© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
Regie: Leni Riefenstahl inspiriert ausländische Filmemacher
Ernstfall der Love Parade
Doris Neujahr

Nein, Leni Riefenstahl war nicht auf der "Berlinale", auch eine Retrospektive ihrer Filme ist nicht in Sicht, noch nicht jedenfalls, aber in einer der Filmzeitschriften, mit denen die Berichterstatter im Pressezentrum stapelweise eingedeckt wurden, konnte man ein Interview mit der amerikanischen Schauspielerin und Regisseurin Jodie Foster nachlesen, die an einem Film über Riefenstahls Leben arbeitet und sich beinahe hymnisch über sie äußert: "Leni Riefenstahl ist eine schillernde Persönlichkeit, eine faszinierende Frau, sehr stark und von ungeheurer Präsenz. Und das im Alter von 97 Jahren! Sie hätte die größte Regisseurin aller Zeiten sein können. Wir haben viel von ihr gelernt." In Deutschland wird es noch ein wenig dauern, bis man es wagt, sich über Riefenstahls Können mit vergleichbarer Objektivität zu äußern. Im Ausland aber ist die Sichtung ihres Werkes schon im vollen Gange.

Nehmen wir den französischen Film "Beau travail", der im "Forum des Jungen Films" gezeigt wurde und von Riefenstahls Filmen sowie ihren berühmten Nuba-Fotografien wesentlich inspiriert ist: In einer Diskothek wiegen junge, schöne Frauen mit goldbraunem Teint sich schlangengleich im Rhythmus der Musik. Sie werden von jungen Männern in den Ausgehuniformen der französischen Fremdenlegion umschwärmt. Für die Kamera (und die Zuschauer) sind sie weniger als Individuen, sondern als Teil eines Gesamteindrucks von Belang: Als Partikel einer euro-afrikanischen Choreographie aus Musik und schönen Körpern, aus geschmeidigen Bewegungsabläufen, Uniformen und knisternder Erotik.

Die Regisseurin Claire Denis hat mit der Fremdenlegion die Männergesellschaft per se in den Mittelpunkt gestellt. Es war schwierig, die Dreherlaubnis für eine Kompanie im ostafrikanischen Dschibuti, einer ehemaligen Kolonie, zu erhalten. Die Handlung, die der pockennarbige Ex-Sergeant Galoup rückblickend erzählt, macht die Furcht der Behörden vor Kompromittierungen verständlich: Galoup ist wegen Mißbrauchs seiner Befehlsgewalt gegenüber dem Legionär Sentier entlassen worden. Er fühlte sich bedroht von Sentiers Schönheit, seinem Mut, seiner Beliebtheit, und war eifersüchtig wegen seines androgynen Reizes, dem sich sogar der harte, vergötterte Kompaniechef nicht entziehen konnte.

So unendlich weit hergeholt sind diese Konstellationen nicht. Schon im Roman "Gourrama", den der Legionär Friedrich Glauser Ende der zwanziger Jahre schrieb, erscheint die Legion als Konfliktfeld der Hierarchien, Grenzüberschreitungen, internen Aggressionen und sexuellen Begierden.

Die Vorlage für die Filmhandlung aber lieferte "Billy Budd", die berühmte, posthum publizierte Novelle des Amerikaners Hermann Melville, die mit einem Justizmord an ihrem unschuldigen Protagonisten endet und zumindest zwei Lesarten erlaubt: Erstens als Werk über die Opferung eines absolut reinen Menschen zugunsten einer abstrakten Ordnung, deren Unvollkommenheit und Pervertierung zum Zeitpunkt ihres Vollzugs bereits evident ist, zweitens als Geschichte einer verdrängten, in Haß und Selbsthaß umschlagenden Männerliebe. Die Regisseurin spielt mit beiden Mustern und unterlegt den Film mit der sakralen Musik aus Benjamin Brittens gleichnamiger Oper.

Gesellschaftskritik und Psychodrama sind freilich nur die Oberfläche, allenfalls die Subthemen des Films. In der Hauptsache geht es um eine Ästhetik des männlichen Körpers und der soldatischen Gemeinschaft, die durch gemeinsame Arbeit erreicht wird. Daher auch der Titel: "Beau travail – Schöne Arbeit". "Schön" kann der Bau einer Straße sein, auch wenn ihr praktischer Sinn inmitten der steinigen Wüste nicht recht einleuchten will. "Schön" ist die militärische Körperertüchtigung, auch wenn der Zweck dies Drills im postkolonialen Zeitalter nebulös bleibt. Die Uniformen verweisen auf kein politisches, militärisches oder ideelles Bezugssystem mehr; die von einem Trompeter geblasene, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" preisende "Marseillaise" klingt hier, am Horn von Afrika, nach hohlem Blech. Die Uniformen sind Ausdruck eines abstrakten Machtprinzips, dem die Träger sich unterwerfen und an dem sie zugleich auch teilhaben. Durch diese Verschmelzung von Macht und Körperlichkeit entsteht der Eindruck von etwas Elementarem, von Stärke Kraft, Potenz! Die Regisseurin schwelgt in der Schönheit der männlichen Körper. Die Fremdenlegion als Ernstfall der Love Parade!

