© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Frankreich: Die Affäre um Elf-Aquitaine ist nur eine von vielen der langen Mitterand-Ära
Attacken auf Kohl erstaunen Paris
Charles Brant

Im Zuge der geheimen Finanzierung der CDU steht die französische Mineralölgesellschaft Elf-Aquitaine ein weiteres Mal seit 1993 im Brennpunkt behördlicher Ermittlungen. Ihre Machenschaften stellen einen der großen Skandale der Ära Mitterrand dar, einen wahrhaften Staatsskandal.

Elf-Aquitaine verschwindet nicht aus der öffentlichen Diskussion. Auch als sich Dominique Strauss-Kahn, zurückgetretener Finanz- und Wirtschaftsminister, auf den Wiedereinstieg in die politische Szene vorbereitete – auf den Vorteil eines nicht in die Affäre der Nationalen Gemeinschaft der Studenten Frankreichs (MNEF) Involvierten hoffend – wird er von den zuständigen Richtern Eva Joly und Laurence Vichnievsky vernommen, die mit der Aufklärung der Verdächtigungen gegen Elf-Aquitaine zwischen 1989 und 1993 beauftragt sind. Das ist der Zeitraum, der in die Präsidentschaft von Loïk Le Floch-Prigent fällt.

Entgegen den Aussagen von Strauss-Kahn halten die Richter an den Vorwürfen der "Komplizenschaft durch gegebene Anweisungen sowie Mißbrauch sozialer Mittel" fest. Dem Schreiben zufolge, welches die Richter an ihn gerichtet haben, wird gegen den ehemaligen sozialistischen Minister wegen "Zuweisung des Gehalts für seine besondere Sekretärin, Evelyne Duval, in Höhe von etwa 190.000 Francs ohne einen reellen Gegenwert für Elf-Aquitaine"ermittelt. Einem Artikel der Tageszeitung Le Monde vom 29. Januar zufolge haben die Mitglieder der Finanzabteilung der Pariser Polizei im Rahmen ihrer Nachforschungen über die Gehälter des ehemaligen Genfer Tochterunternehmens Elf-Aquitaine International (EAI) herausgefunden, daß Frau Duval, die 1993 eine Summe von insgesamt 192.000 Francs erhalten hatte, im Industriekreis mitgewirkt hatte, einer Assoziation, die von Dominique Strauss-Kahn, Maurice Lévy (Geschäftsführer von Publicis) und Raymond Lévy (ehemaliger Präsident von Renault) nach der Niederlage der Sozialisten bei den Wahlen 1993 gegründet wurde.

1993 beginnen Ermittlungen in der Elf-Affäre

März 1993. Francois Mitterrand muß die "Cohabitation" akzeptieren. Pierre Bérégovoy wird in seinem Amt des Premierministers von Edouard Balladur ersetzt. Dieser "dankt" Loïk Le Floch-Prigent. Seit seinem Aufstieg zum Präsidenten von Elf-Aquitaine spricht sich Philippe Jaffré gegen die Investitionspolitik seines Vorgängers aus und verklagt diesen schließlich. Die Affäre Elf-Aquitaine beginnt. Drei Jahre später wird Loïk Le Floch-Prigent verhört und inhaftiert.

Im Laufe der Ermittlungen erfahren die Franzosen, daß unter der Regierung Mitterrand die Mineralölgesellschaft nationalisiert wurde und daher zum Staat gehört. Glaubt man der Financial Times, so hat Elf Anfang der neunziger Jahre nahezu 25 Milliarden Francs durch Betrug, Umleitung von Anlagen und Fehlinvestitionen verloren. Einen Monat später gibt Philippe Jaffré zu, daß die Umleitung von Anlagen unter Le Floch-Prigent auf wenigstens 1,5 Milliarden Francs gestiegen sind.

