© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Bundeswehr: Ist die Wehrpflicht wirklich am Ende?
Rückgrat der Verteidigung
Matthias Seegrün

Nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hat, daß die Bundeswehr auch Frauen zum Dienst an der Waffe zulassen muß, scheint das große Ziel der Gegner der Wehrpflichtarmee in greifbare Nähe gerückt. Letztlich führten schon allein die Sparmaßnahmen der rot-grünen Bundesregierung und die vorgesehene Neukonzeption unserer Streitkräfte als "mobile Einsatztruppe" im Rahmen von Nato und WEU quasi zwangsläufig zum Auslaufen der Wehrpflicht, wird argumentiert. Übersehen wird dabei, in welch starkem Maße auch dieses Konzept nach wie vor faktisch auf der Wehrpflicht beruht.

Um die anvisierten neuen Fähigkeiten und Einsatzkapazitäten der Bundeswehr zu verwirklichen, soll nämlich auch bei der zu erwartenden Truppenreduzierung von derzeit 325.000 auf deutlich unter 300.000 Mann der Anteil der Zeit- und Berufssoldaten annähernd auf heutigem Stand bleiben. Dieser beträgt rund 200.000 Mann und könnte selbst bei einer planerisch möglichen reinen Freiwilligenarmee nur geringfügig reduziert werden.

Wenn man bedenkt, daß rund die Hälfte der späteren Zeit- und Berufssoldaten erst während ihres Grundwehrdienstes die Entscheidung treffen, sich zu verpflichten, dürfte allein in dieser Hinsicht die Bedeutung der Wehrpflicht klar werden. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die Wehrpflichtigen, die freiwillig 12 bis 23 Monate Dienst leisten und einen bedeutenden Teil der Mannschaftsdienstgrade in den Krisenreaktionskräften stellen. Das ohne Wehrpflicht sich einstellende quantitative – aber auch qualitative – Personaldefizit ließe sich wohl nicht einmal durch das künftig hinzutretende Potential weiblicher Soldaten ausgleichen. Die Aufhebung der Wehrpflicht wäre deshalb nicht sinnvoll.

Eine weitgehende Öffnung der Bundeswehr für Frauen auf freiwilliger Basis sollte dennoch ähnlich wie beispielsweise in den USA oder in Großbritannien ohne größere Probleme möglich sein. Dabei sollte man sich jedoch an deren Erfahrungen orientieren und Frauen von Verwendungen in Einheiten ausnehmen, deren Kampfauftrag mit direktem Feindkontakt – bis hin zum Kampf "Mann gegen Mann" – verbunden ist. Dies ist vor allem bei Bodenkampftruppen – also Panzertruppen, Infanterie, Kommando-Spezialkräften –, aber beispielsweise auch bei Kampfschwimmern der Fall. Frauen stünden damit rund zwei Drittel der Einsatzmöglichkeiten im Heer und mehr als 90 Prozent bei Luftwaffe und Marine prinzipiell offen. Sofern es rechtlich erforderlich sein sollte, müßte eine entsprechende Regelung ins Grundgesetz aufgenommen werden.

Zugegeben, diese Maßnahmen bezwecken nicht allein den Schutz von Frauen, sondern auch die Erhaltung der Einsatzfähigkeit in den Kampftruppen. Neben den für Frauen nur schwer zu erbringenden körperlichen Anforderungen spielt hier noch ein anderer Faktor eine Rolle: So wurde in Israel beispielsweise die Erfahrung gemacht, daß Männer, statt ihre Kampfaufträge zu erfüllen, ihrem Beschützerinstinkt folgend, einen Großteil ihrer Energien darauf verwandten, Frauen vor Gefahren im Gefecht zu bewahren. Ganze Einheiten waren nur noch sehr eingeschränkt handlungsfähig. Zu derartigen Vorfällen kam es 1948 in den Kämpfen nach Ausrufung des Staates Israel, als aus akutem Personalmangel in den Kampftruppen auf Frauen zurückgegriffen werden mußte. Seither wurden Frauen aus derartigen Situationen nach Möglichkeit herausgehalten.

Die Bundeswehr ist schon seit längerem auf dem Weg zu einer in ihrem Kern professionellen Streitmacht. Diese Entwicklung begann nach dem Ende des Kalten Krieges, als der Wegfall einer direkten Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland die Aufgliederung in Krisenreaktions- und verstärkt mobilmachungsabhängige Hauptverteidigungskräfte möglich machte. Eine Änderung der Sicherheitslage kann natürlich nie ausgeschlossen werden. Als Rückgrat der direkten Landesverteidigung und demokratische Verankerung der Armee hat die Wehrpflicht also nach wie vor ihren Sinn.

Der Wehrdienst wird allerdings nicht selten in einer Form durchgeführt, die bei jungen Wehrpflichtigen nur ernüchternd wirken kann. Von zehn Monaten Dienstzeit sind für viele nur die ersten drei Monate, in denen die Grundausbildung stattfindet, mit dem Erwerb militärischer Fertigkeiten verbunden. Die verbleibenden sieben Monate werden dann quasi abgebummelt und als vergeudete Zeit erlebt. Eine angemessene Ausbildung für die Landesverteidigung kann der Soldat, der beispielsweise in Stäben auf teilweise überflüssigen oder doppelt besetzten Posten Dienst schiebt, natürlich nicht erhalten. Vor allem für diejenigen, die sich aus innerer Überzeugung für den Wehrdienst entschieden haben, weil sie ihn nach wie vor als Dienst an der Gemeinschaft verstehen, für deren Freiheit sie einzustehen bereit sind, ist dies häufig eine herbe Enttäuschung.

Allerdings gibt es auch Einheiten – beispielsweise Kampfkompanien –, in denen auch nach der Grundausbildung durchaus fordernd und anspruchsvoll ausgebildet wird. Änderungen bei den Ausbildungsinhalten sind aber, sofern man die Wehrpflicht erhalten will, in jedem Fall dringend geboten.

Nach einer Verkürzung des Wehrdienstes auf idealerweise sechs Monate (vier Monate Grundausbildung plus zwei Monate Heimatschutzausbildung) sollten die Wehrdienstleistenden in gestraffter Form auf ihre für den Krisen- und Verteidigungsfall vorgesehenen Verwendungen in Heimatschutzverbänden – also überwiegend infanteristischen Kampftruppen – und als Ergänzung des Feldheeres vorbereitet werden. Dies würde auch rechtfertigen, daß ausschließlich Männer der Wehrpflicht unterliegen. Das durch die Wehrpflicht eröffnete Verteidigungspotential stünde bei diesem Modell weiterhin offen; die Aufwuchsfähigkeit der Armee – wesentliche Voraussetzung für eine jeder Situation gewachsene, flexible Sicherheitspolitik – bliebe gewährleistet.


 
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