© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Spendenaffäre: Das Schicksal der CDU hängt am seidenen Faden
Bruchlinien sind sichtbar
Paul Rosen

Die CDU, von Kabarettisten bereits als "Club Der Unwissenden" verspottet, bereitet ihre Finanzaffäre auf. Erstes Opfer war Helmut Kohl, der nach Aufforderung des dem Altkanzler untreu gewordenen Parteivorstandes das Handtuch warf und als Ehrenvorsitzender zurücktrat. Doch das Ende der Affäre ist damit noch nicht erreicht. CDU-Chef Wolfgang Schäuble kann sich nur mühsam im Sessel halten, und der "Abschlußbericht" der Finanzprüfer von Ernst & Young läßt mehr Fragen offen als beantwortet werden. Die krisengeschüttelte Partei wird darüber hinaus von Spaltungstendenzen erfaßt. Mehrere Bruchlinien sind bereits sichtbar.

Wie sehr die Krise auf Hochtouren läuft und wie sehr selbst die haltlosesten Gerüchte geglaubt werden, zeigte ein an eine Nachrichtenagentur geschicktes Fax, das angeblich von Helmut Kohl stammte. In dem Text versprach der Altkanzler, sich einem Gremium erlauchter Persönlichkeiten zur Verfügung stellen und die Namen der Spender nennen zu wollen. Alle deutschen Nachrichtenagenturen brachten die Berichte als Eilmeldung, auch das Fernsehen fiel in seinen aktuellen Sendungen darauf rein. Spät, für die Tageszeitungen aber noch nicht zu spät, flog der Schwindel auf. Das Gros der deutschen Medienbranche hatte nicht versucht, den Wahrheitsgehalt dieser Agenturberichte nachzuprüfen, sondern schnellstens versucht, Reaktionen von anderen Politikern auf Kohls angeblichen Sinneswandel einzuholen. Doch der Aussitzerkönig aus Oggersheim blieb seinen Grundsätzen treu. Er denke nicht daran, sein den Spendern gegebenes Ehrenwort zu brechen.

Damit erscheint die Herkunft von rund zwölf Millionen Mark, die die Wirtschaftsprüfer zwischen 1989 und 1998 bei der CDU als nicht ordnungsgemäß registriert entdeckten, nicht mehr aufklärbar zu sein. Die CDU hat damit ein Riesenproblem: Da Unterlagen nicht existieren und Kohl als Hauptwisser hartnäckig schweigt, bleibt die Partei schweren Verdächtigungen ausgesetzt: Die Gelder könnten aus den Staatsbürgerlichen Vereinigungen (Geldwaschanlagen für bürgerliche Parteien aus Adenauers Zeiten) stammen, heißt es beispielsweise. Andere Vermutungen gehen dahin, daß ein Teil der Schwarzen Kassen von dem französischen Elf-Aquitaine-Konzern gefüllt worden sein könnte, der die Leuna-Werke und die Minol-Tankstellen in der Ex-DDR übernahm.

In jüngsten Gerüchten ist davon die Rede, der damalige französische Staatspräsident François Mitterand habe die Zahlung von 30 Millionen Mark an Kohl veranlaßt, damit dieser zusätzliche Mittel habe, um die Bundestagswahl im Jahre 1994 zu gewinnen. Nur Kohl, so Mitterands angebliche Rechnung, werde dafür sorgen, daß Deutschland die Mark abschaffe und damit seinen finanzwirtschaftlichen Vorsprung in Europa verliere. Für den hilflos dastehenden CDU-Schatzmeister Matthias Wissmann steht nur fest, daß es keine Anhaltspunkte gibt, daß Geld von Elf-Aquitaine an die CDU geflossen sei. Das Problem an dieser Argumentation ist: Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß das Geld nicht von Elf-Aquitaine gekommen ist.

Wer wie Kohl beharrlich schweigt und Aufklärung verweigert, darf sich über die ins Kraut schießenden Spekulationen nicht beklagen. Und die Behauptung der anderen Mitglieder dieses "Clubs der Unwissenden", sie hätten von der seltsamen Spendenpraxis nichts gewußt, widerspricht jeder politischen Lebenserfahrung. So müssen auch andere CDU-Führungskräfte wie Volker Rühe, der Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, mit dem Anfangsverdacht der Mitwisserschaft leben. Außerdem: Wer kann garantieren, daß die Verschiebung eines Millionen-Vermögens ins Ausland, wie in Hessen von der CDU praktiziert, wirklich nur ein Einzelfall war? Über den Köpfen der CDU-Führungsmitglieder hängen nicht nur Damoklesschwerter, sondern das Schicksal der gesamten Partei hängt am seidenen Faden.

