© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
FPÖ/ÖVP-Regierungsprogramm: ÖVP-Vordenker Bernd Schilcher über schwarz-blaue Pläne
"Eine Ära ist zu Ende gegangen"
Andreas Mölzer

Herr Professor, nun nimmt eine blau-schwarze Koalition, die sich wohl als Reformkoalition verstehen dürfte, die Geschicke der Republik in die Hand. Sehen Sie Chancen, daß hier gravierende Reformschritte für das Gemeinwesens realisiert werden können?

Schilcher: Ich glaube, wenn das nicht geschieht, wäre der Sinn dieser Koalition verfehlt. Diese tritt ja unter dem Prätext an, daß sie in Angriff nimmt, was in 50 Jahren versäumt worden ist. Die Chance liegt darin, daß ein Koalitionspartner ohne Bindungen an eine herkömmliche Kraft herantritt. Er ist nicht in der Sozialpartnerschaft verankert, er muß nicht nach der Gewerkschaftspfeife tanzen, er braucht nicht Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer berücksichtigen, er ist vergleichsweise frei. Und diese Freiheit müßte genutzt werden.

Kann der andere Koalitionspartner seine traditionellen Bindungen an all diese von Ihnen genannten Institutionen überwinden?

Schilcher: Es wird nicht leicht sein. Wolfgang Schüssel kommt ja aus der Kammer, hat dort Freunde und seine Heimat. Aber er ist zweifellos klug und durchsatzkräftig genug, um mit gewissen Traditionen zu brechen. Jetzt hat er auch guten Grund dazu. Zum Beispiel die Tradition, daß es eine fast vordemokratische Verwaberung zwischen diesen nicht-demokratisch legitimierten Kräften und den Parlamentsfraktionen sowie der Regierung gibt. Die Bindung der ÖVP an die Wirtschaftskammer war nie so tief, wie die Bindung der SPÖ an ihre Gewerkschaft. Das waren ja Zwillinge.

Sie meinen also, daß insbesondere die Sozialpartnerschaft als Nebenregierung nicht mehr ihre illegitime Funktion haben wird.

Schilcher: Wir haben sie in allen normalen, demokratischen Ländern. Sie ist eine Interessenvertretung und wird dort berücksichtigt, wo Interessenvertretungen gefragt werden. Aber es wird keine Sonderrolle geben, d. h. sie hat insbesondere nicht die Einbindung in eine Partei.

Nun hat es ja speziell in der steirischen ÖVP immer Leute gegeben, die Reformen des Gesamtstaates ins Gespräch gebracht haben, bis hin zur Zusammenlegung der Bundesländer und Ähnliches. Glauben Sie, daß so gravierende Schritte zumindest einmal im Ansatz auch auf Österreich zukommen können in dieser neuen Konstellation?

Schilcher: Ich muß erst einmal ernsthafte Ziele haben. Die Schritte kann man sich dann einteilen. Alles auf einmal geht nicht, und mit Gewaltakten ist niemandem gedient. Aber ich muß doch klare Ziele haben. Und das Hauptziel ist es, die demokratische Normalität zu erreichen. Was jetzt nicht heißt, daß wir nicht-demokratisch sind. Es gibt aber hierzulande keine exakte Trennung zwischen Partei, Staat und Gesellschaft. Das ist alles miteinander verwoben. Es gibt auch keine Trennung zu den Interessenvertretungen, es gibt keine wirkliche Aufgabenteilung in der Bürokratie. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung selber zwar dem kleinsten verstaatlichten Betrieb Reformen verordnet hat nach Effizienz und nach Professionalität und Controlling, nur sich selber nie. Sie hat sich immer rausgehalten aus all dem. Und jetzt sollte sie es sein, die moderne Spielregeln für eine neue Ära aufstellt.

Wie könnten da die Details eines solchen Vorschlages aussehen?

