© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Konzert: Die Fado-Sängerin "Mísia" in Berlin
Melancholie pur
Gerhard Quast

Die Casa do Registo ist einer der authentischen Fado-Tempel Lissabons, in dem aufzutreten nur wenigen vergönnt ist. Daß 1994 der bis dahin eher unbekannten Fado-Interpretin Mísia diese Ehre zuteil wurde, war für diese nicht ganz risikolos, schließlich nähert sich Mísia dem "portugiesischen Blues" mit einer weiblichen Sentimentalität, die in der Heimat des Fado nicht gerade üblich war. Und das Lissaboner Publikum ist, zumindest was den Fado angeht, ausgesprochen konservativ. Doch ihr Auftritt war von Erfolg gekrönt, Mísia ein neuer Stern am Fado-Himmel Portugals.

Und das inzwischen nicht nur dort. Längst trägt die in Porto aufgewachsene Tochter eines portugiesischen Vaters und einer katalanischen Mutter den Mitte des 19. Jahrhunderts in den volkstümlichen Vierteln Lissabons entstandenen und dort noch immer verwurzelten Stil in die ganze Welt hinaus. Ihre jüngst erschienene CD "Paixões diagonais" (Diagonale Leidenschaften) stellt sie gegenwärtig auf einer 47-Städte-Tournee vor, die sie bis nach Japan, Argentinien, Kanada und Israel führt. Am vergangene Freitag gastierte Mísia in der Berliner Philharmonie.

Fado (dt. Schicksal/Verhängnis) ist der Inbegriff an Melancholie, Teil des typisch portugiesischen Lebensgefühls. Sein schwermütiger Charakter erinnert an Tango und Rébétiko. Mísias Verdienst war es, den urban geprägten Fado zu einem literarischen und musikalischen Kunstwerk gemacht zu haben. Auch der fatalistische Lebeneinstellung, die für den Fado so charakteristisch ist, hat sie nur wenig Raum gelassen. Stattdessen dominieren Texte portugiesischer Schriftsteller wie José Saramago und Antonio Lobo Antunes, denen sie Variationen alter traditioneller Fados unterlegte.

Ihr Auftritt in der Philharmonie war überraschend minimalistisch: Auf einer schmucklosen Bühne fünf Musiker (mit Gitarren, Klavier, Geige und Akkordeon), davor die in schwarz gehüllte Sängerin. Ihr Gesicht ist bleich geschminkt. Sie trägt ein blutrotes, knöchellanges Kleid. Ihre traditionellen wie zeitgenössischen Fados singt sie stets mit geschlossenen Augen; damit die Auslieferung an das Schicksal symbolisierend.

Leidenschaftlich hingegen ist ihr Gesang: Ob in Begleitung oder als Solistin, stets dominiert die beim Publikum mit Begeisterung aufgenommene charismatische Sängerin, deren Texte um Liebe, Sehnsucht, Freude und Einsamkeit kreisen: "Meine Seele, nach Liebe dürstend, ausgedörrt, / Schiff ohne Kurs und ohne Gott, fern dieser Welt / Treibt, haltlos preisgegeben Sturm und Finsternis, / In deiner Augen Ozean, in schwarzer Tiefe."


 
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