© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Österreich: Südtirols Altlandeshauptmann Silvius Magnago über Haider und Europas Zukunft
"Einheit ohne Vielfalt ist Diktatur"
Jörg Fischer

Herr Dr. Magnago, was sagen Sie zu den Attacken auf Österreich und auf Ihren Bündnispartner in der Europäischen Volkspartei, die ÖVP, und den Bundeskanzler Wolfgang Schüssel?

Magnago: Man hat nach den letzten Wahlen versucht, wieder eine Koalition zustande zu bringen, die irgendwie schon historisch ist, die Sozialdemokraten zusammen mit der Österreichischen Volkspartei. Das ist nach fast vier Monaten großer Mühe nicht gelungen und somit mußte man eine andere Mehrheit bilden. Und diese Mehrheit heißt jetzt nicht mehr SPÖ und ÖVP, sondern sie heißt ÖVP und FPÖ. Die bilden eine Mehrheit, entsprechend dem Ergebnis der letzten demokratischen Nationalratswahlen. Die Freiheitliche Partei Österreichs ist sogar zweitstärkste, demokratisch gewählte Partei, und basta! Das sage ich grundsätzlich, wenn Sie wollen, gehe ich auch noch weiter: Ich bin kein Anhänger Jörg Haiders, aber dieser ganze Alarm und diese ganze Kampagne ist unerhört. Ich war jahrzehntelang Obmann der Südtiroler Volkspartei und wir haben immer gut mit Österreich zusammengearbeitet, egal wer da regierte, ob Sozialisten oder Volkspartei. Der Jörg Haider ist sicher kein Neonazi, wohl aber ein großer Sprücheklopfer; sagen wir mal so: ein Populist. Wissen Sie, daß es in Österreich einen berühmten Nazijäger gibt,...

Sie meinen Simon Wiesenthal?

Magnago: Ja, der Herr Wiesenthal. Und der hat auch erklärt, Haider ist kein Neonazi, man macht ihn mit dieser riesigen Polemik nur gefährlicher, als er ist. Ich finde, man urteilt über eine Regierung nach dem Programm. Wie dieses Programm danach durchgeführt wurde, darüber findet eine repräsentative Beurteilung statt: Wahlen. Nur, weil heute Europa zu 80 Prozent von Sozialisten geführt wird, muß das doch nicht überall so sein. Ich bin sehr besorgt über diese Anti-Österreich-Kampagne, denn hierdurch wird Europa zugrunde gerichtet. Sie müssen sich mal hineinfinden in die Mentalität eines Wählers eines kleinen Staates. Durch diese Vorverurteilungen werden nicht nur Politiker, sondern auch die Wähler verletzt, die Haider gewählt haben, über ein Viertel der österreichischen Wähler. Sie wurden als dumm hingestellt und indirekt auch als Nazis. Die meinen, wir sind nur ein kleiner Staat von acht Millionen, und mit uns kann man umgehen, wie man will. Man kann nicht hergehen und sich einmischen, wenn demokratische Wahlen eine Regierung ergeben, die einem nicht paßt, es sei denn, sie widerspricht und handelt gegen die europäische Ordnung, gegen die Menschenrechte und so weiter: Dann schon. Europa ist ja eine Einheit in der Vielfalt. Einheit ohne Verschiedenheit ist Diktatur. Die Vielfalt gilt für die Kultur, aber das gilt auch für die Politik. Das jetzige Verhalten ist unmöglich, man zerreißt Europa.

Die italienische Linksregierung engagiert sich stark gegen die neue Regierung in Österreich. Sogar Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale, der vor Jahren als MSI-Chef noch Mussolini lobte, kritisiert Haider massiv. Wie erklären Sie sich das?