Schilcher: Ich muß mir einmal klar werden, welche Art der Verfassung ich will. Ich habe mir ja darüber schon vor 15 Jahren die Finger wundgeschrieben, und gesagt, schauen wir uns doch wenigstens die präsidentiellen Verfassungen an. Kaum hat der Haider das gesagt, war er schon wieder im "rechten Eck". Das ist ja ein Teil dieser falschen Strategie - Denkverbote, Redeverbote, Überlegungsverbote – das ist alles schlimm. Ich muß das frei diskutieren können, natürlich auch mit Gegenstimmen. Ich könnte mir vorstellen, "elder statesmen" auf internationaler Basis sollten da eingebunden werden. Ich kann mir vorstellen, daß da Politikwissenschafter dabei sind - Professor Alexius aus Deutschland beispielsweise hat acht Verfassungen gestaltet. Es gibt Leute, die darin Übung haben. Ich kann mir auch vorstellen, daß da Meinungsforscher drinsitzen, die schreibende Zunft vertreten ist, usw. Die haben zwei Jahre Zeit und dann legen sie was vor, das wird diskutiert und meinetwegen mittels direkter Demokratie verwirklicht. Es ist nicht unmöglich. Was ich brauche, ist guter Wille und ein gewisser Rückenwind, und der scheint mir am 3. Oktober begonnen zu haben. Wir wollen etwas Neues. Alle sind sich einig, eine Ära ist zu Ende gegangen. Aber wenn ich eine neue will, dann muß ich auch neue Wege beschreiten.

Wie könnte Österreich nach einer solchen Reform aussehen?

Schilcher: Ich habe beispielsweise nie eingesehen, warum man in einem Bundesland außer dem Landeshauptmann eine Regierung braucht und auch noch einen Landtag. Ich halte das aus 17 Jahren eigener Erfahrung für wirklich überflüssig. Ein Gouverneur-System wie in den USA wäre sinnvoller. Der hat dann seine Beamten, mit denen er arbeitet. Eine Legislative in der Kleinflächigkeit brauche ich nicht. Da brauche ich eher eine starke zweite Kammer, die nicht wie der Bundesrat zahnlos ist, sondern die wirklich entsendet wird von den Ländern und dort echte Arbeit für die Länder leistet.

Abgesehen von der Verfassungsreform, was könnte denn eine solche Koalition generell im politischen Klima ändern?

Schilcher: Es muß einmal ein Klima geschaffen werden, wo ein allgemeines freies Nachdenken, Diskutieren und Erörtern erlaubt wird. Das ist in den letzten zehn Jahren nicht der Fall gewesen. Ich muß nachdenken dürfen, was könnte besser sein als das Bestehende, ich muß das formulieren dürfen, und ich muß das alternativ sehen dürfen.

Ist nicht aufgrund der internationalen Angriffe jetzt erst recht die Versuchung da, zuzumachen und zu sagen, wir machen eine rot-weiß-rote Eidgenossenschaft und alle anderen können uns gernhaben?

Schilcher: Ich bin sehr für "jetzt erst recht", aber jetzt erst recht aufmachen. "Die beschämen", das ist ja ein schönes Wort von Haider, die beschämen, nämlich in dem Sinn beschämen, daß wir weit liberaler sind, als sie annehmen. Daß vieles mehr möglich wird. Es ist ja in dem Land Stück für Stück weniger möglich geworden. Es hat jeder zugehört und gesagt, leider geht das nicht, weil hinter mir steht der Nürnberger und sagt Nein. Hinter mir steht der Herr Maderthaner und sagt Nein. Irgendeiner hat immer Nein gesagt, und dann ist es nicht passiert.

Jetzt ist es ja so, daß die nun zu Ende gehende Ära des Sozialdemokratismus in ihrer Anfangsphase in den 70er-Jahren unter Kreisky wirklich massive Veränderung in der Sozial-, in der Bildungs- und Gesellschaftspolitik gebracht hat. Sehen Sie die Chance, daß man jetzt wirklich in eine andere Richtung auch so eine massive Veränderung in der politischen Landschaft zustande bringt?

Schilcher: Ich spüre heute ein ähnliches Aufbrechen wie damals. Das muß ich ganz ehrlich sagen, da hat mir der Kreisky auch gefallen. Der hat Reformen durchgeführt, zum Beispiel im Justizbereich, die ich durchaus alle unterstützt habe. Das war eine Öffnung. Er hat nur dann vor den wahren Geschichten kapituliert. Die Sozialpartnerschaft ist immunisiert worden, das Verstaatlichte ist immunisiert worden, das Hineinregieren in jeden Betrieb ist immunisiert worden. Er hat dann in der zweiten und dritten Phase nur mehr geblockt.

Jetzt hat es aber damals ein europäisches, wenn nicht sogar globales Umfeld gegeben, in welchem, in der Folge der 68er-Revolte, die Sozialdemokratie an der Spitze einer geistigen Bewegung gestanden ist. Gibt es heute etwas Vergleichbares im internationalen Bereich, daß man sagen kann, Liberalisierung und wertkonservative Erneuerung habe so ein Umfeld?