Eines der großen Kapitel in der "Elf-Geschichte" ist die "Affäre Dumas". Nach ihrer Vernehmung und Festnahme gesteht eine junge Frau, Christine Deviers-Joncours, daß sie von Loïk Le Floch-Prigent engagiert worden war, "Einfluß" zu nehmen auf Roland Dumas – damals Außenminister – in Bezug auf den Abschluß eines Vertrages über einen Waffenverkauf an Taiwan. Als Freund von Francois Mitterrand und Präsident des Institutes zur ehrwürdigen Erinnerung an den Verstorbenen ist Dumas eine Persönlichkeit. Bekannt als Frauenheld, macht der Ex-Anwalt noch immer eine gute Figur. Seiner Freundschaft mit Mitterrand hat er die Präsidentschaft des Verfassungsrates zu verdanken, einer Instanz, die sich mit der Verfassungskonformität von Schriften oder der Gültigkeit von Wahlen befaßt. Entrüstet verneint er zunächst alle Vorwürfe, gibt dann zu, Christine Deviers-Joncours "gekannt" zu haben. In einer Befragung am 26. April 1998 beteuert er seine Unschuld. Er lehnt es ab, von seinem Amt zurückzutreten und erfährt die Unterstützung eines Teils der politischen Klasse und sogar die Unterstützung von Jaques Chirac, der dafür plädiert, zunächst von der Unschuld des Angeklagten auszugehen. Dumas gibt sich damit zufrieden, sich zunächst "in den Urlaub" zurückzuziehen. Heute haben die Franzosen wahrscheinlich die genauen Umstände dieser Verwicklungen mit der Justiz vergessen. Was seine Gefährtin betrifft, so hat diese nach ihrer Rückkehr in die Freiheit nach fünf Monaten Haft erfolgreich ein Buch veröffentlicht: "Die Hure der Republik" (Calmann-Lévy, Paris, 1998).

Graue Finanzaktionen sind in Frankreich "Tradition"

In den letzten Tagen ist Christine Deviers-Joncour wieder aufgetaucht mit "Operation Bravo" (Plon, Paris, 2000). Zurückgehend auf gewisse ihrer Erklärungen erzählt sie von ihrer Mission im Sinne von Elf-Aquitaine und spricht von – ihrer Meinung nach – "einem der größten politisch-finanziellen Skandale, die Frankreich nach dem Krieg erlebt hat". Mit unverhohlener Schadenfreude bringt sie die verdeckten Vorgänge von Elf-Aquitaine und Thompson – dem Elektronik-Konzern – ans Licht. Man erfährt hier von den Hintergründen der Waffenverkäufe an Afrika, den Irak, den Iran, sowie von dem berühmten Vertrag mit Taiwan. Man entdeckt hier auch die mehr als zweideutigen Ansichten von Roland Dumas und die wirkliche Rolle des mysteriösen Alfred Sirven, der als der rechte Arm von Loïk Le Floch-Prigent und der Verteiler von Millionen bei Elf-Aquitaine präsentiert wird.

Heute trotz internationalen Haftbefehls unauffindbar, war Alfred Sirven von 1991-1993 Leiter der Schweizer EAI, welche sich als der Schlüssel für die versteckten Elf-Gelder herausstellte. Es ist die EAI, heute umbenannt in Elf International Services, welche für einen Teil der für Christine Deviers-Joncour gedachten Gelder verantwortlich ist. Es ist auch die EAI, welche zur Finanzierung des Journals Globe-Hebdo beigetragen hat, das zur Unterstützung der Sache Mitterrands herausgegeben wurde. Es ist auch die EAI, die die Mitarbeiter von Charles Pasqua sowie die Mitglieder des Vereins "SOS Racisme" unterstützt hat. Kommissionierungen und "Verwässerungen" waren die Spezialitäten dieser Filiale.

Seit April 1997 geht es um die beträchtlichen Investitionen in die Raffinerie "Leuna 2000". Verschiedene Presseorgane Frankreichs beschäftigen sich mit diesem Kapitel der "Elf-Affäre": Le Nouvel Observateur, l´Express, Le Canard Enchainé, Le Parisien und Le Figaro. Alles oder fast alles ist schon gesagt über die geheimen Zahlungen, die angeblich für "Geschäfts-Lobbying", aber eigentlich für die Finanzierung der Wahlkampagne Kohls 1994 bestimmt waren. Präzisere Angeben kommen von der Wirtschafts- und Finanzagentur (AGEFI) in Lausanne betreffs der genaueren Umstände der Operation. Omar Bongo, Präsident von Gabun, scheut sich nicht, von den "Europäischen Staatschefs, die von der Großzügigkeit von Elf profitiert haben" zu sprechen. Er geht sogar soweit, einen Leitartikel zu unterschreiben, welcher Frankreich als "mittlere Macht, die nur deswegen existiert, weil sie sich an Deutschland hängt, das es immer auf allen Ebenen besiegt hat…" bezeichnet. Er endet mit den Worten "Ich bevorzuge es, nicht alles auszupacken."

Im Nouvel Observateur vom 27. Januar 2000 erinnern Airy Routier und Jean-Gabriel Fredet an das Gefühl dieser Epoche: "Im Elysée-Palast, im Matignon, im Kanzleramt ist es total verrückt".