Magnago: Das ist sehr leicht zu erklären. Die AN ist die Nachfolgepartei der faschistischen Partei von Mussolini und extrem rechts gerichtet. Die AN fürchtet wahrscheinlich, Stimmen an die Forza Italia zu verlieren, die ist weniger rechts. Und die AN glaubt, daß Haider, der als besonders national eingestellt gilt, unter Umständen das Problem Südtirol wieder aufwerfen könnte. Die fürchten jetzt, daß durch Haider die Brenner-Grenze in Frage gestellt wird. Und da kann ich Ihnen sofort antworten: So was hätte Haider tun können, wenn er gewollt hätte, so lang er frei war, zu tun, was er wollte. Er hat es nicht getan! Jetzt ist seine Partei in der Regierung, er ist Landeshauptmann von Kärnten. Haider hat sich bisher nicht für das Thema engagiert und wird es jetzt erst recht nicht können.

Haider wird in Italien oft mit Bossi von der Lega Nord verglichen. Was ist da wirklich dran?

Magnago: Bossi strebt eine große Autonomie für die Po-Ebene an, einen eigenen Staat im Staate. Dabei verfolgt Bossi illusorische Ziele. Daß Bossi natürlich auch fremdenfeindlich ist, ist auch richtig. Er sieht in Padanien eine eigene Volksgruppe, doch dafür braucht’s viel Phantasie! Somit ist zwischen Bossi und Haider wohl wenig Gemeinsames. Vielleicht kann man aber sagen, daß Bossi gegen den zentralistischen Staat Italien ist. Also ist er gegen Staatszentralismus und Haider vielleicht auch. Aber diese beiden Leute passen nicht zusammen. Bossi widerspricht sich ja dauernd. Jetzt heißt es, daß er sich wieder mit zentralistischen Parteien wie der AN zusammentut, nur um bei Wahlen noch eine gewisse Bedeutung zu haben. Ich sehe da überhaupt keine Gefahr und auch keine Möglichkeit zu einer Zusammenarbeit zwischen Bossi und Haider.

Auch in Italien gibt es Probleme mit illegalen Ausländern. Ist das eine Chance für einen "italienischen Haider"?

Magnago: Nein, das ist kein österreichisches Phänomen. In Italien gibt es viele Proteste gegen Immigranten, um so mehr, weil von italienischen Unternehmen Einwanderer zu Spottpreisen angestellt werden, also die Schwarzarbeit dadurch floriert. Und dann darf man noch etwas nicht vergessen, es sind nicht die besten aus Albanien oder aus Afrika, die zu uns kommen. Es kommen oft Leute, die sich zu Hause nicht mehr wohl fühlten, die ein schlechtes Gewissen haben. In Italien leben bis jetzt noch nicht so viele Ausländer wie in Deutschland, aber das Problem wird immer akuter, vor allem, weil die italienischen Regierungen nicht in der Lage waren, die Arbeitslosigkeit überzeugend zu bekämpfen. Und Italien hat das Pech, daß es nahe an Albanien ist und nur die Meerenge der Adria dazwischen ist, man kann die Küsten in Italien einfach nicht genügend schützen. Es ist überall das gleiche, aber Italien hat drei Rechtsparteien, jedoch keinen Haider. Die Südtiroler Volkspartei unterstützt die aktuelle Mitte-Links-Regerierung in Rom, weil die weniger zentralistisch eingestellt ist und die Autonomie Südtirols garantiert.

Auch in Südtirol gibt es eine Freiheitliche Par-tei. Bekommt die jetzt Auftrieb?

Magnago: Im Südtiroler Landtag – unter Südtirol versteht man die autonome Provinz Bozen – gibt es 35 Abgeordnete, davon ist einer, Pius Leitner, von den Freiheitlichen. Der wird uns keine Konkurrenz machen. Die Südtiroler Wähler werden kaum sagen, es ist eine Schweinerei, wie Europa Österreich behandelt, und deshalb wählen wir freiheitlich. Nein, das glaube ich nicht.

Die FPÖ wird oft als europafeindlich bezeichnet, die EU-Erweiterung steht an. Was halten Sie davon?

