© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Atomkraft: Das Bundesamt für Strahlenschutz genehmigt Castor-Transporte nach Ahaus
Das Zittern vor dem Kuschelkurs
Gerhard Quast

Für innerdeutsche Transporte ist die für die Sicherheit erforderliche Vorsorge getroffen." Mit diesen Worten kündigte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, am Mittwoch vergangener Woche die Wiederaufnahme der im Mai 1998 von der damaligen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) eingestellten Castor-Transporte an.

König betonte, daß durch zusätzliche Auflagen gegenüber früheren Genehmigungen gewährleistet sei, daß "die international festgelegten Grenzwerte für radioaktive Verunreinigungen eingehalten werden". Die CDU-Politikerin hatte vor gut zwei Jahren alle Transporte mit verstrahlten Brennelementen aus deutschen AKW und die Transporte zur Rückführung von hochradioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich ausgesetzt, nachdem bekannt wurde, daß radioaktive Verunreinigungen an den Außenflächen der Behälter und der verwendeten Transportmittel jahrelang verschwiegen wurden, obwohl der von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) festgelegte Grenzwert von vier Bequerel pro Quadratzentimeter zum Teil um mehr als das Hundertfache überschritten wurde.

Die Anti-AKW-Bewegung kündigt "Widerstand" an

Von zentraler Bedeutung für die Wiederaufnahme der Transporte war, daß in Zukunft die Kontaminationsgrenzwerte während des gesamten Transportvorgangs "mit ausreichender Sicherheit" eingehalten werden. Diese Nachweise wurden nach Ansicht des BfS von den Atomkraftwerksbetreibern erbracht. Zudem erfolgte eine beanstandungslose Begutachtung sowohl durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) als auch dem Öko-Institut Darmstadt. Auch die Einhaltung des vom Umweltministerium erarbeiteten Kriterienkatalogs, der die notwendigen Anforderungen für zukünftige Transporte festlegt, rechtfertige nach Aussagen des BfS eine Wiederaufnahme innerdeutscher Transporte. Noch nicht abgeschlossen seien hingegen die Prüfungen hinsichtlich der Anträge auf Transporte in die Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) sowie für den Rücktransport hochradioaktiver Glaskokillen ins Zwischenlager Gorleben.

Damit gab das BfS grünes Licht für fünf innerdeutsche Castor-Transporte. Demnach können frühestens im August – Transporte müssen sechs Monate vorher bei der zuständigen Polizeibehörde angemeldet werden – 15 Castoren auf den Weg ins westfälische Zwischenlager Ahaus geschickt werden, je sechs aus den Atomkraftwerken Biblis und Neckarwestheim und drei aus dem AKW Philippsburg.

Bei der Anti-AKW-Bewegung stieß die Genehmigung der dem Umweltministerium unterstellten Behörde so kurz vor der Wiederaufnahme der Konsensgespräche zwischen Bundesregierung und Stromkonzernen auf massive Kritik. Angesichts "noch offener Sicherheitsfragen" wäre die Genehmigung noch lange nicht nötig gewesen. "Doch Umweltminister Trittin steht im Wort bei der Atomwirtschaft", zitiert die tageszeitung den Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke. Dieser hatte bereits am Tag nach der Genehmigung des BfS in einer gemeinsamen Presseerklärung der Bürgerinitiativen Lüchow-Dannenberg und Ahaus "massiven Widerstand" für den Fall angekündigt, daß die Transporte tatsächlich wieder rollen sollten. "Wir warten nicht, bis als Zielort Ahaus oder Gorleben genannt wird", so die Sprecher der Bürgerinitiativen, Horst Ehmke und Hartmut Liebermann, "sondern rufen auch zur Beteiligung an Aktionen an Reaktorstandorten auf".

Daß ausgerechnet ein bündnisgrüner Umweltminister freie Fahrt für neue Atommülltransporte gibt, ist für Ehmke kein Grund, im Kampf nachzulassen: "Natürlich gehen wir gegen Castortransporte auf die Straße, auch wenn der Umweltminister Trittin heißt."

Auch die großen Umweltverbände wollen den Druck auf die Bundesregierung eher noch erhöhen. Der Präsident des Naturschutzbundes (NABU), Jochen Flasbarth, wertete die Wiederaufnahme der Transporte "als skandalös". Er warf der Regierung vor, sich mit dieser Entscheidung selbst ins Aus zu manövrieren. "Ohne Not präsentiert die Bundesregierung der Atomindustrie die Möglichkeit der Pseudo-Entsorgung auf dem Silbertablett und gibt damit ihr schlagkräftigstes Argument für einen raschen Ausstieg – die ungesicherte Entsorgung – aus der Hand." Der NABU frage sich nun, auf welche Druckmittel die Regierung bei den Ausstiegsverhandlungen noch setzen wolle: "Die Energiewirtschaft zittert schon jetzt vor Angst angesichts des rot-grünen Kuschelkurses!"

Eine "Kapitulation" vor den Atomkraftwerksbetreibern

Noch drastischer drückte es Gerhard Timm, der Bundesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), aus. Er wertet die Ankündigung als "Zeichen der Kapitulation der Bundesregierung vor der Atomindustrie". Jetzt werde "das Karussell der Atommüllverschiebung wieder in Gang gesetzt". Seiner Ansicht nach wäre die Bundesregierung besser beraten gewesen, die Konsensrunde "für die einzig denkbare Lösung des Atommüllproblems zu nutzen und das sofortige Abschalten der Atomkraftwerke durchzusetzen", erklärte der BUND-Geschäftsführer.

Doch die eigentliche Machtprobe zwischen den Kraftwerksbetreibern und der Anti-AKW-Bewegung wird nicht erst im Spätsommer stattfinden, sondern bereits im Vorfeld der Transporte: Wie Jochen Stay, Sprecher der Kampagne "x-tausendmal quer" in einem Interview mit der tageszeitung ankündigte, beabsichtigen die Atomkraftgegner auch die leeren Transportbehälter zu blockieren. "Die Castoren müssen erst einmal auf das Gelände der Reaktoren kommen." Diese werden alle in Mülheim an der Ruhr hergestellt, und nicht umsonst tagt die Anti-Atom-Bewegung bei ihrer nächsten Bundeskonferenz vom 30. März bis 2. April im Autonomen Zentrum in Mülheim. Dort wird es unter anderem darum gehen, wie "der Widerstand gegen Atomtransporte eskaliert werden" kann. Und das vor allem vor Ort, "an einer der Quellen allen Übels", meint das Anti-Atom-Plenum Bochum in seiner Einladung. Und: "Unbenutzte Castoren zu blockieren ist auch schöner", freut sich Jochen Stay, "weil die noch nicht radioaktiv strahlen".


 
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