© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
CD: Industrial / EBM
Klangcollagen
Ulli Baumgarten

Musik aus Osteuropa? Den meisten dürfte es wohl Schwierigkeiten bereiten, auch nur den Namen einer osteuropäischen Rockgruppe zu nennen. Dessen ungeachtet ist es im ehemaligen Ostblock nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des real vegetierenden Sozialismus zu einer wahren Kulturexplosion gekommen. Davon hat denn selbstverständlich auch der Bereich der Rock- und Popmusik profitiert.

Zu den bekanntesten und beliebtesten Gruppen ihrer weißrussischen Heimat zählt die Combo Gods Tower, die nunmehr ihre dritte CD insgesamt und die erste im Westen veröffentlicht hat. Was den Hörer hier erwartet, kann man nur als Sensation bezeichnen. Zwar ist der Bereich des Death Metal in den letzten Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, was nicht nur mit einem veränderten Musikgeschmack zu tun hat, sondern auch mit einer gesteigerten Kreativität dieses Genres, aber die Weißrussen dürften wohl so ziemlich alles übertreffen, was in den letzten Jahren auf der Szene erschienen ist. Die CD "Ebony Birds" beinhaltet eine dermaßen harte und dennoch melodiöse Musik, daß man versucht ist, Vergleiche mit den Stars der Szene wie Type O‘Negative anzustellen, ja man ertappt sich sogar dabei, daß diese Vergleiche zuungunsten der arrivierten Stars ausfallen.

Die Plattenfirma (Prophecy Productions, Kurfürstenstr. 5, 54492 Zeltingen-Rachtig) bezeichnet die Musik als "folkloristischen Pagan Doom Metal". Das hört sich zwar etwas geschwollen an, kann aber als Hinweis darauf dienen, was den Hörer erwartet. Die Texte – gesungen wird in Englisch – strotzen, szeneüblich, nicht gerade vor Lebensfreude, sondern widmen sich ausführlich dem Tod, der Rache und anderen netten Dingen des täglichen Lebens. Das alles kommt aber nicht weinerlich daher, sondern ist hier Ausdruck der Stärke, einer Stärke, die man beschreiben könnte als: "Wir haben keine Hoffnung mehr und kämpfen trotzdem." Alles in allem: eine CD, die mehr als Spaß macht!

Trotz ihres Namens kommen Ostblock nicht aus eben diesem, sondern aus Deutschland. Mit ihrer Maxi-CD "Statement 127" (erschienen bei VAWS, Postfach 101350, 47013 Duisburg) steht Ostblock in der Tradition des deutschen Industrial, der wesentlich härter und aggressiver ist als zum Beispiel der amerikanische, der sich – von einigen Ausnahmen abgesehen – dem Publikumsgeschmack zunehmend anpaßt und mehr Kompromisse macht. Wer die ebenfalls bei VAWS veröffentlichte CD von Feindflug kennt und liebt, weiß nicht nur, was ihn erwartet, sondern dürfte auch an Ostblock sein helle Freude haben.

Musik im eigentlichen Sinne des Wortes ist hier natürlich nicht zu erwarten, sondern Klangcollagen, die – ähnlich wie beim Techno – nicht mehr mit traditionellen Instrumenten erzeugt, sondern in der Regel gesampelt werden. Was dabei herauskommt, läßt dem durchschnittlichen Hörer die Ohren abfallen, ist aber trotz des avantgardistischen Charakters, den Ostblock haben, sicherlich viel zu schade, als daß man sie dem Ghetto der Avantgarde überlassen dürfte.

Wer einmal über den Tellerrand der herkömmlichen Popmusik hinausschauen mag und aufgeschlossen genug ist, sich auf harte Elektronik-Musik einzulassen, dem sei diese Maxi-CD dringend ans Herz gelegt. In der Szene zumindest dürften Ostblock schon bald zu den Stars zählen.


 
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