© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
CD: Heinz Rudolf Kunze
Werkschau
Holger Stürenburg

Nach fast 20jähriger Karriere hielt es der aus Osnabrück stammende Liederschreiber, Deutschrocker, Sprachakrobat und Zeitgeistkritiker Heinz Rudolf Kunze für angebracht, eine umfangreiche Werkschau seines bisherigen Schaffens zu veröffentlichen. Unter dem Titel "Nonstop" erschien eine Einfach-CD mit 16 Klassikern sowie eine limitierte Doppel-CD, die zusätzlich 13 weniger bekannte Lieder Kunzes beinhaltet.

Die letzten 20 Jahre Kunze bestanden aus drei Phasen: Zwischen 1981 und 1984 präsentierte er meist schwerverdauliche Balladen, nahe an Randy Newman, zwischen ätzender Gesellschaftskritik und absurder Beschreibung noch absurderer Situationen des Alltags. Nachdem er seine Band 1985 mit dem eher poporientierten Gitarristen Heiner Lürig anreicherte, folgten bis 1991 – wie Kunze selbst augenzwinkernd formuliert – "the times, when we were popstars". Kunze avancierte zum Hitparadenstar, geriet oft nah an den Schlager, wurde textlich zahmer, langweiliger, weniger unverkennbar. Ab 1992 verband Kunze jedoch seinen früheren Zynismus mit oft schrägen, von den siebziger Jahren beeinflußten Rockklängen, so daß er zumindest textlich nahezu die Qualität seiner Anfangsphase erreichte.

Auf der "Nonstop"-Einzel-CD finden sich anspruchsvolle Liebeslieder wie "Mit Leib und Seele" (1986), "Wenn Du nicht wiederkommst" (1991) oder "Dein ist mein ganzes Herz" (1985) neben schlagerhaften Balladen ("Ich brauch Dich jetzt", 1986), "Ich hab’s versucht" oder "Alles, was sie will" (beide 1989). Hervorzuheben sind neben dem genialischen Anti-Liebeslied "Alles gelogen" der von Raymond Chandler beeinflußte Countyrock "Finden Sie Mabel", Kunzes Rückschau auf die Entwicklung zwischen den Fünfzigern und den Achtzigern unter dem Titel "Wunderkinder" und die Kinks-Bearbeitung "Lola", deren deutscher Text das an sich schon hervorragende Original von Ray Davies noch um Längen schlägt. Zum Schluß gibt es Kunzes besten Song der Achtziger, in einer witzigen A-Capella-Version: "Ich wünsch’ mir, ich wär’ beim Sicherheitsdienst".

Für die zweite "Nonstop"-CD scheint Kunze seine persönlichen Lieblingsstücke aus seinem fast 20 Alben umfassenden Werk ausgesucht zu haben: So etwa die Ballade "Regen in Berlin", 1982 dem bei einer Hausbesetzerdemo umgekommenen Klaus Jürgen Rattay gewidmet, die mißverständliche Nicaragua-Stellungnahme "In der Sprache, die sie verstehen" (1986), das ebenso gern vollkommen daneben ausgelegte "Leck mich doch" (hier in einer "psychoanalytischen Live-Version!) oder Kunzes "Lebensmotto" "Der Schwere Mut" (1983).

Mit der ebenfalls auf "Nonstop"-2 enthaltenen Abrechnung mit der nach und nach etablierten 68er-Generation zehn Jahre später begann Kunzes Karriere auf dem Würzburger Nachwuchsbardentreffen 1980. Seither ist es dem mal sensibel-zerbrechlich, mal abgehoben-intellektuell, zu späteren Zeiten auch schon mal einsam-verbittert wirkenden Sprachkünstler fast jährlich gelungen, in seinen Liedern zynische Kommentare zu Zeit und Geist, zu Politik und Gesellschaft abzugeben, immer wieder den Finger in offene Wunden zu legen und sich mit den Hütern der Political Correctness anzulegen. Kaum ein anderer deutscher Musiker sieht die historische Entwicklung seines Vaterlandes so eng verbunden mit seiner eigenen. Kunzes Lieder sind somit auch immer wieder Anregung zur Auseinandersetzung mit sich selbst und diesem Land.


 
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