© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Junge Union Berlin: Kummer über Kohl nur hinter vorgehaltener Hand
Entsetzen über das dicke Übel
Moritz Schwarz

CDU – mitten im Leben": Weiter so-Optimismus auch dann noch, wenn "alles in Scherben fällt". Wolfgang Schäuble, vom Hoffnungsträger zum Reichsverweser geschrumpfter CDU-Chef, verkündet allabendlich im Fernsehen neue Grausamkeiten der rabenschwarzen CDU-Daily-Soap: Erschütterte Mienen, die Partei zerrüttet, Deutschland im Schock. Doch hinter ihm prangt noch immer die fröhliche Parole der einstmals Gute- Laune-CDU. Spötter könnten freilich kontern: "Mitten im Leben? Ach so war das gemeint!"

Ähnlich unverdorben scheint auch die Laune der Jungen Union Berlin. Die Landesdelegiertenkonferenz am vergangenen Samstag war geprägt von Harmonie und Mittelstand. Diese JU-Generation ist nett wie keine zuvor, und völlig harmlos. Politik ist keine Frage von Werten mehr, keine Frage des ideologischen Kampfes. Politik ist nur noch Sachentscheidung, Problemlösung und ziviler Wettbewerb. Ernst, aber nicht entscheidend. Ein intensives Hobby, gemeinsam mit netten Leuten, und das höchste Lob, daß ein JUler sich für seinen "Laden" vorstellen kann, ist ein Bart-Simpson-cool. Völlige Entpolitisierung und man kann es ihnen noch nicht einmal vorwerfen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Bierernst und mit bunter Krawatte treten sie ans Rednerpult, jung, dynamisch, locker lächelnd.

Tatsächlich hat der Finanzskandal die Berliner CDU noch nicht erreicht, doch natürlich sind auch hier die Kohl- und Kanther-Konten auf den Fluren, zwischen den Zeilen und in den Köpfen allgegenwärtig. So muß doch ein orientierendes Wort dazu verloren werden, und JU-Bundesgeschäftsführer Michael Hahn gibt die Devise aus: Auch Treffer mitschiffs können einen Seemann nicht erschüttern. Alle Mann in die Wanten, jetzt erst recht!

Wie ein guter Feldherr macht er den Schlachtreihen klar, wofür man kämpft ("nicht kaputt machen lassen"), gegen den inneren ("jene, die glauben, der Zweck heilige die Mittel") und den äußeren Feind (jene, die das bürgerliche Lager spalten wollen."), nennt die Götter, an die man glaubt ("Merkel und Schäuble"), und appelliert zuletzt, gemäß Zentraler Dienstvorschrift 3 / Demosthenes, Abschnitt 5: "Gesundes Volksempfinden/Menschenverstand", daran die Dinge gefälligst zu sehen, wie sie tatsächlich sind ("Blick nicht verstellen lassen"). Treueschwur und Absetzbewegung in einem: survival of the fittest.

Und aus grau wird plötzlich bunt, als der Landesschatzmeister den Aufmarsch seiner Zahlenkolonnen mit der Versicherung schließt, abgesehen davon gebe es in der JU Berlin keine Konten. Und wenn er heute sein schwarzes Köfferchen mitgebracht habe, dann nur um Akten zu transportieren. Spaß muß sein.

Im Gespräch mit "der Basis" wird aber durchaus der Konflikt deutlich. Die Stimmung dort: einhellig "entsetzt" und "demoralisiert". Und tatsächlich finden einige sehr harte und wenig ehrenhafte Worte für den ehemaligen "großen Vorsitzenden". Vielen aber fällt trotz aller Enttäuschung über das dicke Übel eine Distanzierung schwer: Die CDU gebe es seit fünfzig Jahren, fünfundzwanzig davon war Kohl ihr Vorsitzender. Viele hätten für ihn Zeit und Kraft investiert, hätten im Wahlkampf bei Wind und Wetter tagelang für ihn im Regen gestanden.

Da stehen sie jetzt wieder, dennoch wird verständlich, warum den Partei-Mitgliedern eine Ächtung Kohls nicht so leicht fällt.

Der 27jährige Versicherungskaufmann Kai Wegener, erwartungsgemäß zum neuen JU-Landeschef gewählt, beschwichtigt zunächst jene, die befürchteten, mit ihm werde es einen Rechtsruck geben. Die Meldung im Tenor "Rechter Rübezahl frißt kleine Kinder", mit der die taz mal wieder einen "Rechtsschwenk" im Landesverband an die Wand gemalt hatte, erweist sich als Ente. Auch in Sachen Kohl schließt Wegener sich seinem Vorgänger an: Hier Kohls Paten-Logik "Ehre vor Gesetz", dort des Kanzlers "unbestreitbare Lebensleistung". Echt versicherungskaufmannmäßig diese Rundumabsicherungslogik der JU-Funktionäre. Kohl nach dem Baukastenprinzip. Klasse!


 
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