© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Nachruf: Zum Tod von Dieter Borkowski
Mutig gegen den Strom
Detlef Kühn

Der Mann hat zeitlebens an Deutschland gelitten – an den Verhältnissen in diesem Lande und an der Niedertracht, dem Opportunismus und der mangelnden Zivilcourage seiner Mitmenschen. Dieter Borkowski hat seine entsprechenden Erfahrungen in den drei Erinnerungsbüchern und vielen Artikeln veröffentlicht, von den Erlebnissen des Hitler-Jungen und Flakhelfers, der noch helfen sollte, den Krieg zu gewinnen, bis zur Tätigkeit als Journalist in der DDR, die den überzeugten Sozialisten dem "real existierenden Sozialismus" so entfremdete, daß er zweimal aus politischen Gründen inhaftiert wurde und schließlich durch Austausch 1972 in der Bundesrepublik landete.

In Berlin 1928 geboren, mit 16 Jahren in Kriegsgefangenschaft geraten, wurde er sehr früh Mitglied der von Erich Honecker geführten Freien Deutschen Jugend (FDJ). Doch schon 1953 machte Borkowski während des "konterrevolutionären Putschs" am 17. Juni einen "Fehler", der zu seinem Ausschluß aus der SED führte. Auch danach, in seiner Tätigkeit als parteiloser Journalist, mißlang die "Bewährung". Zwar bemühte sich Borkowski um eine betont antifaschistische Publizistik, recherchierte zum Beispiel gegen den damaligen Bonner Minister Oberländer; das alles konnte aber seine grundsätzliche Kritik am Stalinismus im SED-Staat nicht vergessen machen. 1960 wurde er wegen staatsfeindlicher Hetze zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.

In den sechziger Jahren, nach seiner Haftentlassung in die inzwischen eingemauerte DDR, war er dann, natürlich "illegal" unter dem Pseudonym Arno Hahnert, für die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit quasi als DDR-Korrespondent tätig. Hier berichtete regelmäßig ein Insider, der atemberaubende Einblicke in das Innenleben der DDR lieferte. Natürlich fand das Ministerium für Staatssicherheit nach einiger Zeit heraus, wer den Klassenfeind über die DDR informierte. Auf sieben Jahre Zuchthaus lautete diesmal das Urteil bei ihm, auf drei Jahre wegen Mitwisserschaft bei seiner Frau, von denen beide allerdings "nur" etwas mehr als ein Jahr zu verbüßen brauchten, weil sie gegen eine DDR-Agentin im Westen ausgetauscht wurden.

In der westlichen Freiheit mußte Borkowski jedoch feststellen, daß die Zeit inzwischen keine Verwendung mehr für sein journalistisches Talent hatte. Ihre Herausgeber und Chefredakteure hatten offenbar beschlossen, ihren Lesern mehr das "Positive" an der DDR zu schildern, ein Kurs, den sie dann ja auch bis zu deren Ende durchgehalten haben.

Für Dieter Borkowski blieb es nicht die einzige Enttäuschung im freien Westen. Er war als "kalter Krieger" abgestempelt, mit dem viele seiner linken oder linksliberalen Berufskollegen einfach nichts zu tun haben wollten. In der JUNGEN FREIHEIT hat Borkowski 1996 eindrucksvoll seine diesbezüglichen Erfahrungen geschildert. Sein Trauma waren seitdem die Stasi-Spitzel im Westen und ihr noch heute vorhandener Einfluß. Schließlich hatte ihm bereits bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis in den Westen ein Stasi-Offizier knallhart angekündigt, seine Akte werde weitergeführt: "Wir kommen auch nach Bonn. Die Zeit arbeitet für uns! Und wenn Sie annehmen, Sie müßten nun ‚auspacken‘, Ihre Erlebnisse an die Medien des Monopolkapitals verkaufen ... weiter hetzen gegen den Sozialismus ... Sie werden auf Heller und Pfennig bezahlen, vergessen Sie das niemals." Manche seiner späteren Erlebnisse im Westen schienen Borkowski diese Drohungen zu bestätigen. In seinem Tun oder Lassen beeinflußt haben sie ihn allerdings nicht.

Als Dieter Borkowski vor einer Woche im Alter von 72 Jahren starb, schrieb eine Berliner Tageszeitung in einem Nachruf, es sei ihm nicht wirklich gelungen, seinen Platz in der Bundesrepublik zu finden. "Irgendwie war er zwischen die Zeiten geraten." Das ist leider wohl richtig, aber es spricht nicht gegen Borkowski, sondern nur gegen das geistige Klima im heutigen Deutschland. Borkowski war von seiner Struktur her einfach nicht in der Lage, mit dem Zeitgeist zu schwimmen.

Uns bleibt nur die Hoffnung, daß Journalisten und Schriftsteller seiner Denkungsart und seines Charakters in Deutschland weiterhin publizieren können und es auch wollen.

 

Detlef Kühn, 64, war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn. Von 1992 bis 1999 war er Direktor der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien.


 
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