© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
CDU: Die Spendenaffäre neigt sich ihrem Ende zu / Machtkampf an der Spitze zwischen Merkel und Rühe
Konservative sind in Verlegenheit
Paul Rosen

In höchster Not und im freien Wählergunstfall zeigt sich die CDU basisdemokratischer als es die Grünen jemals waren. Die Bundestagsfraktion stürzt ihren Vorsitzenden Wolfgang Schäuble, der daraufhin auch auf den Parteivorsitz verzichtet. In einem Putsch ohnegleichen hievt die Fraktion den 44jährigen Finanzexperten Friedrich Merz an ihre Spitze. Die Partei steht jedoch erneut vor ihrem historischen Dilemma: Die alten Gegensätze zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden brechen wieder auf. Der Süden rebelliert gegen die Generalsekretärin Angela Merkel (45) als neue Parteivorsitzende, die für den protestantischen Norden steht und der Partei einen kompromißlosen Modernisierungskurs verordnet hat. Schon warnt die CSU, die CDU könne auf dem rechten Rand Terrain freigeben und das Erstarken von Konkurrenzparteien begünstigen.

Doch in einem zentralen Problem hat die Partei wahrscheinlich bald Ruhe: Nachdem Helmut Kohl mit seinem Rückzug aus dem Ehrenvorsitz bereits am 18. Januar entmachtet worden war und das "System Kohl" seinen Betrieb einstellte, neigt sich nun auch die Spendenaffäre ihrem Ende zu. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Vorgänge um schwarze Kassen, anonyme Spenden und Spendenübergaben des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber an Schäuble hinreichend aufgeklärt worden sind ober nicht. Das öffentliche Interesse wird rapide abnehmen, da alle Beteiligten, besonders Kohl und Schäuble, keine wichtigen Funktionen mehr innehaben oder diese bald abgeben werden.

Auch eine weitere Beteiligte, die ehemalige Schatzmeisterin der Partei, Brigitte Baumeister, die mit ihrer Eidesstattlichen Versicherung gegen Schäuble den CDU-Chef so sehr in Bedrängnis gebracht hatte, sieht ihrem politischen Ende entgegen. Ihre letzte Funktion, den Sitz im Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion, dürfte sie bereits kommenden Dienstag bei der Neuwahl des Fraktionsvorstandes verlieren. Der Untersuchungsausschuß des Bundestages, der sich der Spendenaffäre annehmen soll, wird – abgesehen von einigen spektakulären Vernehmungen – seine Arbeit bald unter Ausschluß der Öffentlichkeit verrichten. Parallel dazu könnte selbst das Aushängeschild der letzten Konservativen der CDU, der ebenfalls in die hessische Finanzaffäre verstrickte Ministerpräsident Roland Koch, politisch überleben. Die hessische CDU wählte ihn vergangenen Samstag in Wiesbaden mit 96,7 Prozent wieder zum Landesvorsitzenden. Behält Koch weiter die Nerven und hält die FDP weiter zu ihm, hat er alle Chancen, aus dem Spendental herauszukommen.

Der Fall Schäuble hat gezeigt, wie falsch die Führung der Unionsfraktion die Realität eingeschätzt hatte. Natürlich waren sich Schäuble und sein erster Stellvertreter, der CSU-Landesgruppenvorsitzende Michael Glos, im 55köpfigen Vorstand der Unionsfraktion jeder Unterstützung sicher, als sie Frau Baumeister zum Rücktritt bewegen wollten. Die Tatsache, daß sich mit Schäuble und Frau Baumeister zwei Führungsmitglieder der Fraktion mit Eidesstattlichen Versicherungen über die Umstände von Schreibers Spendenübergabe stritten, ließ eine weitere Zusammenarbeit unmöglich erscheinen. Doch Frau Baumeister weigerte sich, von ihrem Amt zurückzutreten.

Die Fraktionsführung wollte die Krise mit dem Brecheisen lösen und Frau Baumeister abwählen lassen. Zuvor hatte Schäuble wieder einmal mit Rücktritt gedroht: Entweder man glaube ihm, oder die Fraktion müsse sich einen neuen Vorsitzenden wählen. Tatsächlich beschloß der Fraktionsvorstand einen Abwahlantrag gegen Frau Baumeister, dem die Fraktion mit Zweidrittelmehrheit hätte zustimmen lassen.

Glos marschierte mit diesem Antrag brav in die Fraktion, in der die Abgeordneten ganz andere Sorgen hatten: An der CDU-Basis war die Unzufriedenheit über mangelndes Krisenmanagement in Berlin gewaltig gewachsen. Die meisten Unions-Volksvertreter waren bereits zu der Erkenntnis gekommen, daß sie mit Schäuble an der Spitze ein hohes Risiko bei der nächsten Bundestagswahl eingehen würden. Vier Monate wertvoller Zeit waren praktisch verschenkt, Kanzler Gerhard Schröder sonnte sich im Glanz des eigenen Nichtstuns und des Niedergangs der CDU.

