Abgeordnete in eine Volksversammlung gewählt werden. Parteien sollen nach dem Grundgesetz lediglich bei der politischen Willensbildung "mitwirken". Mehr nicht.

Die Parteien haben sich seit dem Bestehen der Bundesrepublik aber in anmaßender Weise ihren eigenen Status zu halbstaatlichen Institutionen hochgeschraubt. Die finanzielle Ausstattung der Mammutorganisationen ist überhaupt nicht mehr zu rechtfertigen. Kaum eine Personalentscheidung in führenden Ebenen von Justiz, öffentlicher Verwaltung, Universität, Bundeswehr, Polizei, die nicht nach dem Parteibuch entschieden wird. Die Schwächung der Parteien im Zuge der Spendenaffäre kann deshalb auf die Gewaltenteilung und die Demokratie nur äußerst belebend und personell erneuernd wirken.

Der Bundestagspräsident muß die Rechenschaftsberichte der CDU aus den letzten Jahren wegen Mangelhaftigkeit abweisen. Aufgrund dessen könnte die CDU nach derzeitigem Stand 40 Millionen Mark an staatlichen Mitteln einbüßen. Wenn der wirtschaftliche Schaden weiter zunimmt, ist die CDU existenziell bedroht. Das ist traurig für die CDU, aber keine Katastrophe für Deutschland. Was sich jetzt abzuzeichnen scheint, ist ein klärender und erfrischender Vorgang. Es findet ein Austausch, eine Erneuerung des personellen Angebotes statt. Unter welchem Parteinamen auch immer. Wenn ein Unternehmen in den Ruin getrieben wird, fliegen die Vorstände. Wenn es bankrott geht, übernimmt ein besserer Konkurrent die Kunden.


 
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