© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Männermodels pur: Eine Mischung aus narzistischen Rebellen und schutzbedürftigen Engeln
Träume, Jobs & Agenturen
Doris Neujahr

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Filmdiven zu Ikonen des Alltags erhoben. Die Fotos von ihnen waren Abbreviaturen einer Idee, eines Traums, Charakters oder Status’, den die Stars sich zuvor auf der Leinwand erarbeitet hatten. Doch längst sind sie als Signifikanten des modernen Lebens von den Super-Models abgelöst worden: Ein einziger ihrer tiefen Blicke in den Fotoapparat umfaßt das Mysterium des Lebens, jeder laszive Hüftschwung auf dem Laufsteg gilt schon als Verweis auf das Transzendentale. Fast verächtlich ignorieren die unbekannten Schönen den Betrachter, ihre Blicke beherrschen die Vertikale des Bildes und kündigen den leiblichen Aufstieg in jene höhere Sphären an, der sie Kraft ihrer Makellosigkeit ohnehin längst angehören. Und der Betrachter, unrettbar dem Irdischen verhaftet, goutiert dies auch noch mit inbrünstrigem Masochismus. Wer will, mag darin wahlweise ein Symptom für die allgemeine Beschleunigung der Lebens, der geistigen Verflachung oder sittlichen Verluderung sehen.

Und längst sind es nicht nur mehr Frauen, die sich in diese Prätorianergarde des Himmlischen einzureihen versuchen. Im Sommer vergangenen Jahres posierten sechs sportgestählte nackte Jungmänner in der Reichstagskuppel vor erstaunten Besuchern und entzückten Fotografen. Die insgesamt gelassene öffentliche Reaktion bestätigte die Emanzipation nackten Männerfleisches in der Öffentlichkeit. Aber daran bestand angesichts zahlloser, eindeutiger Werbeplakate und -spots ohnehin kein Zweifel mehr.

In diesem Buch "Männermodels pur. Träume, Jobs & Agenturen" (Verlag Bauwesen, Berlin 1999, 49,80 Mark) von Dietmar Kreutzer werden nun 15 deutsche Männermodels mit unterschiedlicher Ausstrahlung und Profession vorgestellt. Auch die zahlreichen Bilder sind von unterschiedlicher Qualität. Manche der Models ertrinken in ockerfarbenen Lichtfluten, wie man das von drittklassigen Pin-up-Kalendern kennt. Bei anderen Fotos handelt es sich um wirkliche Kunstwerke. Zum Beispiel bei den Aufnahmen, die Suzanne de Brito-Schröder vom überaus ansehnlichen Marko Levin (der einst Verona Feldbusch in ihrer "Peep"-Show assistierte) anfertigte. Da steht, notdürftig nur mit einem Laken bekleidet, auf der New Yorker Brooklyn Bridge, eine Mischung aus narzistischem Rebellen – dessen überzeugendes Argument seine Götterglieder sind – und schutzbedürftigem Engel, der in den Schlund des Molochs gefallen ist.

Dietmar Kreutzers Buch ist die Fortsetzung seines Bandes "Kauf mich. Männer in der Werbung" (erschienen 1998) und soll erstens ein Ratgeber für angehende Models sein. Es nennt entsprechende Agenturen, erklärt die überwiegend aus dem Amerikanischen stammenden Branchenbegriffe, gibt praktische Karrieretips. Zweitens ist es ein Fotobuch, das sich drittens um einen Blick hinter die Kulissen des Gewerbes bemüht, dahin also, wo die Traumvorlagen produziert werden. Und viertens geht es Kreutzer noch darum, eine spezifische Dimension oder Wahrheit hinter den Bildern der Models aufzuzeigen: "Im Unterschied zu anderen Fotobänden bleiben die Models keine stummen Lustobjekte. Sie berichten von ihrer Entdeckung, von Enttäuschungen und Glücksmomenten. So formt sich ein differenziertes Bild von 15 Männern anhand ihrer faszinierenden Seiten wie der Schwächen. Mitunter werden sie dadurch erst wirklich interessant."

Letzteres aber muß bezweifelt werden. Gewiß, jeder der Befragten versucht nach Kräften das Vorurteil vom hübschen Deppen zu widerlegen, die meisten mit Geschick, manche sogar überzeugend. Insgesamt können die Halbgötter die Illusion ihrer Vollkommenheit jedoch nur aufrecht halten, so lange sie mit Stummheit geschlagen bleiben. Ihre Geschichten sind überwiegend banal und gleichen sich. In der Regel läuft es darauf hinaus, daß die gutproportionierten Industriekaufleute, Zerspanungsmechaniker, Studenten oder Möchtegern-Popstars sich von ihrem Job den Ausbruch ins Abenteuer und die große weite Welt versprechen.

Maurice Gérard (21), einst Mädchenschwarm in der RTL-Soap "Unter uns", hatte zu Hause "Stress mit den Adoptiveltern" und betrachtet seine Tätigkeit als Therapie: "Ich wollte den Menschen einfach zeigen, daß ich jemand bin." Er wünscht sich für die nächste Zeit den "Durchbruch" und eine neue Freundin. Und diese Geschichte ist noch eine der interessanteren. Der 24jährige Animateur Ray Kayson (wohl ein Pseudonym), der seine Selbstbeschreibung in einem einzigen Satz - "Ich habe eben einen sportlichen, durchtrainierten Körper" - zusammenfassen kann, hatte als 19jähriger auf einer Disco für 500 Mark einen Strip hingelegt und spontan Spaß daran gefunden. Sein größter Wunsch: "Ich würde gern mal ganz groß rauskommen." Es bleibt dabei: Das Motto: "Mehr Schein als Sein!", ist der unausgesprochene Grundsatz dieser Branche. Nehmen wir Tray Web, 27 Jahre alt, ein amerikanisches Fitness-Model. Der Astralleib des früheren Bauarbeiters wurde von einem Fotografen am Strand entdeckt. In seiner Freizeit kümmert er sich "vor allem um (seinen) Körper". Da soviel eingestandene Persönlichkeitsreduktion langfristig einen Imageschaden bedeuten könnte, fügt der Profi beflissen hinzu, daß er neuerdings auch Bücher lese, "vielleicht so zwei Stunden am Tag". Für seine Sed-Card (das gedruckte Foto-Portfolio im A5-Format mit den besten Fotos sowie den Maßangaben der Models, mit dem sie sich bei den Agenturen bewerben) wurde sein hübsches, jungenhaftes Gesicht ("Ich bin ein relaxter, offener Typ. Ich lebe gern und lasse leben.") auf bedeutungsvoll getrimmt. Wimperntusche und ein ausgeklügeltes Licht verleihen dem Gesicht eine gewisse Hintergründigkeit, die in Falten gelegte Stirn bezeugt Gedankentiefe, der ins Unbestimmte entschwebende Blick den Zugang zum Spirituellen, analog zu mittelalterlichen Heiligenbildern. Die um den Kopf gelegten Hände verstärken diese Aussage, bilden einen Rahmen für die Gesichtspartie und signalisieren überdies Sensibilität und Schutzbedürftigkeit. Dabei ist dieser Typ keineswegs schwach, denn die wirkungsvoll ins Blickfeld gesetzten Hände können, falls nötig, auch zupacken oder austeilen. Ein idealer Mann also! Dennoch, die Augen – die wichtigsten Ausdrucksträger eines Gesichts – blicken wässrig-leer, geradezu seelenlos, der Blick des Betrachters bleibt daher an der Wimperntusche hängen: Statt eines Ausdrucks oder einer Aura registriert er, daß der Visagist hier viel zu dick aufgetragen hat. Dem Gesichtskünstler ist es nicht gelungen, mit technischen Raffinessen den schönen Tray zusätzlich zum Träger einer schönen Seele zu machen und zu jenem strahlenden individuellen Ausdruck zu verhelfen, von dem Roland Barthes vermutete, daß er "letztlich mit Moral zu tun (habe), indem er auf geheimnisvolle Weise im Gesicht ein Stück Leben aufscheinen läßt". Weniger hübsche und durchtrainierte Männe können sich also damit trösten, daß es doch noch eine Gererchtigkeit gibt und das beste Make up nun mal die inneren Werte sind.

Das Buch illustriert, unbeabsichtigt, den Exhibitionismus des Banalen, der – Love Parade und nachmittägliche Talk Shows lassen grüßen – ein Wesenszug der Medienindustrie ist. Auch der Aufmarsch der nackten Mannen im Reichstag war ja keineswegs als eine politische Demonstration oder ähnliches arrangiert, sondern als PR-Gag einschlägiger Zeitschriften. Irgendwie haben die vorgestellten Models wohl die Hoffnung, durch ihre öffentliche Entblößung sich selbst intensiver zu erfahren und schließlich neu, besser, vollkommener zurückgeschenkt zu bekommen. Doch in Wahrheit sind ihre Körper bloß Teil jener omnipräsenten medialen Bilderwelt geworden, von der ihre eigene Wahrnehmung und Vorstellungswelt zuvor geprägt worden ist.

In diese Dialektik dringt der Autor leider nicht vor. Seine Interviews wirken merkwürdig verklemmt. Das Buch liest sich wie ein Vorwand, vergleichbar etwa den "Physique-Magazines" der zwanziger Jahre, in denen ein (homo-)erotisches Interesse durch die Zurschaustellung von sportlichen Aktivitäten sowohl drapiert als auch bedient wurde. Am Anfang stand anscheinend einfach der klammheimliche Wunsch, den schönen Interviewpartnern die Hand in den Schritt oder wenigstens auf die trainierten Oberschenkel zu legen. Und diesen Wunsch, das geben wir zu, machen die zahlreichen Bilder in Farbe und Schwarzweiß allemal verständlich!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen