© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
 
Kunst im Reichstag: Gegner Haakes fordern Debatte im Plenum
Ungeahnte Schützenhilfe
Alexander Schmidt

Der Projektkünstler und Provokateur Hans Haacke wird auch noch in den nächsten Wochen für Gesprächsstoff im Deutschen Bundestag sorgen. Recherchen der JUNGEN FREIHEIT ergaben, daß in der zweiten Sitzung des Kunstbeirates erneut sieben Mitglieder des nichtöffentlichen Ausschusses für das Projekt stimmten. Zu den zwei Enthaltungen gehörte auch die Stimme des Präsidenten des Bundestages und Vorsitzenden des Kunstausschusses, Wolfgang Thierse, der sich wegen der guten Argumente für und wider den Trog im Reichstag unschlüssig wurde.

Nur die Abgeordneten Antje Vollmer (Bündnis 90/Grüne), Vizepräsidentin des Bundestages, und Volker Kauder (CDU), der bereits deutliches Mißfallen an dem Projekt mit dessen politischer Interpretation äußerte, stimmten dagegen. Die Diskussion um das Kunstprojekt im Reichstag verlief in einer zweifachen Abstimmung. In deren erster Phase darüber entschieden wurde, ob man das emotionsgeladene Thema nicht im Plenum entscheiden solle. Die Abgeordneten Vollmer und Kauder sprachen sich dafür aus, fanden jedoch mit ihren beiden Ja-Stimmen keine Mehrheit. In der darauffolgenden Abstimmung über das Projekt ergab sich dann das bereits bekannte Ergebnis.

Einzige Einschränkung: Wolfgang Thierse will auf den politischen Inhalt verzichten. Nachdem der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann seine Kollegen in einem Rundbrief über die Vorgänge im Kunstbeirat sensibilisiert hatte und innerhalb der Union eine große Mehrheit gegen die Planung ist, geht er davon aus, daß trotz der Zustimmung kein "der Bevölkerung" gewidmetes Kunstwerk den Weg in den Reichstag findet. Er rechnet damit, daß es zu einer Debatte im Plenum kommen wird. "Das kann man der Union, wenn wir dies verlangen, nicht verschließen", so Hohmann. Eine solche Ungeheuerlichkeit dürfe nicht ohne weiteres an der Bevölkerung vorbeigehen, denn bei einer öffentlichen Debatte im Plenum kann jeder sehen, welche Position einzelne Abgeordnete vertreten.

Ungeahnte Schützenhilfe bekommen die Gegner Hans Haackes jetzt von dem Freiburger Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek. Er bezweifelt in einem Rechtsgutachten, das vorerst nur dem Kunstbeirat vorliegt, die Verfassungsmäßigkeit des Projektes. Durch die Korrektur der Inschrift des Westportals "Dem deutschen Volk" in "Der Bevölkerung" werde nicht das deutsche Volk, sondern die Bevölkerung zum "Subjekt der Politik". Nach dem Grundgesetz gehe aber vom Volk die Trägerschaft der Staatsgewalt aus. Der Deutsche Bundestag, so Murswiek weiter, dürfe sich aber eine verfassungfeindliche Aussage nicht "zum Gegenstand seiner eigenen Selbstdarstellung machen". Durch das Zu-Wort-melden eines Wissenschaftlers und somit nicht beteiligten Politikers wird das Thema möglicherweise in weitere Bevölkerungskreise vordringen. Denn in vielen Büros der Bundestagsabgeordneten, das verrieten deren Antworten, haben andere Dinge des politischen Geschehens eine größere Priorität.


 
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