© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000


Gentechnik: Das Europäische Patentamt genehmigt Manipulation von Embryonenzellen
Regeln für den Menschenpark
Gerhard Quast

Es ist nicht unsere Praxis, Patente auf Menschen zu erteilen", entschuldigte das Europäischen Patentamt (EPA) "das Versehen", im Dezember vergangenen Jahres ein Patent auf die Entnahme von Zellen aus menschlichen Embryonen, auf die gentechnische Manipulation dieser Zellen und auf die Herstellung gentechnisch veränderter Embryonen erteilt zu haben, obwohl nach Auskunft des EPA drei Wissenschaftler die Patentschrift eingehend überprüft hatten. "Es ist traurig, daß dies passiert ist", so Patentamtssprecher Rainer Osterwalder.

Das Patent "EP 695 351" verstößt nicht nur gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz, das "Forschung und Manipulation an menschlichen embryonalen Zellen" verbietet, sondern auch gegen das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), das "Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens" untersagt. Denn das Patent ermöglicht Eingriffe in die Keimbahn und damit – zumindest theoretisch – die Konstruktion eines gentechnisch veränderten Menschen, der die manipulierten Eigenschaften auch an nachfolgende Generationen vererbt.

In der Patentschrift ist zwar von transgenen Tieren ("animal transgénique"/"transgenic animal") die Rede und auch das Verfahren wurde bisher nur an Mäusen erprobt, da aber nach dem englischen wissenschaftlichen Sprachgebrauch das Wort "animal" den Menschen mit einschließt, hätte die Anwendung durch den Zusatz "non-human" eingeschränkt werden müssen. Daß dies von den Antragstellern willentlich unterlassen wurde, wird daran deutlich, daß die Patentschrift an einer Stelle ausdrücklich den Menschen mit einschließt ("including human cells").

Beantragt wurde das Patent von der schottischen Universität Edinburgh. Inhaber ist die australische Firma Stem Cell Sciences (SCS), die eng mit der US-Firma BioTransplant zusammenarbeitet, die wiederum mit dem Pharmakonzern Novartis kooperiert, so die Umweltorganisation Greenpeace, die vergangene Woche den Skandal aufgedeckt hatte.

Es ist nicht das erste Mal, daß das EPA ein Patent erteilte, das auch auf den Menschen übertragbar ist. Bereits 1998 entschuldigte sich das EPA dafür, ein Patent (EP 563 144) auf ein transgenes Tier – den Patentinhabern ging es um die Übertragung von Genen für Streßanfälligkeit auf Schweine – erteilt zu haben, bei dem eine Übertragung auf den Menschen nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Zudem gibt es ein Patent auf Säugetiere (EP 771 874), die in ihrer Milch immunwirksame Stoffe produzieren. Auch dieses Patent ist auf den Menschen übertragbar, weil die Patentschrift sich auf Säugetiere bezieht, der Mensch aber nicht explizit davon ausgeschlossen wird. Das Patent umfaßt somit auch Frauen, die gentechnisch so verändert sind, daß in ihrer Muttermilch bestimmte Arzneimittel gebildet werden. Keines dieser Patente wurde bisher zurückgezogen, Einsprüche dagegen sind noch anhängig.

Schwierigkeit bei der Beurteilung von Patenten bereiten vor allem unklare Begriffe wie "Tiere", "Organismen" oder "Wirte", die für sich gesehen nicht erkennen lassen, ob damit auch Menschen gemeint sein könnten. Wird das von vornherein nicht ausgeschlossen, ist von einer Auslegung auszugehen, die den Menschen mit einschließt.

Betrachtet man die in den letzten Jahren erteilten Patente, ist der Siegeszug der Biotechnologie unverkennbar: Erst patentierte das EPA "nur" Bakterien, dann wurden Pflanzen üblich, schließlich Tiere und seit einigen Jahren Teile des Menschen; etwa Blut aus menschlichen Föten, aus Nabelschnur und Plazenta (EP 343 217).

Bereits heute sind beim EPA über 2.000 Patente auf menschliche Gene angemeldet, über 300 sollen Gültigkeit erlangt haben. Von den etwa 600 Anmeldungen, die Tiere betreffen, wurden ein Dutzend bewilligt, 1992 zum Beispiel die mit hoher Wahrscheinlichkeit an einem Tumor erkrankende "Krebsmaus".

Mit dem Patent "EP 695 351" sind wir nun bei menschlichen Embryonen angelangt, obwohl das Patentamt eigentlich geschaffen wurde, um Erfindungen und technische Leistungen zu schützen. "Lebewesen aber sind keine Erfindungen, auch nicht, wenn sie genmanipuliert wurden", ereifert sich Greenpeace-Gentechnik-Experte Christoph Then. Seiner Ansicht nach mißachtet das EPA die Vorschrift des EPÜ, wonach Patente nicht gegen die "guten Sitten" und die "öffentliche Ordnung" verstoßen dürften, es also ethische Grenzen der Patentierbarkeit geben müsse. Mit Patenten auf Leben sei diese Grenze überschritten, so die Ansicht vieler Kritiker.

Warum das EPA gerade bei der Erteilung von Gen-Patenten großzügig verfährt, liegt auf der Hand: Das 1977 gegründete Amt ist administrativ weitgehend unabhängig und finanziell autonom. Sein Haushalt bestreitet das EPA ausschließlich mit Verfahrens- sowie einem Teil der Jahresgebühren. Auch das Rentensystem der 3.764 Bediensteten wird mit diesen Einnahmen finanziert.

1998 nahm das EPA rund 113.400 Anmeldungen entgegen. 39.646 Patente wurden 1997 erteilt. Die Kosten pro Patent betragen durchschnittlich 60.000 Mark. Entsprechend üppig ist das Haushaltsvolumen des EPA: 1998 erwirtschaftete das EPA bei einem Einnahmenvolumen von 1,2 Milliarden Mark sogar 235 Millionen Mark Gewinn. Je mehr Patente das EPA erteilen kann, um so größer sind die Gewinne – auch langfristig, da die Patente eine Laufzeit von 20 Jahren haben und entsprechend lang Gebühren gezahlt werden müssen.

Das jetzt für Aufsehen sorgende Patent "EP 695 351" ist vor allem vor dem Hintergrund der kürzlich stattgefundenen heftigen Diskussion um Peter Sloterdijks "Regeln für den Menschenpark" von besonderer Brisanz und könnte zu einer bisher undenkbaren Allianz führen: angefangen von radikalen Tierrechtlern über bürgerliche Umweltgruppen und Ärztevereinigungen bis hinein ins Lager der Lebensrechtsgruppen.

Das umstrittene Patent ist zwar erst einmal wirksam, es besteht allerdings die Möglichkeit, innerhalb von neun Monaten nach Erteilung Einspruch beim Patentamt einzulegen. Der Patentinhaber bekommt dann die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Letztendlich entscheidet über den Einspruch im wesentlichen aber das Patentamt selbst. Eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht möglich. Einsprüche angekündigt haben bereits die Bundesministerien für Justiz, Forschung und Gesundheit, die in dem Patent ein Verstoß gegen deutsches und europäisches Recht sehen, und verschiedene Vereinigungen der Ärzte, Juristen und Wissenschaftler sowie die Kirchen. Die Grünen im bayerischen Landtag teilten mit, gegen das Patent bereits Einspruch erhoben zu haben. Von den großspurig angekündigten Schritten ist bei der Zentrale des EPA aber noch nicht viel zu merken gewesen. Bisher ist in München erst ein einziger Einspruch eingegangen, so ein Sprecher des EPA gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: von der Umweltschutzorganisation Greenpeace.


 
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