Abgeordnete putschten Fraktionschef aus dem Amt

Außerdem befürchten die Abgeordneten, daß die Kampagnen- und Wahlkampfführungsfähigkeit der CDU gefährdet wird, weil Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mindestens 41 Millionen Mark Staatsgelder einbehält. Und nicht zuletzt sahen die bürgerlichen Politiker, wie die Bundes-FDP heftig ruderte, um aus der hessischen Koalition mit der CDU unter Roland Koch auszuscheiden. Nach Hessen würden andere FDP-Landesverbände auch den Weg zur SPD oder zu einer Ampel-Koalition nehmen wollen, befürchteten viele Abgeordnete. Die Union stünde allein auf weiter Flur.

Bis ins Kleinste bereiteten überwiegend Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen den Putsch gegen Schäuble vor. In der Fraktionssitzung lief die Attacke dann von allein: Der Abwahl-Antrag gegen Brigitte Baumeister fand nur ablehnende Reaktionen, so daß Schäuble ein Vorziehen der eigentlich erst für Mai vorgesehenen Fraktionsvorstandswahlen ankündigte. Abgeordnete aus Schleswig-Holstein forderten daraufhin sofortige Vorstandswahlen, fanden Riesenbeifall und machten Schäuble klar, daß er keine Unterstützung mehr in der Fraktion und damit auch in der Partei hatte. Schnell sprach sich der CDU-Teil der Fraktion für den Sauerländer Abgeordneten Merz aus; die CSU-Führung leistete in völliger Verschätzung der Stimmung im eigenen Lager Widerstand. Erst eine Landesgruppensitzung in Berlin machte dem eigens nach Berlin angereisten CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber klar, daß auch die Mehrheit seiner bayerischen Abgeordneten Merz wollte. Schnell drehte Stoiber seine Haltung um und war auf einmal auch für Merz.

In der CDU gestaltet sich die Nachfolgefrage ungleich schwieriger. Stoiber, der sich gegen alle bisherigen Gepflogenheiten aktiv in die Belange der Schwesterpartei einmischte, bevorzugte den thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel als Übergangsvorsitzenden für vielleicht zwei Jahre. Damit, so Stoibers Rechnung, könne er bequemer die Kanzlerkandidatur für sich beanspruchen. Merz ist noch zu jung und unerfahren, um gegen Schröder bestehen zu können. Vogel käme, so die Rechnung des Bayern, aus Altersgründen (er ist 67 Jahre) nicht mehr in Betracht. Der andere Aspirant, der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat Volker Rühe (57), würde angesichts des in Kiel zu erwartenden schlechten CDU-Ergebnisses nicht mehr als ein Zählkandidat sein.

Doch Vogel war nicht zu überreden, den Hut in den Ring zu werfen. Vielleicht wäre es für den Wahl-Thüringer besser gewesen, seine Bereitschaft direkt am Tag des Schäuble-Verzichts zu erklären. Da er – wie schon so oft in seinem politischen Leben – wieder zögerte, ging die CDU-Personaldebatte auf einmal eigene Wege. Es verbreitete sich eine breite Grundströmung für Angela Merkel. Der Hamburger CDU-Landesverband, die Heimat von Rühe, sprach sich direkt für Frau Merkel als neue Parteichefin aus. Das dürfte Rühes Ambitionen noch weiter verschlechtert haben, auch wenn die Bayern und Teile des konservativen CDU-Flügels ausgerechnet Rühe bevorzugen, um Frau Merkel zu verhindern. Im niedersächsischen Wolfenbüttel, einer der konservativen Ecken der CDU, wurde Frau Merkel vergangenen Freitag auf einer Regionalkonferenz der Partei von 500 Funktionären schon wie die neue Vorsitzende gefeiert.

Doch Rühe und die CDU-Generalsekretärin haben in den letzten Jahren zu gut zusammengearbeitet, als daß es zum offenen Gegeneinander auf dem CDU-Parteitag im April in Essen kommen könnte. Beide gehören zum Flügel der halblinken CDU-Modernisierer protestantischer und norddeutscher Herkunft. Rühe und Frau Merkel ziehen lieber an einem Strang, statt sich zu bekämpfen.

Der bürgerliche Teil der CDU und auch die bayerische CSU, die Frau Merkels Anbiederung an homosexuelle Lebensgemeinschaften und ein unverbindliches, dem Zeitgeist gefälliges Programm ablehnen, stehen eher ratlos da. Ihr Verlegenheitskandidat Vogel hat sie selbst in Verlegenheit gebracht. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers hält sich für eine Alternative zu Frau Merkel, gehört jedoch auch eher in deren Lager als zu den Konservativen. Jetzt rächt sich Helmut Kohls Personalpolitik, der nie außergewöhnliche Begabungen nach oben kommen ließ. Die Personaldecke der CDU ist äußerst dünn. Reserven gibt es praktisch nicht.

Auf der Rechten könnte viel Kreatives entstehen

Es bliebe als natürlicher Gegenspieler zu Frau Merkel eigentlich nur der Hesse Koch, dem die Parteiführung – und darin liegt die Tragik der hessischen Spendenaffäre – nach Schäubles Rückzug sehr wahrscheinlich in den Schoß gefallen wäre. Es ist nicht auszuschließen, daß sich Kochs Ruf nach seiner überzeugenden Wiederwahl zum CDU-Landeschef schneller erholt als erwartet. Dann würde sich die CDU vielleicht noch einmal aufrappeln können. Falls nicht, entsteht rechts viel Raum für Kreatives. Und das Gebot von Franz Josef Strauß, rechts neben der CDU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, würde auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.


 
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