© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Reportage: Im politisch belagerten Wien nach dem Regierungswechsel
"Nun sind wir auch mal dran"
Dieter Stein

Wer in diesen Tagen in Wien landet, erwartet bereits am Flughafen grimmige Polizisten und, wenige Schritte später in Trauben gestikulierender, empörter Demonstranten stecken zu bleiben. Nichts dergleichen. Österreichs Grenzen sind so offen wie ihm die Herzen der anderen EU-Regierungen verschlossen sind. Stewardess Barbara (19) von den Austrian Airlines ist genervt. "Ja sicher", es ist auf Flügen ein paarmal zu Rempeleien gekommen. Französische Fluggäste hatten sich auf einem Flug nach Paris geweigert, auf Bitte der Flugbegleiterinnen Koffer aus dem Gang zu räumen. Lauthals wurden die Damen als "Faschisten" beschimpft. Jetzt aber können sie Fragen nach Haider nicht mehr hören: "Die Regierung ist gewählt und damit fertig. Wo kommen wir denn hin? Wir sind ein demokratisches Land!"

Im "Café Landmann" am Dr.-Karl-Lueger-Ring, bei "Melange" oder dem "Kleinen Braunen" werden die sorgfältig auf Halter gespannten Zeitungen gelesen. Helles Sonnenlicht fingert durch die Fensterscheiben und blendet die Leser. Draußen vorm Kaffeehaus hat ein privater Fernsehsender eine Bühne für Musik-Shows aufgebaut, gegenüber, vor dem Neuen Rathaus, glitzert eine von der Tageszeitung Kurier finanzierte Eisfläche, auf der Familien mit ihren Kindern ihre Kreise ziehen. Aus Lautsprechern auf dem Balkon des Rathauses klingt die Musik eines Radiosenders.

"Widerstand" verkündet trotzig ein schwarzes Transparent, das man vor die Fassade der Akademie der Bildenden Künste gespannt hat. Hier und da ein Anti-Haider-"Pickerl" an einem Laternenmast. Gähnend schlendern die Passanten vorbei. Neben Fiakern, bei denen Kutscher mit Melone auf zahlungswillige Touristen warten, steht ein Protest-Lastwagen (Aufschrift: "Diese Regierung wollen wir nicht"), von dem Musik gegen die neue Regierung gespielt werden soll. Später formiert sich ein dünner Zug von leutseligen Demonstranten, die plaudernd hinter dem "Widerstand" kündenden LKW herschlendern. Der Zugang zum Parlament wird durch hüfthohe, ramponierte Absperrgitter der Polizei verwehrt – Erinnerung an die große Demonstration vor zwei Wochen, bei der 150.000 Menschen gegen die FPÖ/ÖVP-Regierung auf die Straße gegangen waren.

Wolf Martin, Kolumnist der Krone, Österreichs größter Tageszeitung, dichtet diesen Samstag in seinem Kasten ("In den Wind gereimt"): "Auf seine Rechnung kommt zur Frist/ gewiß der Austromasochist./ Sein hochentzücktes Lustgejammer/ dringt aus Europas strenger Kammer./ Nach allen Regeln setzt ihm zu/ die wackre Domina EU,/ und für erles’ne Folterqualen/ sieht man ihn hohe Summen zahlen."

Die Angriffe aus dem Ausland auf die österreichische Innenpolitik werden kaum noch wahr und nicht mehr ernst genommen. Hohn und Spott ergießt sich fast ausnahmslos über die Boykotteure aus Brüssel. Günther Nenning mokiert sich in der Krone über völlig verschobene Maßstäbe, nach denen wirkliche Gefahren nicht weiter zur Kenntnis genommen werden: "Aus den rumänischen Goldbergwerken die tödlichen Zyankali-Salze, die über Hunderte Flußkilometer alles Leben vernichten – das fällt gerade noch bissel auf, aber auch nicht sehr. Die Medien-Spotlights sind anderswo. Haiders Nasenspitze verstellt den europäischen Horizont." Ebenfalls in der Krone wird der Kampf gegen Österreich als "Kreuzzug für ein Großeuropäisches Reich" in Anspielung auf Hitlers "Großgermanisches Reich" verhöhnt.

Die meisten Österreicher glauben, daß sich die Freiheitlichen Jörg Haiders in der Regierung schon domestizieren lassen werden. Nach dem Beispiel der deutschen Grünen, die man durch Einbindung gezähmt habe, werde dies auch durch die Einbindung des verruchten Kärntners gelingen. Und dafür spricht so einiges.

