© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Friedensstifter
Karl Heinzen

Als Sportminister weiß Otto Schily um die Lage des deutschen Fußballs und kann sich ausmalen, zu welchen Leistungen die Nationalelf bei der anstehenden Europameisterschaft in Belgien und in den Niederlanden fähig sein wird. Als für die Staatssicherheit zuständiger Minister wiederum vermag er sich gut vorzustellen, daß solche Debakel auch dann der Nährboden für Gewalt sind, wenn sie nicht aus heiterem Himmel fallen. Wer sich ausgerechnet für Fußball begeistern läßt und noch dazu Lebenszeit und erhebliche Teile seines Einkommens aufwendet, um sich Spiele vor Ort in zugigen Stadien inmitten niveauloser Menschen anzusehen, der hat sich von der Vernunft als dem Fundament unseres Gemeinwesens längst verabschiedet. Er mag dann der Steuerzahler, der Angestellte, der Familienvater sein, aber man muß mit dem Schlimmsten bei ihm rechnen. Viele merken bereits am Bildschirm, welche Veränderung in ihnen vorgeht, wenn der Ball erst einmal rollt. Im Stadion kann sich niemand mehr der Verrohung entziehen.

Die Gesetzesinitiative von Otto Schily, den 3000 prominentesten Hooligans für die Dauer der Europameisterschaft den Personalausweis und den Reisepaß zu entziehen, wird daher den Spielen und ihrem Umfeld keinen Frieden bringen können. Selbst eine vorsorgliche Internierung der durch eine objektive Software selektierten Mißtrauensträger erlaubte es zwar, das über sie verhängte Ausreiseverbot wenigstens durchzusetzen. Auch sie würde aber nicht verhindern können, daß es dann halt bislang Unauffällige sind, die unsere Nachbarländer heimsuchen. Die Gewalt wird nicht an den Fußball herangetragen, er selbst ist es, der sie den Menschen entlockt.

Otto Schily müßte aber, wenn er den Fußball insgesamt schon nicht unterbinden kann, gar nicht 3000 Ausreisewilligen ihre Freizügigkeit nehmen. Es würde reichen, wenn er seine Repressalien auf exakt 22 Personen eingrenzt, auf jenen Kader nämlich, der der seelischen Verfassung der Deutschen und ihrer Geltung im Ausland nichts anderes als Schaden zufügen kann. Das Vorhaben des Innenministers wird den vorgeblichen Zweck also kaum erreichen können. Die Vermutung liegt daher nahe, daß ein anderer verfolgt wird. In den 15 Monaten seit der Machtergreifung hatte die neue Regierung abseits des Staatsbürgerschaftsrechts kaum Gelegenheit, die Republik irreversibel nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Insbesondere an eine dauerhafte Ausschaltung des politischen Gegners war bislang nicht zu denken. Der Abschied von der CDU bietet hier neue Chancen. Was nach der Paralysierung der Union irgendwann aus dieser hervorgeht, soll bereits eine neue Republik vorfinden, um dann zu entscheiden, ob man sich in dieser noch zurechtfinden will. Es schadet also nichts, wenn der Bürger frühzeitig an unkonventionelle Zuchtmittel gewöhnt wird, damit der Konsens in unserem Gemeinwesen bewahrt bleibt.


 
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