Schilcher: Ja, ich glaube, trotz der äußerlichen Situation, wo ja doch die erhebliche Mehrheit in Europa sozialdemokratisch ist, gibt es einen Umschwung. Wenn ich mir anschaue, ob ein Sozialdemokrat sich im Jahre 1970 auch nur das annähernd hätte zu denken getraut, was heute der Herr Blair oder der Herr Schröder ihr Programm nennen, dann hat sich da natürlich in der Art des Denkens enorm viel geändert. Die Zukunft gehört einem Rechtsliberalismus, nicht im hinterwälderischen Sinn, sondern einem wertekonservativen Liberalismus. Das ist meines Erachtens kein Widerspruch. Denn ich kann natürlich Bewahrenswertes bewahren, wenn ich es als solches erkenne, und trotzdem offen sein. Also eine Öffnung bei gleichzeitiger wertkonservativer Orientierung. Das halte ich für durchaus legitim, im Gegensatz zum Strukturkonservativismus unserer bisherigen Regierung.

Halten Sie die beiden neuen Koalitionsparteien, die ÖVP und eine FPÖ, die ja nicht ganz zu Unrecht als rechtspopulistisch typisiert wird, für befähigt, eine solche wertkonservative, rechtsliberale Öffnung der Politik zu realisieren?

Schilcher: Ich kenne den Jörg Haider jetzt schon viele Jahre. Der war in seiner Entwicklung ja in vielen Bereichen. Ich habe ihn kennengelernt als einen extrem linken Sozialsprecher seiner Partei, der damals schon die Einheitspension gepredigt hat. Er kann das von der Intellektualität her. Und wenn er spürt, daß seine ehemaligen Ideen da noch immer ideellen Anklang finden, weil das auch machbar ist, dann ist er durchaus bereit, glaube ich. Er ist ja nicht nur in eine Ecke zu stellen. Das ist ja viel zu eng für ihn. Ich habe einmal gesagt, er sei kein Nazi, sondern ein Narziß. Das ist wirklich etwas ganz anderes.

Haben Sie den Eindruck, daß diese Ihre Beurteilung der FPÖ insgesamt in der ÖVP Gemeingut ist?

Schilcher: Nein, das kann ich nicht behaupten. Da gibt es sicher noch sehr viele, die das Heil in der Sozialpartnerschaft, im herkömmlichen Kammersystem, in Gewerkschaft und ÖAAB sehen. Das ist sicher. Aber ich glaube nicht, daß sie unbelehrbar sind. Ich glaube, daß auch dort die Zeichen der Zeit erkannt werden, und daß getrennt werden kann zwischen dem, was sich nicht mehr aufrecht erhalten kann, weil es eine falsche Struktur ist, und solchen Dingen, die wirklich einen Wertekonservativismus beinhalten. Daß man beispielsweise nicht die Idee der Disziplin über Bord schmeißt, die ja wirklich gescheit ist. Im 68er-Jahr haben wir das für den letzten Dreck gehalten. Auch da haben wir gelernt. Lassen wir eine breite Diskussion zu. Es ist ja alles so muffig geworden, keine Diskussion durfte durchgeführt werden. Wenn man "Dritte Republik" gehört hat, das war gleichbedeutend mit "Drittem Reich". Und damit war es erledigt. In diesen Ideen steckt ja was drin.

Zur aktuellen Situation: Wie würden Sie denn gegenüber dem europäischen Ausland in der jetzigen Situation agieren, wenn Sie diese neue Regierung beraten würden?

Schilcher: Ich würde wirklich das tun, was alle vernünftigen Stimmen sagen: In Gelassenheit die eigenen Hausaufgaben machen. Man überzeugt durch nichts deutlicher als durch Erfolg. Wenn diese Regierung erfolgreich im Inneren ist, daß sie wirklich zur Zufriedenheit der Bevölkerung arbeitet, dann ist sie auch legitimiert. Denn wenn das eine stabile, ordentliche Demokratie wird, die wirtschaftlich etwa zusammen bringt und die darüber die soziale Gerechtigkeit nicht vergißt, dann ist das etwas, was Ansehen gewinnt. Nur so, durch gewonnenes Ansehen kann man Defizite wettmachen. Andreas Mölzer

 

Prof. Dr. Bernd Schilcher, Jahrgang 1940, ehemals Vordenker der steirischen ÖVP und bis 1996 Präsident des steirischen Landesschulrats, lehrt heute Zivilrecht an der Karl-Franzens-Universität in Graz.


 
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