Das war noch nie da: Der Staatsanwalt veröffentlicht ein Kommuniqué, welches bestätigt, daß diese Informationen "auf nichts beruhen, das sich im Zuge der rechtlichen Ermittlungen von Madame Eva Joly ergab." Diese Feststellungen, stimmen nicht überein mit denen von Maurice Mallet – auch ex-Elf-Manager – am 19. März 1997 gemachten Aussagen gegenüber der Richterin Eva Joly: "In Bezug auf die Mittelsmänner und die unüberschaubaren Zahlungen kann man von Leuna sprechen (…). Ich denke, daß Elf dieser Raffinerie mindestens ihren dreifachen Wert gezahlt hat (…). Es handelte sich um ein Abkommen zwischen Herrn Kohl und Herrn Mitterrand.

Herr Mitterrand hatte gesagt, daß diese Unternehmung notwendig sei." Käufer für Alt-Leuna waren damals rar.

1997, so die Autoren des Artikels im Nouvel Observateur, beschäftigten sich Der Spiegel und Focus mit der Elf-Affäre und geben die Informationen wieder, die in Frankreich bereits veröffentlicht worden sind. Helmut Kohl verneint alles. Das deutsche Fernsehen hütet sich davor, etwas zu unternehmen.

1998 wird die ganze Affäre in einem Kapitel mit dem Titel "Helmuts Raffinerie" in dem Buch "Bohrungen in tiefem Wasser: Die Geheimnisse der Affäre Elf" (ValÈrie Lecasble und Airy Routier, Grassier) detailliert nacherzählt. Inzwischen ist Alfred Sirven, den die französische Justiz zwei Jahre lang vergessen hatte, verschwunden. Loïk Le Floch-Prigent schweigt. Das Gesetz des Schweigens liegt auf dieser Affäre wie auf anderen.

Abgesehen vom Nouvel Observateur haben sich auch verschiedene andere französiche Wochenzeitungen mit dem Thema Kohl befaßt. Alle Herausgeber geben ihrem Erstaunen Ausdruck über die Vehemenz der Attacken gegen Kohl. Was die Franzosen angeht, so scheinen sie Kohl nur zwei wichtige Bedeutungen beizumessen: als Kanzler Europas und im Zusammenhang mit dem Fall der Berliner Mauer. In Frankreich jagt ein Skandal den anderen. Der von Crédit Lyonnais – dem großen Finanzunternehmen – ist heute vergessen. Niemand erinnert sich an die "Affäre Péciney", in welche die Namen von Roger Patrice Pelat – persönlicher Freund von Francois Mitterrand – sowie Alain Boubil – 1981 bis 1988 Industrieberater von Mitterrand und Kabinettsdirektor von Pierre Bérégovoy – verwickelt waren.

Kürzlich hat die Presse – darunter Le Monde – die Ergebnisse des Jahresbericht des Rechnungshofes veröffentlicht, der sich mit der Aufdeckung von Verschwendungen und kriminellen Praktiken der Regierung befaßt. Man hat im Zuge dessen verschiedene Vorfälle aufgedeckt, bei denen gesetzeswidrig Gelder als Spenden deklariert worden waren, um Sozialabgaben und Steuern zu entgehen.

Premier hat Monatsfonds von zirka 450.000 Francs

Auch hat die Finanzbehörde Steuerunregelmäßigkeiten bei einigen ihrer Kader entdeckt. Die Verdunkelung ist eine französische Tradition. Der Premierminister verfügt über geheime Fonds in einer monatlichen Höhe von etwa 450.000 Francs, die er, ohne dem Parlament Rechenschaft schuldig zu sein, einsetzen kann.

Die Verhaltensweisen der französischen Politik ignorieren die großen Prinzipien, die man sich auf die Fahnen geschrieben hat. Zu Lebzeiten von Francois Mitterrand hat sich niemand getraut, die Enthüllungen des Schriftstellers Jean-Edern Hallier zu veröffentlichen. Die telefonischen Abhörungen auf Anweisung von Mitterrand sind lange Zeit vom Staatsapparat verneint worden. Der Mord an Yann Piat ist ebensowenig aufgeklärt worden wie der an Jean de Broglie. Bernard Tapie ist in die Medienszene zurückgekommen und macht eine neue Karriere. Roland Dumas lebt ruhig im Herzen von Paris…

Auch wenn sie nicht dieselbe Auffassung von Moral in der Politik haben wie die Deutschen, haben sich die Franzosen in Jahrzehnten daran gewöhnt, alle Politiker mit Widerstand zu betrachten. Dieser Skeptizismus bringt den Eindruck des Ablehnens der politischen Klasse mit sich und manifestiert sich in einer steigenden Zahl von Nicht-Wählern.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen