© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Kunst im Reichstag: Haackes umstrittenes Projekt steht vor dem Aus
Die neue Lust am Volk
Alexander Schmidt

"Der Dichter ist der Trommler neben der Fahne", schreibt Friedrich Wolf 1928. Kunst als bloße Waffe im politischen Tageskampf. Georg Benn Benn als Vertreter der Ästhetik entgegnete: "Kunstwerke sind phänomenal, historisch unwirksam, praktisch folgenlos. Das ist ihre Größe". Letztlich wird die Kunst durch eine primär-politische Instrumentalisierung degradiert.

Günter Grass erhielt den Literaturnobelpreis weniger wegen seiner literarischen Verdienste – die "Blechtrommel" ist die Ausnahme der Regel –, sondern als Dank des progressiven Komitees für seine moralische Wächtertätigkeit. Um Grass ist es still geworden, der in New York lebende Künstler Hans Haacke ist der neue Ideologieträger für politisierte Kunst. Sein geplanter 7 mal 21 Meter großer Trog im Reichstag, gefüllt mit Erde aus den Wahlkreisen der Abgeordneten und gewidmet "Der Bevölkerung", geistert seit November des vergangenen Jahres durch den Kunstbeirat des Bundestages.

Es ist das einzige neben 18 bereits fertiggestellten Kunstwerken, darunter ein Tisch von Joseph Beuys, das derartige Kontroversen hervorrief. Die Säule im Westportal des Reichstages, über die in roten Leuchtdioden einst im Reichstag gehaltene Reden unlesbar vorbeirauschen, erregte ebensowenig Aufmerksamkeit wie die im Keller des Hauses lagernden Weißblechdosen, auf denen die Namen aller Abgeordneten seit 1918 eingraviert sind. Einzelne Bundestagsabgeordnete bemängeln, daß in dem ehrwürdigen Gebäude kein Bild eines verdienten deutschen Politikers zu finden sei, stattdessen russische Grafittis die alten Steinmauern schmücken. Zyniker sehen bereits die Gestaltungshoheit über den Reichstag ins Ausland verlagert. Nur der Kunstbeirat des Bundestages muß nämlich Projekten der Reichstagsgestaltung zustimmen, solange sich kein parlamentarischer Widerstand erhebt. Womit wieder Haackes Trog, aus dem ein wildes Ökosystem werden soll, ins Spiel kommt.

Auch in der zweiten Sitzung des Kunstbeirates ging das Projekt durch (die JF 6/00 berichtete). Aufgrund der parlamentarischen Widerstände ist damit allerdings keine endgültige Entscheidung verbunden. Im Kunstbeirat sind indes die Mehrheitsverhältnisse gleich geblieben, nur Antje Vollmer (Grüne) lehnt das Projekt wegen der vermeintlich darin enthaltenen "Blut & Boden"-Symbolik ebenso ab wie Volker Kauder (CDU), der in dem Modell einen Affront gegen das deutsche Volk sieht. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Apologet des Haackeschen Werkes, plädierte für das Modell ohne den politischen Inhalt, enthielt sich jedoch der Stimme.

Jetzt kommt aus der Union ein Gruppenantrag, der sich kurz und bündig gegen das Projekt wendet. "Das Kunstprojekt im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes von Hans Haacke ’Der Bevölkerung‘ wird nicht realisiert", heißt es da schnörkellos. Mitgetragen wird dieser Antrag inzwischen von 142 Parlamentarier, mehrheitlich Abgeordnete der Union, quer durch alle Fraktionen – mit Ausnahme der PDS. Bei den Gegnern finden sich neben ehemaligen Bürgerrechtlern wie Vera Lengsfeld, Arnold Vaatz, Günter Nooke (alle CDU) und Werner Schulz (Grüne) auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen, und Ex-Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt. Überraschend stark vertreten im Verhältnis zur Fraktionsgröße sind auch die fünf Bündnisgrünen und die 14 liberalen Gegner des Projektes. Aus der SPD wollen bislang nur zwei Abgeordnete, Renate Jäger und Jella Teuchner, den Antrag mit ihrer Unterschrift untertstützen.

Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann aus Fulda war es, der den Widerstand in der Unionsfraktion gegen das Projekt weckte und entsprechend kanalisierte. "Deutsche Abgeordnete", fordert Hohmann, "sollen sich nicht für Agitprop gegen das eigene Volk hergeben, sondern immer wissen, daß sie gewählte Vertreter des verfassungsgemäßen Souveräns, dem Deutschen Volk, sind."

In einem Rundbrief an seine 244 Fraktionskollegen rief er bereits im Dezember vorigen Jahres dazu auf, sich die positive Bedeutung des Wortes "Volk" ins Gedächtnis zu rufen und nicht in dem von den Nationalsozialisten mißbrauchten Wortinhalt zu verweilen. Mitte März nun soll die Diskussion um Haackes Projektkunst im Plenum in "subtiler Argumentation" (Hohmann) fortgesetzt werden.

Damit würden die Parlamentarier das zweite Mal nach Christos Reichstagsverhüllung im Plenum über Kunst diskutieren. Zur Zeit droht die Kontroverse um Haacke in eine Anschuldigungskampagne zu münden. Angebliche Gegner Haackes, klagt er im Stern und der Berliner B.Z., sagten ihm nach, er sei ein Fan von Ulbricht und gegen die Wiedervereinigung. Eine Ablehnung seines Projektes, polemisiert er zurück – "ohnehin ein bedenklicher Präzedenzfall" – würde alle Gegner "gefährlich nahe zu Jörg Haider" gesellen. Aus Vorbehalten gegen den technischen Begriff der Bevölkerung, konstatiert er, daß "das Völkische immer noch existiert." Ohnehin hat er wenig Verständnis für eine breite Diskussion. "Dies sollte man Sachverständigen überlassen", so Haacke. Und so giftet er gegen den CSU-Abgeordneten Ramsauer, daß ein Müllermeister nicht über gute und schlechte Kunst entscheiden dürfe.

Widerspruch kommt inzwischen aber auch aus künstlerischen Kreisen. In der Welt am Sonntag vom 27. Februar bekennen sich der Maler Johannes Grützke sowie die Schriftsteller Walter Kempowski und Günter de Bruyn als Kritiker des Projekts. "Da es uns allen schwerfällt, Kunst von Scharlatanerie zu unterscheiden, sollte man dem Kunstbeirat des Bundestages keinen Vorwurf daraus machen, daß er Hans Haackes symbolträchtigen Entwurf für künstlerisch bedeutsam hält", sagte de Bruyn.

Unterdessen artikuliert Peter Ramsauer die Meinung einer breiten Mehrheit in der Unionsfraktion. Mit der Leuchtschrift "Der Bevölkerung" über dem Trog werde ein inakzeptabler künstlicher Gegensatz zu dem Volk konstruiert. Inzwischen, erklärte der CSU-Politiker, habe sich Haacke mit seinen Tiraden gegen Kritiker selbst verraten. Indem er Gegner in die rechtspopulistische Ecke stelle, entlarve er die politische Intention seines Objektes. Diese habe sich nämlich als politische Fundamentalkritik am vorherrschenden nationalen Selbstverständnis in Deutschland entpuppt. Wenn aber Abgeordnete durch das Einbringen von "Heimaterde" direkt am Modell mitwirken sollen, müßten sie letztlich auch gefragt werden.

Ganz gleich wie die Entscheidung des Bundestages ausfallen wird, Haacke wird in jedem Fall als lachender Dritter aus dem Streit hervorgehen. Wenn ihm der Reichstag als Platz für seine Kunst verweigert bleiben sollte, bleibt ihm immer noch Frankfurt am Main, die Stadt der ersten demokratisch gewählten Volksvertretung in Deutschland. Dort will er im Herbst eine Dokumentation über seinen Kampf mit "Blut und Boden", "Bevölkerung" und "Volk" ausstellen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen