© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000


Die Staatskrise
von Michael Oelmann

"Dann wackelt nicht nur die Republik, dann wackelt ganz Europa." So der Ex-CDU-Finanzberater Weyrauch zu den drohenden Enthüllungen über weitere Schwarzkonten in der Schweiz. Wieder nur die leere Drohung eines in die Enge Getriebenen? Mit den jüngsten Vermutungen, daß sich die Parteien vielleicht an für Spanien und Portugal bestimmten BND-Geldern vergriffen haben könnten, gibt es allerdings nun tatsächlich einen europäischen Aspekt, wenn auch in einem zunächst anderen Fall. Sollte an dem Verdacht, die Parteien hätten sich in den 70er/80er Jahren an den BND-Geldern bereichert, etwas dran sein, dürfte für die Menschen, für Volk und Medien gleichermaßen, die Schmerzgrenze erreicht sein.

Dramatisch wird es in dem Moment, wo neben der CDU auch die SPD als zweite Volkspartei ihren Kredit verspielt hätte. Die Erschütterungen an diesen beiden "Pfeilern der Bundesrepublik" würden gewaltige Auswirkungen haben, die aber eben nur zu einem Teil zerstören, zum anderen Teil Raum und Platz schaffen für Neues, vielleicht längst Notwendiges. Es macht die bereits sich andeutenden Symptome dieser grundsätzlichen Krise aus, daß es nicht mehr nur um die Gewichtung, Prüfung und Ahndung der einzelnen Krisenherde und der vielfältigen Affären, Verfehlungen und Fehler geht. Noch vor drei Monaten wäre die BND-Nachricht, die die Süddeutsche Zeitung aufgebracht hat, gar nicht recherchiert worden; hätten die Aktionen in der diplomatischen Grautöne, die zur Politik gehören wie der Topf zum Deckel, nur bedingte Schlagzeilentauglichkeit.

Was jetzt, in diesem fulminanten Jahrhundertwechsel der deutschen Politik, der sich zu einem Paradigmenwechsel ausweiten könnte, zutage gebracht wird, geschieht aus einer Mischung aus Kriminalromantik gegen die Politiker, Parteien und Organe insgesamt. Letzteres wiegt am Schwersten und ist das Wesentliche. Was sich über Jahre und Jahrzehnte an der sogenannten "Politik-Verdrossenheit" angestaut hat, bricht nun auf. Die Politiker dürfen kein Pardon mehr erwarten, weil sie am moralischen Übermaß, das sie sich selbst zugedichtet haben, gemessen werden.

Man muß nicht verhehlen, daß denjenigen, denen die Allmacht der Parteien in unserem Staate seit Jahren Sorge und Kritik verursachten, kaum mitleidig auf eine mögliche grundsätzliche Neuorientierung der Parteienlandschaft blicken würden. Die Demokratie wird sich eben darin erweisen müssen, daß sie den möglichen Niedergang jener Partei, die sich selbst anmaßend als "staatstragend" bezeichnet, verkraftet.


 
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