© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Spendenaffäre: Durch Hessen wurde der CDU-Niedergang beschleunigt
Die CDU im freien Fall
Paul Rosen

Peter Struck, der stets mit lockerer Zunge redende SPD-Fraktionsvorsitzende, hält Wolfgang Schäuble für "verbrannt". Ausnahmsweise dürfte Struck mit seiner Bemerkung auch einer großen Zahl von Führungskräften der Christenunion aus dem Herzen gesprochen haben: Die fast schon unglaubliche Laviererei des CDU-Chefs, in der Spendenaffäre nur das zuzugeben, was diverse Medien nachgewiesen haben oder TV-Anstalten noch senden wollen, wird für Vorstand und Präsidium der CDU fast unerträglich. Schäuble, der sich nach der Vorstands- und Präsidiumssitzung am 18. Januar, auf der Helmut Kohl als Ehrenvorsitzender abserviert wurde, schon wieder auf dem Weg der politischen Erholung befand, scheint erneut abgestürzt zu sein. Wieder einmal konnte er sich nicht erinnern, den bayerischen Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber getroffen zu haben. Der Erinnerungs-"Black Out", von Helmut Kohl schon vor vielen Jahren als politischer Grundwert der Partei bis zur Reife entwickelt, bleibt tragende Säule im CDU-Grundwertekatalog.

Aus dem einstmaligen "Fall Kohl" ist längst eine Affäre Schäuble geworden. Und dafür ist der neue CDU-Chef höchstselbst verantwortlich. Daß Schäuble Kohl aufs Altenteil setzen mußte, war unvermeidlich. In jedem Handwerksbetrieb kommt der Laden nicht mehr ans Laufen, wenn der Seniorenchef jeden Tag in der Firma ist, für nichts mehr verantwortlich zeichnet, aber trotzdem in jedes Detail hineinredet. Doch Schäuble schob Kohl, der die Namen der Spender weiter wie ein Heiligtum hütet, zu spät ab. Kurz vor Weihnachten, nachdem Generalsekretärin Angela Merkel in der "FAZ" einen Frontalangriff gegen Kohl gestartet und ihm den Verzicht auf alle Ämter nahegelegt hatte, wäre die beste Zeit gewesen. Doch wieder war sich Schäuble nicht ganz sicher. Erst hatte er Merkel zugeredet, den Angriff auf den Ehrenvorsitzenden zu starten. Doch dann, als die "Kohlianer" in der CDU-Führung wütend protestierten, ruderte Schäuble zurück und ging auf halbe Distanz zu seiner Generalsekretärin. Wieder einmal bewahrheitet sich, daß Volksparteien großen Tankern auf hoher See ähneln: Man muß das Ruder frühzeitig herumwerfen, damit der Kurs rechtzeitig geändert werden kann. Kapitän Schäuble hat spät reagiert.

Vielleicht wäre alles noch gut gegangen, wenn Schäuble nicht selbst tief in die Spendenaffäre verstrickt wäre. Doch der CDU-Chef, der rückhaltlose und schonungslose Aufklärung versprach, konnte sich nicht erinnern, die 100.000 Mark von Schreiber erhalten zu haben. Er habe, so Schäuble am 2. Dezember 1999 im Bundestag, Schreiber nur einmal bei einem Abendessen für CDU-Sponsoren in Bonn gesehen. "Das war es", fügte er noch hinzu. Das war es natürlich nicht. Als ihm das ZDF auf die Schliche zu kommen drohte, gab Schäuble plötzlich in der ARD zu, Schreiber ein zweites Mal getroffen und dabei die 100.000 Mark erhalten zu haben. Doch wieder scheint dies nicht die richtige Version dieser merkwürdigen Geldübergabe gewesen zu sein. Als er sich am 20. Januar im Bundestag für die erste Lüge entschuldigte, wollte er von seiner zweiten Begegnung mit Schreiber wieder nicht reden.

Denn Schreiber behauptete ständig, die Spende der damaligen Schatzmeisterin Brigitte Baumeister für Schäuble übergeben zu haben – eine Version, die offenbar stimmt. Denn wie in Berlin zu hören ist, will Frau Baumeister dem Parteispenden-Untersuchungsausschuß des Bundestages bei ihrer Zeugenvernehmung diese Version bestätigen. Und schon geriet Schäuble in die nächste Bedrängnis: Bei Recherchen, diesmal des "Bayerischen Rundfunks", kam heraus, daß er im Jahre 1995 -– ein Jahr nach der Übergabe der 100.000 Mark – einen weiteren Kontakt mit Schreiber hatte. Dieses Treffen will er angeblich erst jetzt bei der Überprüfung von alten Terminkalendern gefunden haben. Das Thema des Gesprächs ist Schäuble bisher nicht eingefallen. Eingedenk bisheriger Erfahrungen muß vermutlich nicht lange gewartet werden, bis das nächste nach Kanada reisende Fernsehteam Einlaß bei Schreiber erhält und wieder einige neue Nachrichten über den Inhalt des Gesprächs generiert. Und Schäuble muß sich derweil an eine alte Volksweisheit erinnert fühlen: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht…

In der Union fragt man sich jetzt, wie lange der Vorsitzende wirklich noch zu halten ist. Erst kürzlich hatte Schäuble über mehrere Zeitungen die Botschaft verbreiten lasse, er werde auf dem CDU-Parteitag vom 9. bis 11. April in Essen wieder als Vorsitzender kandidieren. Doch macht Schäuble nicht nur sein unkonventioneller Umgang mit der Wahrheit Probleme, sondern auch die Tatsache, daß die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein fast nicht mehr zu gewinnen sind. Damit wäre die beispiellose Siegesserie der Union bei den Wahlen des letzten Jahres beendet. Die 1999er Wahlsiege würden zudem nicht mehr als Leistung der neuen CDU-Führung dargestellt werden können, sondern als Windfall-Profits angesichts der damals von Krise zu Krise torkelnden rot-grünen Koalition in Berlin.