Magnago: Österreich hat eine wichtige Funktion bei der EU-Erweiterung; es grenzt an die Tschechei, die Slowakei, Ungarn und Slowenien. Ich befürworte die Osterweiterung. Aber – das ist jetzt nur meine persönliche Meinung – ich möchte im Fall der Tschechei anmerken, daß es da etwas zu bedenken gibt. Ich glaube, daß die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen, der Raub ihres Hab und Gutes, all das Unrecht, was geschehen ist, dabei erwähnt werden sollte. Es sollte eine gerechte Regelung gefunden werden, bevor man diesen Staat, ich rede jetzt nur von der Tschechei, in die EU aufnimmt. Wie kann ein solcher Staat in die Europäische Gemeinschaft kommen, aus dem drei Millionen Menschen vertrieben wurden? Das betrifft aber nur die Tschechei, nicht die Slowakei, die jetzt ein neuer Staat ist. Bei den Ungarn dürfte es gar keine Schwierigkeiten geben. Hier bin ich sehr positiv eingestellt, denn die österreich-ungarische Monarchie hatte eine gute Tradition und warum soll nicht Ungarn, wie Österreich, auch in die EU hineinkommen. Und das gleiche gilt auch für Slowenien, ein Balkanstaat, der jetzt frei ist und schon viele Voraussetzungen erfüllt. Bei allen anderen Kandidaten soll man überprüfen, ob der Staat und dessen Regierung klare demokratische Garantien bieten können.

Es gibt bei den italienischen Rechtsparteien – speziell der Alleanza Nazionale – Bedenken, Slowenien in die EU aufzunehmen. Grund sind Eigentumsfragen, ähnlich denen in der Tschechei. Sind diese italienischen Ansprüche berechtigt?

Magnago: 1915 hat Italien Österreich-Ungarn den Krieg erklärt – und 1918 gehörte es zu den Siegern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Südtirol von Tirol abgetrennt und gegen den Willen seiner Bevölkerung Italien zugeschlagen. Das betraf zirka 250.000 deutschsprachige Tiroler, nur drei Prozent davon waren damals für Italien. Zugleich bekam Italien das ganze Hinterland von Triest, da lebten etwa 300.000 Slowenen, die wurden auch nicht gefragt. Das faschistische Regime von Mussolini hat nicht nur die Südtiroler, sondern auch die slowenische Minderheit schwer unterdrückt. Man siedelte wie in Südtirol zusätzlich Italiener an. Die sind dann nach Kriegsende wieder verjagt worden, das Land kam an Jugoslawien. Und auch heute hat Italien noch eine kleine slowenische Minderheit, vielleicht von 50.000 Menschen. Es gibt also auch zwischen dem heutigen Slowenien – das ja aus Jugoslawien hervorging – und Italien noch offene Probleme, die gelöst werden müssen.

 

Dr. Silvius Magnago wurde 1914 in Meran geboren. Nach politisch turbulenter Schulzeit dient er 18 Monate in einem Eliteregiment Mussolinis – zum Ende als Kompanieführer. 1940 schließt er sein Jurastudium an der Uni Bologna mit einer Dissertation über die Rassengesetze in Italien und Deutschland ab. Nach kurzer Berufstätigkeit wird er 1943 zur Wehrmacht einberufen und schon im Dezember an der Ostfront schwer verwundet. Er kehrt nach Bozen zurück und wird 1945 Mitglied der Südtiroler Volkspartei (SVP), mit 33 sitzt er im Bozener Gemeinderat, 1948 – nach dem Autonomiestatut – ist er erster Landtagspräsident Südtirols, 1957 wird er SVP-Obmann. 1960 wird er erstmals auch Landeshauptmann und bleibt es bis 1989. 1969 setzt er die Annahme des "Südtirol-Paketes" durch, 1976 rehabilitiert er die Südtirol-Attentäter. 1992 wird mit der Streitbeile-gungserklärung Österreichs gegenüber Italien sein Lebenswerk abgeschlossen. Heute ist er Ehrenobmann der SVP.

 

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