© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Kolumne
Abschied
von Heinrich Lummer

Jetzt haben wir das Malheur! Wieder einmal bringt ein deutsches Gericht die Politik in Zugzwang. Aus gewiß guten Gründen hat sich die Politik bisher darum gedrückt, islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen zu etablieren. Das zentrale Argument war: Es gibt auf islamischer Seite keinen ausreichend organisierten und legitimierten Verhandlungspartner. Schließlich kann man nicht mit jeder Moschee verhandeln. Die christlichen Kirchen sind wohlorganisiert und Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht eine von vielen als zweifelhaft angesehene Islamische Föderation als Religionsgemeinschaft anerkannt. Damit erhält sie das Recht, Religionsunterricht zu erteilen. Der Staat muß dafür die Voraussetzungen schaffen – und zahlen. Räume und Lehrer gehen zu Lasten des deutschen Staates. Das geht vielen gegen den Strich. Vor allem, wenn man bedenkt, wie Christen in islamischen Staaten behandelt werden.

Aber solche naheliegenden Gedanken stehen im Widerspruch zum Grundgesetz. Dieses sieht vor, daß in den öffentlichen Schulen Religionsunterricht "ordentliches Lehrfach" ist. Wer das von Verfassung wegen bestellt, muß die Zeche auch zahlen. In einer halbwegs überzeugten homogenen christlichen Gesellschaft war das auch kein großes Problem. Auch hat Berlin ohnehin eine Sonderregelung. Denn hier ist Religion kein ordentliches Lehrfach. Die Kirchen bieten den Unterricht an den Schulen an, bestimmen Inhalte und Ausbildung der Lehrer, und erhalten vom Staat eine Kostenerstattung. Die Kirchen und die CDU wollten diesen Sonderweg seit langem beenden. Der Widerstand – von wem wohl? – war beachtlich. Nun gibt es eine neue Lage. Und es gibt Handlungszwang.

Die extremste Lösung wäre der Abschied vom Artikel 7 des Grundgesetzes und eine klare Trennung von Kirche und Staat. Dann bräuchte man keinen islamischen Religionsunterricht einzurichten – aber auch die christlichen Kirchen müßten auf diese Vorteile verzichten. Der zweite Ansatz wäre der über das sogenannte Wahl-Pflichtfach. Damit würde der Berliner Sonderweg auslaufen. Religion wäre ordentliches Lehrfach. Die Eltern (oder Kinder), die Religion nicht mögen, könnten auf den Ethikunterricht ausweichen. Damit wäre eine Wertevermittlung an Schulen in einer Zeit, die aus den Fugen gerät, sichergestellt. Die Ausbildung der zuständigen Lehrer könnte unter staatliche Kontrolle gebracht werden. Damit könnte man sicherstellen, daß islamischer Unterricht im Rahmen unserer Verfassung erfolgt. Und selbstverständlich wäre deutsch die Unterrichtssprache.

 

Heinrich Lummer, ehemaliger Innensenator und Bürgermeister von Berlin, war bis 1998 CDU-Bundestagsabgeordneter.


 
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