Die CDU kennt jedoch mit Wahlverlierern keine Gnade. So wird sie, wenn die Regierungsübernahme in Kiel nicht geklappt haben wird, zuerst unweigerlich den Spitzenkandidaten Volker Rühe in die politische Wüste schicken, obwohl Rühe für die Niederlage nichts kann. Seine Gegner, eine Mischung aus alten Kohl-Freunden, jungen Wilden und politischen Außenseitern in Fraktion und Partei, könnten zu einem hochexplosiven Gemisch zusammenfinden, das direkt unter Schäubles Chefsessel explodieren könnte. Schäuble, der bereits Mitte Januar vor der Frage des Rücktritts stand, droht der Absturz.

Wer die CDU in ihrem freien Fall auffangen könnte, ist ungewiß. Die Partei befindet sich – Norbert Blüm hat das mit seinem feinen Gespür für das Seelenleben der CDU erkannt – in einem Sickerprozeß. Genausogut könnte man auch von einer drohenden Teil-Implosion sprechen, die die CDU dezimiert, aber nichts Neues entstehen läßt. Trennungsgedanken von früheren Ost-CDU-Politikern sind irrational. Die wichtigsten Ost-Landesverbände der CDU, Thüringen und Sachsen, befinden sich unter West-CDU-Kontrolle. Bernhard Vogel und Kurt Biedenkopf lassen grüßen. Austritte einzelnder Landes- oder Kreisverbände wegen zu hoher Beteiligung an der Rückzahlung der am offiziellen Geldkreislauf von "Don Kohleone" vorbeigeschmuggelten Gelder sind theoretisch denkbar und möglich; aber Risse dieser Art sind noch nicht sichtbar.

Selbst die CSU ist zur braven Schwester mutiert. Der "Kreuther Geist", das Gespenst einer bürgerlich-konservativen vierten Partei, befindet sich sei 1976 in der Flasche und soll nach dem Willen der CSU-Oberen dort auch bleiben. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber möchte schließlich Kanzler einer bürgerlichen Regierung in Berlin werden und nicht Oppositionsführer einer rechtsbürgerlichen Zehn-Prozent-Partei im Reichstag, während die Rest-CDU fröhlich mit der SPD eine Mitte-Links-Koalition eingehen würde. Abstrus erscheint auch die andere Theorie: Danach könnte die ganze CDU komplett in die CSU eintreten, um den Millionen-Rückzahlungen an die Bundestagsverwaltung zu entgehen.

Die Gefahr, die der CDU am stärksten droht, ist genau die der Implosion oder des Versickerns – insbesondere des rechten Parteiflügels, der schon vor der Affäre kaum noch sichtbar war. Die prominenten Rechtsausleger der Partei sind von der Bühne verschwunden: Alfred Dregger ist inzwischen zu alt; Manfred Kanther gehört seit Bekanntwerden der Millionentransfers der Hessen-CDU ins Ausland weniger zum konservativen Spektrum, sondern mehr zur "cosa nostra" oder anderen Verzweigungen der Organisierten Kriminalität (OK). Die Hessen-CDU, immer Lordsiegelbewahrer konservativen Gedankengutes in der CDU, könnte theoretisch noch den neuen Ministerpräsidenten Roland Koch als Nachfolger von Schäuble im Parteivorsitz ins Rennen schicken. Doch niemand weiß, wie lange Koch selbst unbelastet bleibt. Außerdem haben hessische CDU-Politiker auf künftigen Bundesparteitagen schlechtere Chancen: Schließlich hat die Hessen-Affäre den bundesweiten Niedergang noch beschleunigt.

Andere Nachfolgekandidaten dürften die CDU in ein betont linksbürgerliches Fahrwasser lotsen und aus der Partei eine Organisation mache, die sich Heiner Geißler und Rita Süssmuth immer gewünscht haben: eine Art SPD minus zwanzig Prozent. Für diese Ausrichtung stehen Christian Wulff oder Jürgen Rüttgers, aber auch die Generalsekretärin Angela Merkel. Vor dem Auftreten einer rechten Konkurrenz haben diese CDU-Funktionäre weniger Sorgen: Sie wissen um den geschlossenen Boykott der Medien und des Fernsehens gegen alles, was rechts ist oder so aussieht.

Und wer sich je gefragt haben sollte, warum Bundestagspräsident Wolfgang Thierse so zögerlich ist, wenn es um die Rückforderung von falsch oder gar nicht verbuchten CDU-Spenden geht, so kommt bei Thierse und den SPD-Genossen eine alte Weisheit zum Tragen: Man soll den Gegner möglichst lange schwach halten, aber darf ihn nicht vernichten. Somit darf die CDU zahlen, mindestens sechs, vermutlich 40 Millionen Mark, eventuell sogar noch mehr. Doch man wird sie durch Streckungen und Stundungen am Leben und zusammenhalten. Und regieren in Berlin macht dann wieder richtig und vielleicht noch 15 Jahre lang Spaß. Gerhard Schröder hat es immer gewußt.


 
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