Es sind eine Reihe von Szenarien denkbar, wohin die weitere Reise der CDU gehen könnte. Das erste Szenario: Der "Fall Hessen-CDU" hat größere Auswirkungen auf die politische Lage in Deutschland als einen vielleicht zweistelligen Millionen-Betrag, den die Bundestagsverwaltung von der CDU zurückhaben möchte. Das Verhalten der Hessen, bis dato Zentrum des rechten Flügels, hat die wenigen konservativen Restbestände in der Partei gleich mit diskreditiert. Namen wie Alfred Dregger und Manfred Kanther standen einst für das konservative und nationalbewußte Deutschland. Der Name Kanther steht heute für das Knüpfen mafiöser Strukturen in einem demokratischen Staat. Es ist zu erwarten, daß die CDU weiter nach links rutscht, weil jedes rechte Korrektiv fehlt.

Das zweite Szenario betrifft das Verhältnis zwischen der West- und Ost-CDU. Es war mehr als ein Wetterleuchten oder der Versuch eines drittrangigen Politikers aus Wendezeiten, wieder in die Medien zu kommen, als der letzte DDR-Wirtschaftsminister Gerhard Pohl (CDU) dazu aufrief, die Ost-CDU möge sich doch wieder von der rheinisch-dominierten West-CDU trennen. Pohl verlangte einen Sonderparteitag zur Rekonstituierung der Ost-CDU, die im Sinne von Jakob Kaiser wieder aktiviert werden müsse: "Lieber arm und ohne Macht, statt reich und an der Macht." Vermutlich wird es der CDU-Bundesführung gelingen, dieses kleine separatistische Feuer in der Partei auszutreten. Doch das Unbehagen in den neuen Ländern bleibt. Vielen Bürgern und Mitgliedern entpuppt sich die CDU jetzt als die Partei, wie sie in Ede Schnitzlers Schwarzem Kanal immer dargestellt wurde: Korrupt und den dunklen Mächten des Großkapitals verfallen. Damit sind die Chancen der CDU, ihre Position als Volkspartei vor der PDS in den neuen Ländern zu halten, gering. Da die SPD in den neuen Ländern nur eine eingeschränkte Rolle spielt, bliebe nur die PDS als mit Abstand führende politische Kraft. Ein Alptraum.

Auch im Westen sind mehrere Szenarien des Zerfalls denkbar. In Schleswig-Holstein beispielsweise hat sich die CDU rund ein Jahr lang auf die sichere Übernahme der Macht im Kieler Landtag eingestellt. Rühe war es gelungen, mit steigenden Umfragewerten innerparteiliche Gegensätze zu beruhigen und Kritiker mundtot zu machen. In sicherer Siegeserwartung folgten die Funktionäre der Nord-CDU dem Kurs ihres Spitzenkandidaten, der jetzt wie der Anführer des Zugs der Lemminge erscheint. Es kann gut sein, daß nach verlorener Landtagswahl am 27. Februar die schleswig-holsteinische CDU auseinanderfliegt und Teile der Partei einen eigenen politischen Weg einschlagen, weil sie die Bundespartei für weitere fünf Jahre Opposition verantwortlich machen.

Dieses Szenario korrespondiert mit dem folgenden: Danach könnten unbelastete Landesverbände der CDU die Bundespartei verlassen, weil sie nicht bereit sind, für Kohls Finanzgebaren und für die in Hessen verschobenen Millionen-Vermögen in die finanzielle Mithaftung genommen zu werden. Damit wäre die Spaltung komplett, die Gründung einer Gegen-CDU nur noch eine Frage der Zeit.

Ein anderes Szenario – das wahrscheinlichste – nennt Norbert Blüm, wenn er vor einem "Sickerprozeß" in der CDU warnt und sich dabei ausdrücklich auf die Österreichische Volkspartei und deren Siechtum bezieht. Die CDU würde in diesem Fall versickern – wie Schmutzwasser in der Kanalisation. Die spannende Frage wird sein, wer das demokratische rechte Spektrum in Deutschland dann füllen wird. Denn in der Politik gibt es kein Vakuum.


 
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