© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000


Frankreich: Die Grünen zeigen sich kopf- und konzeptionslos
Havarie auf ganzer Linie
Michael de Wet

Das neue Jahr hätte für Frankreich nicht schlechter beginnen können: Ein Drittel des Waldes wurde durch einen Orkan zerstört, ein mehr als 500 Kilometer langer Küstenstreifen von Öl verschmutzt, in dem unzählige Vögel und Meerestiere qualvoll verendeten. Nicht minder verheerend als die Umweltkatastrophen selbst war aber auch das Krisenmanagement des Umweltministeriums. Dessen Strategie aus anfänglicher Bagatellisierung und späterer Hilf- und Konzeptionslosigkeit erhält seine besondere Pikanterie dadurch, daß es immerhin die Grünen sind, die mit Dominique Voynet die Umweltministerin stellen.

Besonders übel angekreidet wurde ihr, daß sie sich nach Bekanntwerden der Havarie des Tankers "Erika" vor der französischen Küste zunächst hartnäckig weigerte, ihren Badeurlaub auf dem Überseedepartement Réunion abzubrechen, um in die Bretagne zu fahren, an deren Stränden tausende Tiere mit dem Tod kämpften. "Ich habe halt nur gedacht, einer muß die Ruhe bewahren", lautete ihr hilfloser Kommentar angesichts der ökologischen Katastrophe.

Das Versagen in der Stunde der Bewährung wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der französischen Grünen. Seitdem Dominique Voynet 1993 die Führung von "Les Verts" übernahm, haben sich die französischen Grünen von einer Umweltpartei zum Sammelbecken der extremen Linken gewandelt. Um ein gutes Jahrzehnt zeitversetzt vollzog sich hier dieselbe Entwicklung wie bei den deutschen Grünen: 1994 verließ der einstige Gründer und Chef der Grünen, Antoine Waechter, "Les Verts", um eine eigene Partei, das Mouvement Ecologistes Indépendants (MEI) ins Leben zu rufen, deren Devise "weder rechts noch links" stark an die Losung erinnert, die Herbert Gruhl ausgab, als er 1981 die deutschen Grünen verließ und die konservativen Ökologen in der ÖDP zu sammeln suchte.

Während die bürgerlichen Umweltschützer auch in Frankreich eher ein Schattendasein fristen, schien sich der Linkskurs der Grünen zunächst auszuzahlen. Bei der Europawahl im vorigen Jahr zog ihr Spitzenkandidat Daniel Cohn-Bendit als Magnet für Alt-68er, Anarchisten und Linkssozialisten zahlreiche Stimmen an und hievte die Grünen mit 9,7 Prozent ins Europaparlament. Doch dieser Sieg wurde teuer erkauft: trotz des guten Wahlergebnises ist die grüne Partei in einem desolaten Zustand, was ihre inhaltliche Profilierung anbelangt. Vor allem auf ihrem ureigensten Terrain, der Umweltpolitik, blieb die Politik der grünen Partei blaß und konturlos. "Sie erscheint wie eine Tribüne für frühere Mitglieder der extremen Linken, die sich vor der Marginalisierung retten wollen", urteilte die französische Zeitung Le Monde mit Blick auf das gescheiterte Krisenmanagement während des Tankerunglücks.

So kläglich die grüne Politikerin versagte, so sehr erwies sich das Tankerunglück als Sternstunde für einen Politiker der Rechten: "Hauptgewinner gegen die Umweltministerin war Philippe de Villiers, der nationalkonservativ gesinnte Vorsitzende des Departements Vendée. Er, der bisher zum Thema Umweltschutz nichts Nenneswertes hatte verlauten lassen, avancierte zwischen Öl-strand und Aufnahmestudio geschickt zum radikalsten Umweltschützer Frankreichs", notierte Joseph Hanimann in der FAZ vom 4. Januar mit Häme – und ohne nähere Kenntnis. De Villiers unterscheidet sich von vielen Nationalkonservativen in Frankreich und anderen europäischen Ländern sehr wohl dadurch, daß er Naturschutz nicht als ein "linkes" grünes Thema abtat, sondern als Bestandteil einer konservativ-bodenständigen Grundhaltung erkannte. Auf der Liste seiner Partei "Mouvement pour la France" wurde 1994 Sir James Goldsmith ins Europaparlament gewählt, einer der profiliertesten Umweltschützer Großbritanniens. Dessen Bruder Edward Goldsmith ist Begründer und Herausgeber des renommierten Magazins The Ecologist. Als dieses Anfang vorigen Jahres eine Kampagne zur Verschärfung der weltweiten Anstrengungen zum Klimaschutz startete, gehörte neben Prominenten der Öko-Szene wie Fritjof Capra, James Lovelock, Freda Meissner-Blau, Jose Lutzenberger, Kirckpatrick Sale und Vandana Shiva auch der französische Abgeordnete de Villiers zu den Unterzeichnern. Andere konservative Politiker suchte man vergeblich – ebenso wie die grüne französische Umweltministerin.


 
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