Die Aktivitäten wirken wie Akte der Selbsterprobung, der Selbstbeherrschung. Die Nahkampfübungen sind tänzerische Stammesrituale, die die Befreiung von einer profanen Realität und die Rückkehr zum Zustand der Grazie feiern - den die Afrikanerinnen in der Eingangssequenz scheinbar nie verloren haben. Es ist der Sieg der kollektiven Choreographie über die Zweckrationalität der modernen Zivilisation!

Die Legionäre werden gern in der Untersicht gezeigt, was ihre – jede für sich genommenen, banalen – Verrichtungen zum heroischen Erleben hinaufsteigert. Ein weiterer Aspekt ist der serielle Charakter der Leibesübungen. So, wie die geschmeidig-starken Bewegungen erst durch die vielfachen Wiederholungen ihre suggestive Wirkung entfalten, erhalten die einzelnen Legionäre – Strandgut der Gesellschaft – ihren Wert erst durch das Verschwinden im Ganzen. Die Soldaten, die an der Vervollkommnung ihrer Körper arbeiten, werden als Teil eines Ornaments zu unerreichbaren Göttern und Sendboten einer barbarisch-schönen Welt!

Die Landschaft, in der die Helden sich ausbilden, muß dementsprechend von heroischer Kargheit sein. Mit ihren schroffen Bergen und der ausgedörrten Erde, der flimmernden Luft, dem tiefblauem Wasser und der endlos scheinenden, grellen Sonne ist sie auf das Wesentliche reduziert. Die Meereswellen hinterlassen am Strand einen Schaumteppich aus Salzkristallen, worin die Sonne sich spiegelt: Wunderschön, aber tödlich für den, der hier strandet. Alles zusammen bildet die Phantasmagorie von einer anderen, elementaren Wirklichkeit, die man sich angewöhnt hat, "faschistoid" zu nennen, was aber nichts daran ändert, daß sie Teil der kollektiven Psychologie ist.

Die von Claire Denis abgebildete Welt ist zwar vordergründig autark, aber – anders als bei Riefenstahl – keine unentrinnbare Käseglocke. Sie bleibt Teil eines größeren, pluralen Gesellschaftskosmos’ mit höchst unterschiedlichsten Rollenangeboten. Die Legion bedeutet weniger Schicksal, als vielmehr ein freiwillig gewähltes Bezugssystem. Seine – unter Umständen tödliche – Binnenlogik wirkt für Außenstehende beliebig und hochartifiziell.

Mit gegenläufigen oder indifferenten Bildern unterläuft Claire Denise immer wieder den zelebrierten Heroismus oder führt ihn auf eine moderne, feinnervige Psychologie zurück. Wenn Sentier einen geretteten Kameraden in den Armen hält, kann das ein Verweis auf ein bekanntes Breker-Relief sein – oder auf eine kaum verbrämte erotische Beziehung. Anders als bei Riefenstahl wird der Mann auch nicht mehr durch seine Entrückung zum zeitlosen Kämpfer, zur Statue oder zum "Führer" geopfert. Der fast verdurstete Sentier wird von einer Frau gefunden, als Beute heimgeführt, privatisiert, individualisiert.

Der einsame Tanz des geschaßten Galoup in einer Diskothek in Marseille wirkt, jenseits von Afrika und der Legion, albern und deplaciert. Als er sich in seiner armseligen Wohnung auf das akkurat gebaute Bett legt und die Waffe an die Schläfe führt, erkennt er, daß ein Selbstmord jetzt keinen heroischen Schlußpunkt mehr setzt, sondern sein Scheitern als Asozialer, als verlorener Großstadtindianer besiegelt. Er wird sich bewähren müssen, anders, als er es gewohnt war, aber mit kaum geringeren Schwierigkeiten.

Der Film sagt nicht, welches die bessere, realere Welt ist. Er vermittelt nur die Einsicht, daß die in Bausch und Bogen verdammten Phantasmagorien Leni Riefenstahls ein zwar verheimlichter, aber wirkungsmächtiger Teil der Gegenwart sind. Man kann aus ihren Filmen nach wie vor viel lernen!


 
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