© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Nach der Landtagswahl: Die Führungsfrage der CDU ist völlig offen
Das letzte Aufgebot
Paul Rosen

Die CDU ist, kaum sind die Wellen der größten Krise seit ihrem Bestehen etwas abgeebbt, wieder bei einem altbekannten Thema: Wer wird was in der Partei? Der gescheiterte Spitzenkandidat von Schleswig-Holstein, Volker Rühe, und Generalsekretärin Angela Merkel, die Frau, an der Helmut Kohl scheiterte, buhlen um die Macht in der Partei. Und die Ansprüche der Christdemokraten, die traditionell Wahlgewinner gerne an ihrer Spitze sehen, sinken: Rühe hat mit 35 Prozent im Land zwischen den Meeren nicht ungedingt ein Beispiel für Siegen gegeben; er hat nicht einmal das miserable Ergebnis der CDU vor vier Jahren (37 Prozent) halten können. Und Frau Merkel hat noch nie eine Wahl gewonnen. Es riecht nach einem letzten Aufgebot der Bürgerlichen für die Berliner Republik.

Auch wenn es so scheinen mag, als habe die CDU durch den erzwungenen Rückzug von Kohl aus der Politik und dem Verzicht von Wolfgang Schäuble auf führende Ämter das Tal der Krise durchschritten, so bleiben doch Risse im christlich-demokratischen Fundament unübersehbar. Der frisch gewählte 44jährige Finanzexperte Friedrich Merz wird sich bemühen, die lethargische Bundestagsfraktion wieder in Ordnung zu bringen. Ob ihm dies bis zur Bundestagswahl 2002 gelingen wird, ist fraglich. Merz muß den Neuanfang mit zu vielen Altlasten der Ära Kohl beginnen. Aber in der Partei zeigt sich immer stärker, daß die eiserne Klammer fehlt, die die auseinanderstrebenden Richtungen wieder zusammenführen könnte. Kohl war diese Klammer; mit seinem ausgeprägten Proporz-, Klüngel- und Finanzsystem hielt der "Pate" seine Partei zusammen – eben wie ein Mafia-Boß seine Familie.

Schäuble konnte diese Klammerfunktion zuerst nur wenig und später gar nicht mehr ausüben. Die nicht einmal selbsternannten Epigonen – weder Merkel noch Rühe haben bisher ihre Bereitschaft zur Kandidatur öffentlich erklärt – haben diese Fähigkeiten nicht einmal ansatzweise. Wie irritiert die Union ist, zeigen die Reaktionen aus Bayern. Ministerpräsident Edmund Stoiber entdeckte plötzlich seine Sympathien für Rühe, den er früher wegen dessen pro-europäischer Haltung regelrecht verachtet hatte.

Die Situation ist grotesk: Norddeutsche CDU-Funktionäre, die Rühe verhindern wollen, drohen mit einer Mitgliederbefragung, die Frau Merkel – glaubt man den Demoskopen – klar gewinnen würde. Dieser Vorfestlegung durch die Basis könnte sich der Parteitag vom 9. bis 11. April in Essen nicht entziehen. Und der katholisch-konservative Süden und Südwesten der CDU schweigt zum Kandidaten-Karussel, auch wenn der durch die eigene Finanzaffäre weitgehend paralysierte hessische CDU-Verband derzeit andere Sorgen hat, als in der Nachfolgediskussion mitzumischen.

Einige Zwischentöne in der Diskussion lassen aufhorchen: So sprach sich Schäuble gegen die Mitgliederbefragung mit dem Argument aus, man stehe erst am Anfang der Personaldiskussion und könne die Debatte nicht durch eine Befragung der Mitglieder über die Kandidaten A, B und C einengen. Und Rühe merkte an, geeignete Kandidaten könnten sich durchaus einer Mitgliederbefragung verweigern. Der NRW-Landeschef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Mai, Jürgen Rüttgers, warnte sogar, sein Landesverband lasse sich die Wahlaussichten nicht kaputtmachen.

Andere Interessen decken sich mit denen des NRW-Chefs: Die Ministerpräsidenten der CDU-Länder schauten dem Kandidaten-Treiben bisher tatenlos zu. Eigentlich verachten Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel, Erwin Teufel und (wegen CSU-Zugehörigkeit nur indirekt betroffen) Edmund Stoiber das Treiben der machtlosen Norddeutschen Rühe und Merkel. Beiden Kontrahenten fehlt der Machtapparat einer Staatskanzlei und untergeordneter Ministerien, ihnen fehlen die staatlichen Mittel für Reisen und Kampagnen, die in der Bundesrepublik in Staatskanzleien geplant und betrieben wurden und werden. Die Föderalisten als eigentliche Herrscher in der Union konnten sich bisher nicht auf einen Kandidaten einigen. Vogel ziert sich, Teufel will nicht. Es bleibt nur der Sachse Biedenkopf, dessen Wort Gewicht hat und der als alter Feind des Paten Kohl nicht im geringsten Verdacht steht, an dessen Finanzsystem beteiligt gewesen zu sein.

Es kann gut sein, daß sich die Machtfrage am 20. März, wenn das Präsidium einen Vorschlag für die Schäuble-Nachfolge machen will, ganz anders stellt und die Namen Merkel und Rühe gar nicht mehr zur Entscheidung anstehen.


 
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