In der Redaktion der FPÖ-nahen Wochenzeitung Zur Zeit herrscht Hochstimmung. Die aus der "JF Österreich" 1997 hervorgegangene Partnerzeitung der JF sitzt in der Marokkanergasse im ersten Stock eines Altbaus. Herausgeber Andreas Mölzer, Haiders Kulturreferent in Kärnten und Vordenker der Freiheitlichen, schnuppert Morgenluft. Jetzt ist der Weg frei, jetzt könne niemand mehr die publizistische Arbeit der Redaktion behindern. Zwar macht ihm ein Verfahren zu schaffen, wegen eines im letzten Jahr in der Zur Zeit publizierten Artikels, der dümmlich über die Opferzahlen von Auschwitz rätselt, doch könne man sich nun freischwimmen, die Linke habe in Österreich ihre Hegemonie verloren.

Nicht weit vom ZZ-Büro treffe ich im "Salmbräu" im Rennweg Funktionäre der FPÖ. Welche Reformschritte werden die Freiheitlichen erwirken? Man wollte der Parteibuchwirtschaft ein Ende bereiten, den Staat aus Bereichen zurückdrängen, in denen er nichts zu suchen habe, Subventionen kappen, die Staatsquote senken.

Die Gesprächspartner winken ab. Jetzt werden die eigenen Leute versorgt. Die eigenen Leute: Das sind nun neben denen mit schwarzen und roten Parteibüchern diejenigen mit blauen – denen der FPÖ. Selbst einer der antiquiertesten Steuermechanismen zur Gängelung der österreichischen Presse, die sogenannte "Presseförderung", bei der Hunderte Millionen Schilling unter Tages- und Wochenzeitungen vom Staat verteilt werden, soll derzeit nicht zur Disposition gestellt werden. So hoffen kleine Zeitschriften und Zeitungen im Umfeld der FPÖ offenbar begierig auf warmen Geldregen, der sich vielleicht demnächst dank freiheitlicher Intervention auch in ihre Kassen ergießen könnte. Von "weniger Staat" ist somit keine Rede mehr.

"Is’ eh wuascht" kommentieren manche achselzuckend den realpolitischen Kurs der Freiheitlichen. Nachdem "die anderen" nun jahrzehntelang in die Kassen des Volkes gegriffen haben, "sind wir jetzt auch mal dran", lautet die entwaffnende Devise der von der Nähe zur Macht berauschten Nachwuchspolitiker. So könnte sich die FPÖ möglicherweise als effizienter und rücksichtloser im Instrumentalisieren staatlicher Monopole herausstellen als ihre politischen Konkurrenten.

Derweil streiten sich die frischgebackenen Minister der Haider-Partei via Presse mit ihrem Parteiobmann über die Höhe der Besoldung. Seit 1995 galt eine von Haider angeregte Einkommensobergrenze von 60.000-Schilling für FPÖ-Politiker, die nun von den Frischbestallten gekippt wird. Bislang mußten die darüber hinausgehenden Beträge gespendet werden. Der smarte FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der in seinem vorigen Industriejob das dreifache seines jetzigen Ministergehaltes verdient haben soll, macht den Vorreiter in dieser Frage. Nun will er auf sein Bruttogehalt von 201.000 Schilling (rund 29.000 DM) nicht verzichten. Doch ist diese 60.000-Schilling-Grenze schon bislang nicht ernst genommen worden. In fünf Jahren sind lediglich 3,5 Millionen Schilling an Spenden zusammengekommen. Die Mandatare definierten die Obergrenze schlicht so, daß zuvor sämtliche private "Fixkosten" zum Abzug gebracht werden konnten – von Unterhaltszahlungen bis zur Wohnungsmiete. Kein Wunder, daß so die meisten locker unter diese Grenze kamen.

"Nun sind wir auch mal dran" lautet also die Parole vieler schneidiger FPÖ-Funktionäre. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich beim Wettbewerb, möglichst harmlos zu sein, derart übertrumpfen, daß vom revolutionären freiheitlichen Reformwillen nurmehr ein simpler Wechsel des politischen Personals übrigbleibt. Die dem Wähler präsentierte Quittung bleibt womöglich die gleiche.

Im Café der Augustinerbastei neben der Hofburg, dem Sitz des österreichischen Präsidenten, sitzen lachend junge Pärchen. Der Fasching und die Ballsaison sind wichtiger als die Politik. Denn sie wissen: Es "wird sich schon ausgeh’n" und das meiste beim alten bleiben.


 
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