© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Interview: Günter Rohrmoser über die CDU-Krise
Vor der Spaltung
(JF)

Herr Professor Rohrmoser, ist ein Auseinanderbrechen der CDU zu erwarten?

Rohrmoser: Das hängt von den Schlußfolgerungen ab, die die Parteifühung aus der Affäre zieht. Was die bisherige Strategie der CDU-Führung angeht, so kann man nicht zu einem positiven Resultat kommen. Die CDU war ja in der Tat gleichbedeutend mit Kohl. Was, außer Helmut Kohl und vielleicht ein bißchen sozialer Marktwirtschaft, hat denn den inneren Zusammenhalt der CDU ausgemacht? Helmut Kohl hat mit seinem Geist die Partei so durchdrungen und verändert, daß inzwischen die geistige und programmatische Substanz ganz verlorengegangen ist. Die CDU stellt heute keineswegs mehr ein Bollwerk gegen den Zeitgeist dar. Dabei bräuchten wir gerade eine solche konservative Partei. Der grüne Abgeordnete Winfried Kretschmann hat dazu einen sehr bedenkenswerten Artikel in der Welt vom 22. Januar 2000 geschrieben, in dem er feststellt, daß es keine funktionierende Demokratie geben könne, in der es nicht einen konservativen Gegenhalt gegen den Progressismus gebe. Wenn die CDU dieser Anforderung nicht gerecht wird, dann darum weil Kohl alle Inhalte eliminiert hat und die Politik in die formale Technik des Machtgewinns und des Machterhalts transformiert hat.

Also hat Kohl nicht einfach einen Fehler gemacht, sondern seine Herrschaft war grundsätzlich falsch angelegt?

Rohrmoser: Man muß das voneinander trennen. Das eine ist das informelle Finanzierungssystem, das jetzt aufgedeckt worden ist. Das andere ist, daß es – an die Grenze des Kriminellen gehende – Formen der Geldbeschaffung gegeben hat, die man keineswegs Kohl allein anlasten kann. Wir müssen die Frage stellen, wie es um eine CDU bestellt ist, in der dies alles möglich war. Weiterhin macht diese Zerrüttung auch sichtbar, daß es in der CDU seit langem zwei auseinanderstrebende Parteien gibt. Der eine Teil will, daß sich die CDU im Sinne des Geredes von der Modernisierung zu einer radikalliberalen Markt- und Rechtsstaatspartei entwickelt. Die Anderen sind jene Traditionalisten, die aus der geschichtlichen Erfahrung heraus an geistiger und kultureller Substanz retten wollen, was noch zu retten ist. Diese beiden Gruppen können, ob nun mit oder ohne Finanzskandal, wohl nicht auf die Dauer miteinander existieren.

Wenn diese Flügel sowieso nicht vereinbar sind, ist das dann nicht die Stunde einer bürgerlichen Alternative wie das wohl in jedem andern europäischen Land der Fall wäre?

Rohrmoser: Solche alternative Kräfte würden mit den gleichen Fragen konfrontiert, wie die CDU. Deshalb ist nicht entscheidend, ob sich neue Kräfte bilden, sondern ob die Erneuerung des Konservativismus gelingt.

Hat sich Helmut Kohl nicht der Diskreditierung des Konservatismus in Deutschland schuldig gemacht?

Rohrmoser: Wenn ich an die großen Meinungsbildner in Deutschland und an die etablierten Funktionäre denke, so deutet sich an, daß ausgerechnet der konservative Part in der CDU für die Misere verantwortlich gemacht wird. Aber das kann nur geschehen, weil nicht klar ist, was unter Konservativismus zu verstehen ist.

In Ihrem neuen Buch "Kampf um die Mitte. Moderner Konservativismus nach dem Scheitern der Ideologien" zeigen sie Wege aus diesem Dilemma?

Rohrmoser: Ja, wir müssen verstehen, was Moderner Konservativismus am Anfang des neuen Jahrhunderts eigentlich bedeutet! Wenn man Konservativismus auf den hergebrachten National-Konservativismus reduziert, wenn man ihn in Ordo-Liberalismus uminterpretiert, oder wenn man ihn gar mit dem letzten Rest eines christlichen Konservativismus gleichsetzt, dann spricht alles dafür, daß der Konservativismus die Krise der CDU nicht überleben wird. Entscheidend ist daher nicht, was gestern "konservativ" hieß, sondern was konservativ heute sein muß. Dazu will mein Buch "Kampf um die Mitte" einen Beitrag leisten.

Ich denke also bin ich? Von der Erkenntnis zur Verwirklichung der Idee ist es ein langer Weg!

Rohrmoser: Diese Kräfte werden sich wohl langfristig ihre Gestalt und ihren Ausdruck schaffen. Hätte man etwa je für möglich gehalten, was vor einigen Jahren in Italien geschehen ist oder was sich zur Zeit in Österreich ankündigt? Ich will die Vorgänge in Italien und Österreich für Deutschland nicht empfehlen, denn jedes Land geht seinen eigenen Weg. Immerhin hat die Gräfin Marion von Dönhoff vor einiger Zeit erklärt, daß aus Gründen der "metaphysischen Leere" nicht nur unser Land, sondern auch das Parteiensystem bald nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. Das heißt, um mit einem Zitat Lenins zu schließen, die Geschichte ist immer klüger, als die Vorstellung, die wir von ihr haben.

 

Prof. Dr. Günter Rohrmoser, Jahrgang 1927, studierte Philosophie, Theologie und Nationalökonomie in Münster und Tübingen. Ab 1961 war er Hochschullehrer an der Pädagogischen Hochschule in München und Honorarprofessor an der Universität Köln. Seit 1976 ist er Ordinarius an der Universität Stuttgart-Hohenheim für Sozialphilosophie und politische Philosophie. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Kampf um die Mitte. Moderner Konservativismus nach dem Scheitern der Ideologien" (Olzog Verlag, München 1999).


 
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