© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
FDP Berlin: Nationalliberale schauen dumm aus der Wäsche
Die Leichtigkeit des liberalen Seins
Moritz Schwarz

Einst stellte der König von Preußen eine schicke Truppe auf: Die langen Kerls. Paradesoldaten, dekorativ, modern, aber völlig überflüssig. Am vergangenen Samstag traf sich der Berliner Landesverband einer Partei, deren Profilproblem längst zum Prozentproblem geworden ist, und die sich bislang standhaft weigert, die Frage "FDP – warum überhaupt?" jenseits der Mehrheitsbeschaffung zu beantworten. "Freiheit – Rechtsstaat – Menschenrecht" in Zeiten etablierter liberaler Demokratie, Schlagworte statt Antworten. Paradedemokraten, dekorativ, modern...

Tief im Inneren einer internationalen Hotelburg, Marke "abgestürzte Raumstation", versammelte sich die Berliner FDP, um einen Vorstand neu zu wählen und über die qualvolle Enge zu beraten, die in der politischen Mitte herrscht, seit die Grünen sich selbst für die besseren Liberalen halten, Sozialemokraten sich als die "neue Mitte" bezeichnen und ÖVP/FPÖ-Koalitionen Mitte/Rechts-Regierungen genannt werden.

Gepflegte Großraumatmosphäre, Buffet mit Besserverdiener-Preisen, Stehtische mit weißen Deckchen. Im Saal das bei allen Parteien übliche nervige Parteitagsgeraune: Einer spricht, Dreihundertfünfzig quatschen mit dem Nachbarn. Zeitungslesen, Kichern, Zwischenmahlzeitsknuspern hört nur auf, wenn Vorsitzende oder Flügelführer sprechen. Aus den unendlichen Weiten des linken Spektrums landete vor gut einem Jahr Rudi Hielscher auf dem FDP-Planeten. Er und seine Polit-Invasoren vom linken Projekt "Absolute Mehrheit" versuchten durch Masseneintritte die FDP-Gelben in grüne Männchen zu verwandeln. Student Hielscher klettert aufs Podest, beleidigt, imponierend selbstbewußt, Parteirechte, Funktionäre, Mainstream-Mannen und fordert, ab jetzt alles ganz anders zu machen! Der Nationalliberale Axel Hahn tritt ihm kühl entgegen und entlarvt den Eulenspiegel: "Herr Hielscher, bereits früher haben Sie mich aufgefordert Farbe zu bekennen, um nach zwei Minuten hochmütig mit den Worten, das könne man ja nicht mit anhören, die Aussprache abzubrechen." Aha, Selbstbewußtsein ist also Arroganz, starke demokratische Worte, heiße autoritäre Luft.

Hahns Rede überzeugt in Aufbau und Inhalt. Anders als die Redner der liberalen Mitte spricht er als einer der wenigen nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen an. Antworten allerdings bleibt auch er schuldig.

Dann betritt der künftige Steuermann die Brücke, der Kandidat für den Landesvorsitz Günter Rexrodt spricht, und alles ist wie damals im "Raumschiff Bonn": zuversichtlich, unverbindlich, abgehoben. Als dann aber ein grauhaariger Kämpe der ersten Stunde aus der Parteibasis aufs Podest tritt und von der Stunde Null unserer Demokratie erzählt, wird ein Gefühl für die Aufbauleistung dieser Partei lebendig.

Dennoch, die FDP setzt auf fortschreitende Freiheit – bis zur totalen Zersetzung. Gut gemeint, tut aber dennoch weh. Die Idee des völlig selbstverantwortlichen Individuums hat längst die universelle Herrschaft angetreten und droht heute in die totale Globalisierung umzuschlagen.

Verblendet von der Leichtigkeit des liberalen Seins, unterscheidet die FDP nicht Eigenverantwortung und Allgemeinverantwortung. Überindividualisierung beantwortet sie mit noch mehr Individualismus. Es ist die Logik eines Drogensüchtigen. Und auch nach dem zehnten Redebeitrag stellt sich immer noch die Frage: "FDP – warum überhaupt?"

"Glaubwürdigkeit" heißt das Wort der Stunde. Sie sprechen es aus wie "Abrakadabra", als sei die Politikverdrossenheit einzig ein Problem schwarzer Kassen. Deshalb liegt auch ein "weg von Koch" in der Luft, vehement wird ein scharfer Schnitt in Hessen gefordert. Eine Umfrage unter den Delegierten bestätigt die Redner auf dem Podium.

In der Frage nach dem Druck auf die dortige Landespartei stehen sich Anhänger einer Disziplinierung und die Mahner, die Enttäuschung der Deutschen über die Vorgänge in Hessen machten nicht an der Landesgrenze halt, gegenüber. Ähnlich verhält es sich im Fall Haider. Einig ist man sich, Haider sei ein sonnenbraunes Übel, doch die Frage, ob ausgrenzen oder eingrenzen, begrenzt die Gemeinsamkeit.

Schließlich schreitet man zu den Urnen: Erwartungsgemäß setzt sich Günter Rexrodt gegen den ehemaligen Bürgerrechtler und Ex-Bündnis 90-Politiker Hans Schwenke durch. Die Nationalliberalen hingegen erleiden schweren Schiffbruch. Ihr Kandidat für den stellvertretenden Vorsitz, Axel Hahn, muß mit 111 zu 197 Stimmen eine klare Niederlage gegen den Jungunternehmer Markus Lönnig einstecken. Dennoch ist die Stimmung versöhnlich, Hahn sichert dem neuen Vorsitzenden seine Unterstützung zu. Rexrodt selbst verspricht einen Kurs der Integration gegenüber den Parteirechten, nachdem es unter seinem scheidenden Vorgänger Lange zu den "brutalsten, schmutzigsten und übelsten Ausgrenzungsversuchen" gegen den rechten Flügel gekommen war, wie Klaus Gröbig, ein Vertreter der Nationalliberalen, am Rande des Parteitages sagte. Unterdessen werden Gerüchte laut, der ganze Parteitag inklusive seiner Beschlüsse könne angefochten werden, da die Zahl der Delegierten mit zweifelhaften Absichten nicht satzungsentsprechend erhöht worden sei. Ob dies allerdings an den grundsätzlichen Ergebnissen noch etwas ändert, ist äußerst fraglich.

Das FDP-Richtungswursteln wird wohl weitergehen. Anstatt eine tragfähige Alternative zu entwickeln, hält man die bröckelnden Reste mit aller Mühe zusammen und glaubt tatsächlich weiterhin, mit im Schnitt fünf Prozent Deutschlands kleinste Volkspartei sein zu können, wirtschaftsliberal, nationalliberal, sozialliberal. Ein bunter Bauchladen, den das Führungspersonal als homogenes Markenprodukt zu verkaufen sucht. Kundentäuschung? Etikettenschwindel? Außen FDP und innen nichts drin?

Parteien wie die FDP machen offenbar: es klafft eine Lücke im Verbraucherschutz. Denn anders als der Kunde beim Haustürgeschäft kann der enttäuschte Wähler mitnichten binnen zweier Wochen von seiner Entscheidung zurücktreten.


 
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